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Eine fürstliche Erziehung

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Beinahe die Hälfte des Weißkunig widmete Maximilian dem Thema der Prinzenerziehung. Da wird etwa hervorgehoben, dass ein weiser Herrscher bereit sein solle, von jedermann zu lernen, vom einfachen Pferdeknecht bis zum adligen Feldherrn. Oder es wird erklärt, warum erfolgreiche Monarchen alle ausgehenden Briefe stets selbst durchlasen – »[e]s was die sach klain oder groß, Er uberlaß zuvor denselben brief« –, bevor sie ihre Signatur daruntersetzten, und wie sie mehreren Schreibern gleichzeitig diktierten, um die Verwaltungsarbeit effizient zu gestalten. Auf einem Punkt bestand der Verfasser des Weißkunig jedoch besonders: Ein junger Prinz musste Fremdsprachen lernen, und zwar nicht zu wenige. Jeweils ein ganzes Kapitel wird darauf verwendet, wie Maximilian zunächst »die Burgundische sprach« meisterte, »seiner gemahl sprach«, die er denn auch von seiner Frau gelernt habe; sodann »flemisch«, das ihn »ain alte furstin« gelehrt habe. Es folgten Englisch, Spanisch, Italienisch und Latein, die Maximilian neben seiner deutschen Muttersprache allesamt beherrschte. Das bedeutete, dass der Kaiser, in dessen Heer all diese sieben Sprachen gesprochen wurden, sich mit den Befehlshabern jeweils in deren eigener Sprache beraten und ihnen Order erteilen konnte. Denn

»gemainigclichn, in allen seinen kriegen, hat Er kriegsfolckh, von denselben Siben sprachen, bey Ime gehabt, vnnd wann dann die hauptleut der volckher derselben Siben sprachen, zu Ime kumen sein, von Ime beschaidt vnd bevelch zunehmen, so hat Er mit ainem Jeglichen hauptman, desselben hauptmans sprach besonder geredt, vnd Ime in derselben sprach bevelch und beschaidt geben, Wie ain Jegclicher hauptman sich mit dem kriegsfolckh hallten solle …«19

Andere Kapitel legen dar, wie man es in jeder Art von Turnier zur Meisterschaft brachte (eines trägt den Titel »Wie der Jung Weyß kunig in allen Ritterspilen … übertreffenlichen was [vortrefflich war]«), wieder andere befassen sich mit Jagd, Falknerei und Fischfang. Dann hält der Verfasser inne und fügte diese Reflexion ein:

»Ainer der in dem wesen unerfaren ist, vnnd solichs liset, der moecht gedenncken, der Jung weiß kunig het nichts annders gethan, dann paissen [beizen, mit Raubvögeln jagen], und Jagen. Es hat nit die gestalt gehabt, sonnder mit paissen, vnd jagen, ist dieger kunig am maisten, in den grossen kriegen gewesen … wiewol Er auch der maisterlichist valckner was, So was Er doch vil maisterlicher, die großmechtigen kunig, fursten, vnd herrn, zu seinem willen zubringen, diser Jung weiß kunig …«20

Maximilians Erziehungsprogramm, das auch aus seinen Briefen spricht, sollte beträchtliche Erfolge zeitigen. Schon 1506 und dann noch einmal sieben Jahre später verlieh der Kaiser seinem Wunsch Ausdruck, »dass der Erzherzog Karl recht bald Niederländisch lernen« sollte; und tatsächlich war Karl 1515 imstande, seinen Eid als Herzog von Brabant in niederländischer Sprache zu leisten. Das Spanische und das Italienische sollte er schließlich fließend beherrschen; auf Deutsch konnte er sich zumindest einigermaßen unterhalten.21 Karls Kenntnisse des Lateinischen blieben dagegen eher schwach. Anlässlich einer Audienz im Jahr 1518 beschwerte sich der englische Gesandte darüber, dass Adrian von Utrecht, Karls früherer Lehrer, »dem König ins Französische [übersetzen musste, was] ich auf Latein gesagt hatte«, und dass »besagter katholischer König sogleich eigenmündig auf Französisch antwortete«. Drei Jahre später klagte ein anderer englischer Gesandter, dass Karl zwar zuhörte, wenn ihm lateinische Briefe vorgelesen wurden, dann jedoch – weil er »Latein nicht gut« beherrschte – »befahl, man solle sie ihm ins Französische [übersetzen], damit er sie besser« verstehen könne. »La langue bourguignonne« sollte stets Karls Muttersprache bleiben: Noch während seiner letzten Lebensjahre in der Abgeschiedenheit eines spanischen Klosters berichtete ein Mitglied seines Gefolges: »Hier bei Seiner Majestät sprechen wir nur Französisch.«22

Größeren Erfolg hatte Maximilian darin, seinem Enkelsohn den Humanismus näherzubringen. Margarete rühmte ihrem Vater gegenüber die »großen und bedeutenden Dienste«, die Luis Cabeza de Vaca »jeden Tag erweist«, indem er Karl gezeigt habe, »wie er sich zu benehmen hat – und davon hat er, bedenkt man sein Alter, außerordentlichen Nutzen gezogen«. Außerdem habe der Lehrer seinen Zögling »in den Lettern unterwiesen«, womit wohl nicht nur Lesen und Schreiben gemeint sind, sondern auch die Grundlagen einer humanistischen Erziehung; schließlich war Cabeza de Vaca ein renommierter Humanist.23 Zwei weitere Personen aus Karls unmittelbarem Umfeld unterstützten diese Bemühungen: Michel de Pavie, vormaliger Rektor der Pariser Universität (wo er unter anderen den jungen Erasmus unterrichtet hatte) und Karls erster Beichtvater, und Adrian von Utrecht, von dem Karl nach eigenem Bekunden »das bisschen Bildung und gutes Benehmen gelernt [hatte], das mir zuteilgeworden ist«.24

Adrian – der spätere Papst Hadrian VI. – war in erster Linie Theologe. Frühen Ruhm hatte er 1478 als neunzehnjähriger Jahrgangsbester an der Artistenfakultät der Universität Löwen gewonnen; bis 1491 hatte er auch die Aufmerksamkeit Margaretes von York auf sich gezogen, der Herzoginwitwe von Burgund, die ihm nach seiner erfolgreichen Promotion zum Doktor der Theologie ein rauschendes, dreitägiges Fest spendierte. Bevor Adrian dann 1509 dauerhaft nach Mecheln zog, um dort einen Posten als Erzieher des jungen Erzherzogs (und als Hofprediger) anzutreten, hatte er es in Löwen bis zum Dekan der Theologischen Fakultät gebracht, ja er galt sogar als »der ungekrönte König unter den Löwener Theologen seiner Zeit«. Diese Prominenz schlug sich auch in seiner Bezahlung nieder, denn während Cabeza de Vaca 12 Schillinge am Tag bezahlt wurden, erhielt Adrian stolze 24 Schillinge.25

Zweifellos ließ Adrian seinen Schüler von jenem pragmatischen Ansatz der Wissensvermittlung profitieren, der auch den Lehrbetrieb in Löwen dominierte, wo er neben Theologie auch Philosophie gelehrt hatte. Er sorgte dafür, dass Karls dürftige Lateinkenntnisse diesen nicht völlig um die Früchte der antiken Kultur brachten, indem er französische Übersetzungen der Philosophen Aristoteles und Seneca, der Historiker Livius und Tacitus sowie des militärkundlichen Kompendiums des Vegetius auf den Lehrplan setzte. Außerdem unterstützte Adrian die Arbeit seiner humanistischen Zeitgenossen (mit deren Schriften er Karl ebenfalls vertraut machte), darunter Juan Luis Vives aus Spanien (der seinen Lebensmittelpunkt ab 1512 in den Niederlanden hatte), Erasmus von Rotterdam (der mit Karl selbst sowie mit etlichen seiner Ratgeber auffallend herzliche Briefwechsel führte) und Thomas Morus aus England (der den ersten Teil seiner Utopia in Antwerpen niederschrieb und das fertige Werk 1516 an der Löwener Universität veröffentlichte).26

Von Karls Schulbüchern oder -heften hat sich nichts erhalten, aber ein wenig von der Pedanterie seines Lehrers wird in den Briefen deutlich, die Adrian seinem vormaligen Schüler schrieb, als er 1520 bis 1522 als dessen Statthalter in Spanien amtierte. Manchmal verfasste er dann einen von jenen besserwisserischen Briefen, denen viele ehemalige Lehrer einfach nicht widerstehen können: »Als wir [im Jahr 1520] in Santiago waren, sagte ich Eurer Hoheit ja bereits, dass Ihr die Liebe all Eurer Untertanen dort verloren hättet, aber Ihr glaubtet mir nicht; nun sehe ich jedoch, dass sich [meine Befürchtung] bewahrheitet hat«, tadelte er Karl im Januar 1521 nach Ausbruch des Comuneros-Aufstandes. Im Jahr darauf schrieb er: »Ich bin froh, dass Euch das, was Ihr von mir gehört und gelernt habt, nicht gleich wieder entfallen ist« – fügte dann jedoch spitz hinzu, dass »wir uns wohl, hätten andere die gleichen Wahrheiten mit gleicher Aufmerksamkeit beherzigt, heute nicht in der gegenwärtigen Lage voller Gefahren und Ungemach befänden«. Manchmal verwies Adrian auf Texte, die Karl und er im Unterricht durchgenommen hatten (»Aristoteles schreibt in seiner Politik, dass solche, die im Grenzgebiet zu unseren künftigen Kriegsgegnern Land besitzen, auf keinen Fall im Kriegsrat sitzen dürfen …«).27 Bei anderer Gelegenheit verteilte er Tadel (»in dieser Sache befehlen [Euer Majestät] mir stets, auf eine Weise zu handeln, die sich als unwirksam erweisen wird«) oder behandelte den Kaiser, als würde dieser noch immer die Schulbank drücken (»Um Eurer Majestät Ehre und Gewissen willen solltet Ihr die Versprechen halten, die Ihr den Cortes gegeben habt«; »Ich bitte Euer Majestät inständig, auf Euren Befehl Gerechtigkeit walten zu lassen … denn aus diesem Grund ist Euer Hoheit ja König«). Karl sollte, hieß es weiter, »seine Pflicht Gott gegenüber erfüllen, damit der ihn nicht in schlechten Zeiten verlasse oder mit Verachtung strafe«; und er sollte sich nicht »von anderen gängeln lassen, als ob Euer Hoheit ein Kind wäre, dem es an Verstand, Klugheit und Umsicht mangelt. Euer Majestät muss alles, was ich geschrieben habe, genau beachten.« »Glaubt mir, Euer Majestät, wenn Ihr nicht sorgsamer darangeht, diese Dinge zu verstehen, anstatt andere Eure Angelegenheiten für Euch regeln zu lassen, dann wird Spanien Euch niemals wirklich lieben oder Eurer königlichen Autorität und Person mit dem gebotenen Gehorsam begegnen.« Diese Haltung einer »liebevollen Strenge« behielt Adrian auch dann noch bei, als aus seinem früheren Zögling längst ein mächtiger Herrscher geworden war:

»Ich flehe Euer Majestät an: Lasst nicht zu, dass all dieser Erfolg Euch eingebildet oder stolz werden lässt, sondern dankt viel eher Gott, unserem Herrn, der Euch solch reiche Früchte hat zuteilwerden lassen, ja erkennt, Euer Majestät, in aller Demut, dass Ihr verpflichtet seid, Gott dafür zu danken, und dass Ihr Euch nicht undankbar erzeigen dürft, damit Gott Euch nicht verwirft, wie er Saul verworfen hat, als dieser Gottes heilige Gebote missachtete.«28

Manche Zeitgenossen warfen Adrian vor, seinen Schüler eher ver- als erzogen zu haben – aber diese eindringlichen Mahnungen sprechen doch eine andere Sprache.

Der Kaiser

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