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1 FEUER IM KOPF APRIL 2019

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»Wir leben in einer verrückten Zeit:

Immer mehr Vorgetäuschtes

erntet echte Begeisterung«

Dieser Tag fing an wie so viele andere Tage auch und sollte zu einem der dramatischsten meines Lebens werden. Um elf Uhr hatte ich ein Meeting mit meinem Geschäftsführer und dem Leiter des Projektmanagements. Nach einer guten halben Stunde öffnete einer der Kollegen das Fenster des Besprechungsraums im vierten Stock und mir lief es eiskalt den Rücken runter. Ich begann, mich gedankenverloren auf das Fenster zu konzentrieren. Ich spürte, wie mich dunkle Dämonen aufsuchten und sich immer wieder derselbe Gedanke einstellte: „Wenn ich aus dem Fenster fallen würde, wäre ich diese Qual der Depression und diese tiefe innere Verzweiflung endlich los!“

Dass sich Dämonen tagtäglich auf meine Seele legten und versuchten, mich in den Abgrund zu ziehen und mir negative Gedanken einzupflanzen, war mir ja nicht neu. Neu war der Gedanke, dass ich tot wäre, wenn ich jetzt aus dem Fenster fallen würde. Ich spürte, wie sich dieser Gedanke einerseits erschreckend angenehm anfühlte, da es eine Lösung für die täglichen Qualen zu sein und eine ganz andere Perspektive zu eröffnen schien. Man ist so erschöpft, dass man für eine Sekunde bei diesem Gedanken hängen bleibt und für sich mehrfach wiederholt: „Wenn ich da rausfalle, ist es vorbei mit den Qualen. Wäre das nach all den Jahren endlich eine Erlösung? Der ganze Mist hätte endlich ein Ende.“ Andererseits fuhr es mir in der nächsten Sekunde in Kopf und Glieder: „Was für einen Scheiß denkst du denn da gerade?“

Ich war bestimmt einige Minuten des Gesprächs nicht mehr geistig anwesend und konnte mich auch nach der Rückkehr aus diesem Tagtraum schlecht konzentrieren. Aber das war nichts Neues, denn ich konnte mich schon seit gut neun Monaten kaum länger als ein paar Minuten auf eine Sache konzentrieren – außer beim Chillen auf der Couch auf das Netflix-Programm. Hoch konzentriert nichts tun, das ging. Da mir auch schlecht wurde und sich dieser Gedanke wieder und wieder alle 20 Sekunden in meinem Kopf wiederholte und ich ihn einfach nicht mehr loswurde, sagte ich meinen Kollegen, dass es mir nicht gut gehen und ich nach Hause fahren würde. Meine Kollegen in meiner Digitalagentur wussten schon länger, dass ich nicht so gut drauf war, daher waren sie nicht verwundert, als ich mich dann schnell verabschiedete. Ich erklärte noch, dass ich weiter danach suchen würde, woher meine Erschöpfung käme, und machte mich dann aus dem Staub. Ich rannte die Treppe runter und auch da kam wieder der Gedanke: „Wenn du den Treppenschacht runterfallen würdest, wärst du tot.“ Der Gedanke war für mich auch deswegen so seltsam, weil er wie eine Feststellung in meinen Kopf schoss, nicht wie ein Tun. Einfach eine Feststellung, die zur Konsequenz hätte, dass die Höllenqualen, die mich tagein, tagaus begleiteten, endlich vorbei wären.

Ich lief eilig weiter, nur schnell weg aus dem Treppenhaus, in die Garage zu meinem Auto. Auf dem Weg merkte ich, dass ich etwas ruhiger wurde, da ich auf Straßenebene angekommen war und nicht fallen konnte, außer auf die Schnauze, was nur wehtäte, mich aber nicht umbringen würde. Immer noch von Unruhe getrieben und gedankenverloren fuhr ich nach Hause und war heilfroh, als ich in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa ankam, mich hinlegen und etwas zur Ruhe kommen konnte von dem Wahnsinn, den ich gerade erlebt hatte. Nach einigen weiteren Minuten beruhigte ich mich und schlief auf dem Sofa ein.

Bevor ich einschlief, dachte ich mir noch: „Unfassbar, dass sich solche Gedanken in meinem Hirn abspielen!“ Jetzt kann man natürlich der Ansicht sein: Eine Krise, einen Durchhänger oder eine Panikattacke hat schließlich jeder mal und man erholt sich davon auch wieder. Aber jeder hat so eine Attacke irgendwann zum ersten Mal! Ich wusste nicht, wie mir geschah, und war plötzlich in noch größerer Not als vorher. Die nächsten Tage und Wochen sollten für mich noch schlimmer werden.

Gegen das Tabu

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