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WENN MAN AN ZWEI FRONTEN KÄMPFT, KANN MAN AUCH AN ZWEIEN VERLIEREN

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Schon zwei Jahre vorher, 2007, hatte mich das Schicksal von zwei Seiten her gebeutelt – privat und beruflich. Nach dem Verkauf von Anteilen unseres Börsenverlags an einen Investor war kaum Zeit zum Feiern. Es tauchten dunkle Wolken am Horizont unserer Branche auf und die Überhitzung des Finanz- und Bankenmarkts, in der unser Verlag einer der Marktführer war, schickte ihre Vorboten aus.

Wenige Wochen nach dem Deal mit der Firma gab es dann privat eine gute Nachricht: Meine Freundin war schwanger. Wir waren unfassbar glücklich, dass es nach Jahren des Versuchens endlich geklappt hatte. Die Jahre des Kinderwunsches waren nicht spurlos an uns vorübergegangen – das hatten wir bereits bemerkt. Der Arzt der Kinderwunschklinik meinte noch – ich weiß es wie gestern: „Den Champagner können Sie schon mal kalt stellen, Glückwunsch, aber noch nicht trinken!“ Wir freuten uns beide sehr und ich besonders für meine Freundin. Sie ist ein wunderbarer Mensch, der mir immer den Rücken stärkt, für mich da ist, gerade in schwierigen Zeiten. Und sie hat keine Ansprüche, die sie nicht auch selbst erfüllen kann. Dazu kommt, sie ist immer gut gelaunt, mit einem Lächeln für mich und andere auf den Lippen. Zum Glück ist sie schon meine Freundin, sonst würde ich sie mir genau so backen. Da wir auch gerade in unser eigenes Haus gezogen waren, schien unser Glück für einen Moment perfekt. Ein guter Zeitpunkt, meine Idee weiterzuverfolgen, mich aus dem Vorstand der Firma zurückzuziehen. Nach zehn Jahren des heftigen und lehrreichen Schuftens in verschiedenen Firmen jetzt mal den Erfolg und die finanzielle Unabhängigkeit zu genießen, war ein verlockender Gedanke, gerade auch angesichts der geglückten Schwangerschaft. Ein wunderbarer Anlass, mich für einige Zeit auszuklinken, mich mal zu erholen und zu überlegen, was ich in der Zukunft als Nächstes erreichen wollte.

Der Deal mit dem Investor war gerade ein paar Monate alt und der neue Gesellschafter bekam einen neuen Vorstandsvorsitzenden. Seltsam war: Der Vorgänger, mit dem ich alles eingefädelt hatte, war von einem Tag auf den anderen nicht mehr erreichbar und völlig von der Bildfläche verschwunden. Es wurde dann schnell klar, dass die Stimmung bei unserem neuen Anteilseigner, unter dem neuen Chef, langsam kippte und etwas nicht stimmte. Durch die nahende Bankenkrise war der Markt eh schon in Aufruhr und man spürte größere Probleme auf den Finanzmarkt und die Wirtschaft zukommen. Offenbar wurde auch die Mittelakquise bei unserem Investor schwieriger und er begann, mit Fragen und permanenten Anfragen zu Zahlen in unserer AG herumzustochern. Bekanntlich macht der Ton die Musik und dieser Ton wurde rauer. Ich war darin zur damaligen Zeit auch ab und an nicht der Beste. Ich schiebe es mal auf mein noch junges Alter. Ich mag es einfach nicht, wenn mich jemand von oben herab behandelt. Noch gehörte die Mehrheit an der Firma ja mir und meinem Partner.

Es kam das, was kommen musste. Der neue Vorstandsvorsitzende verklagte uns im Frühjahr 2008 auf Rückabwicklung des Anteilsverkaufs. Zum Glück hatte ich alles wasserdicht durch einen Notar besiegeln lassen. Um alle Eventualitäten zu checken, wollte mein damaliger Partner trotzdem einen Anwalt in München nehmen, um die Verträge zu sichten und die Situation zu besprechen. Auf der Fahrt nach München hatte ich ein komisches Gefühl. Ich war da noch nie so gerne. Die Menschen dort haben so eine Art zu denken, sie seien der Nabel der Welt. Hätte ich damals gewusst, dass dieses Gespräch ein großer Tropfen in mein schon fast volles Fass werden würde, hätte ich mir eventuell die erste Depression sparen können. Hätte, hätte, Fahrradkette.

Da saßen wir dann also bei dem Anwalt in München und nach einigem Vorgeplänkel kam aus dem Nichts die Frage, ob denn die Vollmacht, die mir mein Partner für die Abwicklung des Anteilsverkaufs aus seinem Urlaub in Tokio geschickt hatte, eigentlich rechtlich in Ordnung sei. Die Frage kam so rüber, als hätte man schon darüber nachgedacht, mögliche Probleme einfach mir in die Schuhe zu schieben. Alles wirkte so klar und vorbereitet. Unglaublich, mit mir so umzugehen – demjenigen, der die Firma zu dem gemacht hatte, was sie war. Ich hätte ja auch einfach meine Anteile verkaufen können und wäre ein gemachter Mann gewesen. Stattdessen teilte ich fifty-fifty, wie es sich unter Partnern gehört. Ich muss sagen, mich traf diese Frage und die Art, wie sie vorgebracht wurde, tief. Ich konnte es kaum fassen.

Solche und ähnliche spätere Erlebnisse, die ich moralisch verwerflich finde und die meinen eigenen Wertvorstellungen widersprechen, haben mich in die berufliche Verzweiflung getrieben. Nicht schnell, nicht sichtbar, sondern langsam. Schritt für Schritt ging es bergab.

Gegen das Tabu

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