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EINE ZWEITE PLEITE DROHT, DAS ÜBERLEB’ ICH NICHT (BIS MAI 2013)

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Unter diesen Umständen hätte das Jahr 2012 normal und gut enden können. Die Firma lief immer besser, daheim war so weit alles okay und mit mir und meinen Gefühlsschwankungen kam ich mal besser und mal schlechter zurecht. Aber das dicke Ende kommt ja bekanntlich zum Schluss, in diesem Jahr Anfang Dezember.

Ich hatte in meiner Jugend mal eine finanzielle Pleite erlebt. Seitdem habe ich mein Geld verdient, indem ich mich immer wieder in Geduld und Demut geübt und zu verzichten gelernt habe. Ich hoffte sehr, dass mir nicht gut 20 Jahre später ein Fehler aus der jüngeren Vergangenheit das Genick brechen würde. Rückblickend war die Jugend-Pleite übrigens eine Erfahrung, ohne die ich nicht da wäre, wo ich heute bin. Ich war damals aus einem mir heute nicht mehr wirklich nachvollziehbaren Grund völlig blank. Meine Eltern waren im Urlaub und mir fiel niemand ein, den ich um ein bisschen Geld bitten konnte. Ich war wohl auch zu stolz dafür. Obwohl ich gut Kohle durch meine Billardturniere und durch Zocken gemacht hatte, war das ganze Geld weg. Gut, die letzten paar Mark hatte ich Idiot beim Kartenspielen verloren. Es gab noch Wasser aus der Leitung in der Wohnung meiner Eltern, aber der Kühlschrank war komplett leer und mein Girokonto mit 2.000 DM bis auf Anschlag im Minus. Meine letzte Idee war, meine Bank zu fragen, ob es möglich sei, doch noch ein paar Mark überziehen zu dürfen. Meine Trumpfkarte: Ich hatte einen gültigen Arbeitsvertrag für eine in sechs Wochen beginnende Berufstätigkeit in der Hand. Der Herr in der Bank kannte mich und wusste, dass normalerweise viel Bewegung auf dem Konto war: Er gab mir 200 DM Gnadenüberziehung! Gott, war ich dankbar! Und bin es noch heute!

Diese Erfahrung hat sich mir tief eingeprägt. Ich war damals ziemlich verzweifelt – das Gefühl, sich durchschnorren zu müssen, kannte ich nicht. Wir hatten nie Geld im Überfluss, aber uns ging es immer gut und ich kann mich nicht erinnern, jemals irgendwas vermisst zu haben. Aber so konnte es nicht weitergehen. Ich ging im Nachgang recht hart mit mir ins Gericht und machte einen Pakt mit mir selbst, an den ich mich in vielen Fällen noch bis heute halte, wenn ich über Geld nachdenke, egal ob privat oder in meiner beruflichen Welt:

1.Damit dir das mit der Pleite nie wieder passiert, lebst du ausschließlich von 50 bis 70 Prozent deiner Einkünfte, der Rest wird jeden Monat gespart, und das für zehn Jahre.

2.Ab sofort kaufst du keine teuren Sachen mehr, wenn du sie nicht wirklich brauchst, außer wenn du dein Geld beim Verkauf wieder zurückbekommst, die Sachen also nicht an Wert verlieren.

3.Du pumpst dir in den nächsten zehn Jahren nie wieder Geld. (Tatsächlich habe ich mir nie wieder Geld geliehen!)

Dieser Pakt war für mich deshalb so wichtig, weil er mir zeigte, wie viel aus einschneidenden Erlebnissen entstehen kann und wie viel ich mit Disziplin erreichen kann. Weil ich mich auch heute noch an diese Regeln halte, konnte ich mir so schöne Dinge leisten – Sportwagen, alte Sportuhren aus den 60er- und 70er-Jahren, ein Feriendomizil in den USA und eines in Spanien. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Chance ergreifen konnte, mich aus dem Nichts nach oben zu arbeiten und zu all diesen schönen Sachen und den damit verbunden Erlebnissen zu kommen. Das Wichtigste ist und bleibt für mich, finanzielle Sicherheit zu haben. Ich möchte nicht alles verprassen und dann dumm dastehen, wenn Krisen kommen. Dabei „hilft“ die Angst vor einer nochmaligen Pleite als mein ständiger Begleiter – einerseits ein Vorteil, aber ab und an auch ein Bremsfaktor. Manche Sachen brennen sich einfach in einem ein. Ich kann trotzdem mein Leben genießen und gut mein Geld ausgeben. Denn ich habe mir jeden Euro hart erarbeitet, gespart und erst dann etwas gekauft, wenn es meinen Regeln entsprach. Ich nehme keinen Kredit auf und schließe auch keine Ratenverträge ab, nur damit Smartphone, Auto oder Lifestyle ohne großen Aufwand verfügbar sind. Mir hat es im Übrigen schon immer Spaß gemacht, auf etwas zu sparen und mich dabei genauer und auch länger mit dem Zielobjekt auseinanderzusetzen, wie beispielsweise mit einer Uhr oder einem Sportwagen. Wenn ich damals beim Händler stand, konnte es passieren, dass ich sagte: „Was, das Auto kostet so viel und nach drei Jahren bekomme ich so wenig zurück? Okay, danke, Sie bekommen mein Geld nicht!“ Auf meine erste teure Uhr habe ich zum Beispiel fast zwei Jahre lang gespart. Als ich sie dann für 7.200 DM gekauft hatte, war ich schon stolz, sie zu haben. Aber der eigentliche Spaß war mein Research zu der Uhr. Ich wusste beim Kauf meist mehr als der Verkäufer und gönnte mir vor dem Kauf kleine Dinge wie Bücher und Zeitschriften, um mich einzulesen. Diese Uhr habe ich heute, 20 Jahre später, immer noch und die Preisentwicklung passt. Gut, dass ich damals den Pakt mit mir selbst geschlossen habe.

An diese Pleite aus meiner Jugend musste ich mich erinnern, als mich Anfang Dezember 2012 doch glatt die jüngere Vergangenheit einholte, mit einem echt unangenehmen Gegenüber: dem Finanzamt. Am Anfang dachte ich noch, das klärt sich schnell, da ich ja wusste, um was es ging, und es keine große Sache wäre. Ende November bekam ich Post, man wollte Auskunft über eine notarielle Urkunde aus dem Jahr 2007. Es war der Anteilskauf, nach dem Verkauf der Anteile an den neuen Investor an meiner damaligen Firma, mit der ich ja ein ziemlich unschönes Ende 2010 hatte. Na ja, es wäre wohl eine stressfreie Klärung möglich gewesen. Wir beantragten eine Fristverlängerung – zwischen Steuerberater und Finanzamt ist das wohl so üblich –, die wir auch telefonisch zugesagt bekamen. Ich begann damit, die Unterlagen zu suchen. Zum Glück hatte ich noch alle Ordner und Unterlagen lückenlos im Keller. Am 23.12. bekam ich wieder Post, diesmal mit einem Steuerbescheid über einen siebenstelligen Betrag, zu zahlen innerhalb von 14 Tagen. Das kam einer modernen Exekution gleich. Wie konnten die das so kurz vor Weihnachten abschicken? Eine Frechheit, wie ich noch heute finde. Sie hatten doch die Fristverlängerung mündlich bestätigt. Darauf musste ich mich ja wohl verlassen können, auch beim Finanzamt. Wissen die eigentlich, dass es auch Leute gibt, die vielleicht keinen Fehler gemacht haben, sondern dass vielmehr die Einschätzung der Unterlagen fehlerhaft ist? Meine Einnahme aus dem Verkauf war sechsstellig, vor Steuern, die natürlich schon lange bezahlt waren. Wie konnte dann die angemahnte Steuernachzahlung siebenstellig sein?

Da war die schöne Weihnachtsstimmung dahin, zum Kotzen, so ein Verhalten, das war ein Hirnfick vom Allerfeinsten. Dem Finanzamt würde eine Schulung zum Thema mentale Gesundheit auch nicht schaden, damit die Kolleginnen und Kollegen auf dem Amt mal wüssten, was sie mit ihren Schreiben so anrichten können. Wie ein Tiger im Käfig lief ich Tag und Nacht durchs Haus und konnte mir das alles nicht erklären. Ich setzte zwischen den Feiertagen alle Hebel in Bewegung, um wenigstens Einspruch einzulegen, damit der Bescheid nicht wirksam würde.

Die Lage verschlimmerte sich im Februar noch mehr, als man mir unterstellte, mit dem damaligen Anteilskäufer gemeinsame Sache gemacht zu haben. Da reichte es mir. Ich schaltete mich direkt ein und machte einen persönlichen Termin beim Finanzamt aus, zum Missfallen meiner Steuerberaterin. Aber ich hielt dagegen und sagte, mit einer so weißen Weste wie der meinigen hätte ich da keine Angst. Offenes Visier, wie immer.

Der zuständigen Dame beim Finanzamt sagte ich dann: „Wenn ich hier einen Fehler gemacht habe, dann muss ich zahlen, aber ich verstehe das nicht.“ Ich erklärte, kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen, dass ich erst vor Kurzem krank gewesen sei, wir gerade mitten in dem Prozess steckten, ein Kind in Afrika zu adoptieren, und sie mir gerade seelisch, wenn das mit der Steuernachzahlung stimmen sollte, das Genick brechen würde. Außerdem rede sie über Steuern, für die ich ja nie die entsprechend hohe Geldsumme erhalten hätte, wie gehe denn so was? Das Gespräch hatte den gewünschten Effekt – ein erfahrener Mann meinte mal zu mir: „George, du musst immer einen Menschen aus der Sache machen, wenn nicht, bleibt es nur eine Akte.“ Und er hatte recht! Die Lage beruhigte sich langsam, alles wurde nun sachlicher und gütlich geklärt. Sie schlug vor, die Zahlen von damals prüfen zu lassen und ein internes Gutachten im Finanzamt erstellen zu lassen. Da mein Fall in der Revision im Finanzamt lag, musste alles doppelt geprüft werden. Das waren einige Wochen und Monate mit heftigen seelischen Qualen. Ich war jeden Tag immer um drei Uhr morgens wach und studierte meine Steuerunterlagen und den Fall, um die richtigen Erklärungen und Belege dazu zu finden.

Zum Glück ergaben die Gutachten schon mal einen Wert, mit dem ich hätte leben können. Wir trafen uns zu einem Schlichtungsgespräch, in dem man mir gleich erklärte, wir könnten nicht verhandeln, sondern müssten das Angebot vom Finanzamt annehmen oder es lassen. Die Ansage war unerwartet, aber gut. Ich hatte nach der ersten eigenen Analyse der damaligen Zahlen das Gefühl, dass wir hier mit zwei Nullen weniger rausgehen und ansonsten halt vor Gericht ziehen würden, da wurde ich dann auch trotzig. Interessant war, dass das Angebot tatsächlich zwei Nullen weniger hatte als die ursprüngliche Forderung. Es waren um die 32.000 Euro, eine Stange Geld, aber nach den Schockzahlen davor konnte ich damit gut leben. Meine Steuerberaterin erklärte mir dann noch, dass Zinsen draufkämen, aber ich in dem anderen Steuerjahr die Kosten dagegenrechnen dürfe und dadurch am Ende nur noch 17.000 Euro übrigblieben. Immer noch viel, aber gut. Und die kamen zu Beginn mit einer siebenstelligen Summe und einigten sich dann nach ihrer Berechnung auf diese Summe?! Hätten die einen Bescheid über diese Summe geschickt, hätte ich es als eine unvorsichtige Dummheit betrachtet, als Lehrgeld überwiesen und damit hätte sich’s gehabt. So aber gaben sie mir einen echten Schuss vor den Bug, den ich erst mal seelisch verkraften musste. Das waren zermürbende fünf Monate meines Lebens. Wenn die wüssten, wie viele verzweifelte Nächte ich wegen dieser Scheiße hatte.

Ich hatte in den ganzen Jahren auch immer wieder gute Phasen, so war es nicht; aber es war ein ständiges Auf und Ab, und das schon fast sechs Jahre. Ich reiste viel, schaute mich nach neuen Geschäftsideen um, war öfter feiern, war im Kölner Karneval und in unserer neuen Ferienwohnung auf Mallorca, die wir uns gekauft hatten, nachdem wir wegen der anstehenden Adoption die Wohnung in Miami wieder verkauft hatten.

Die Adoption rückte Stück für Stück näher, was auch den seelischen Druck erhöhte. Es begann die Phase, in der wir permanent auf Abruf bereit sein mussten. Sobald mit der Post ein Vorschlag zu einem möglichen Adoptivkind gekommen wäre, hätten wir innerhalb von fünf Tagen annehmen müssen. Danach musste man innerhalb von 14 Tagen ins Land reisen, nach Äthiopien, und die Adoption vor Ort beginnen. Was auch bedeutete, nicht mehr verreisen zu können. Zu unserer Verwunderung bekamen wir kurze Zeit später Post von der Adoptionsstelle mit der Information, dass sich in unserem Adoptionsland Äthiopien einiges an der Bürokratie ändern und verbessern sollte, und sich deswegen alles um sechs Monate verzögern würde. Das störte uns wenig, da wir das Gefühl hatten, nah an unserem Ziel zu sein. Wir warteten ja schon lange, da machten sechs Monate das Kraut auch nicht fett.

Es folgte zum Glück eine Reihe an schönen Momenten, der Junggesellenabschied von Klaus im Hähnchenkostüm, bei dem ich mit meinem langjährigen Freund Ben öfters die Nacht zum Tag machte und erst morgens um sieben Uhr nach Hause kam. Danach ging es zu einem Klitschko-Kampf nach Mannheim, einige Tage wieder nach Mallorca, den Akku aufladen, und dann noch der Geburtstag meiner Schwester im Geiste, Anja, die ich seit sieben Jahren bei ihrem Kampf gegen den Lungenkrebs begleitete, und der leider immer wieder zurückkam. Es war schön, sie an ihrem Geburtstag in Hof so glücklich zu sehen; es war dort wie eine zweite Heimat für mich geworden und ich war immer wieder gerne dort, um Anja und die Familie zu sehen. Das Jahr verging mit viel Arbeit und einigen sorglosen Monaten, im Geschäft wurde es stetig besser und die Fast-Pleite musste ich ja auch erst mal verkraften.

Immer wieder dachte ich mir: „Jetzt hast du mehr Ziele erreicht, als du dir jemals erträumt hast, mehr Geld, mehr Spaß in deinem Leben, alles hart erarbeitet und trotzdem fehlt dir etwas.“ Seit den Nervenzusammenbrüchen und der Antriebslosigkeit in der Depressionszeit 2009 hatte ich immer wieder Phasen, in denen ich lost in space war, in denen mir alles egal war. Auch meine Passion und Leidenschaft für meine Uhren und Oldtimer erfüllte mich irgendwie nicht mehr so wie früher. Da ich ja Karosseriebauer gelernt hatte, war es naheliegend, dass ich mir mal einen Sportwagen holte – dass es eine 1963 Corvette Split Window wurde, hätte ich mir nie träumen lassen. Ich hatte bei der Restauration der Corvette so viel Spaß und erst recht beim Fahren – das war Freiheit und Glückseligkeit. Ich habe eigentlich eine Passion für Technik, aber irgendwie ist mir die im Rausch der Arbeit verloren gegangen und durch die verschiedenen Rückschläge bin ich verwundbar geworden. Eine lange Zeit hatte ich mich wie „bulletproof“ gefühlt, aber das war einmal – wie bei vielen, bei denen es lange sehr gut läuft, bis sie die ersten Treffer abbekommen.

Das Sehnen nach einer erfolgreichen Adoption wurde auch immer größer; es war gefühlt wie so eine Art Rettungsring: Wenn das klappte, dann würde alles besser, dann hätten wir es geschafft. Nur leider wurden wir wieder vertröstet, dass es weitere Änderungen im Adoptionsland gegeben habe und sich der Prozess um weitere sechs Monate verzögern würde. (Ausgerechnet in unserer Zeit wollten die ihre Adoptionsgesetze erneuern, was ja gut war, aber man muss wissen, dass im Vergleich zu afrikanischen Verhältnissen Italien extrem schnell ist.) Das wurmte mich so langsam und ich fragte mal bei der Agentur nach, was los sei. Aber man konnte uns auch nicht mehr sagen als das, was schon in dem Brief stand, also hieß es weiter warten.

Gegen das Tabu

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