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2. Die Rezeption der Ironiebestimmung aus der ‘Nikomachischen Ethik’ bei Thomas von Aquin: Ironie als Sünde
ОглавлениеWährend die Rhetorik-Schriften im Horizont von Funktionalitätserwägungen über die Problematik von Ironiegebrauch und Ironiestrategien nachdenken, erhält in der Ethik des 13. Jahrhunderts die Bedenklichkeit von Ironie noch eine andere Dimension: Sie steht unter Sündenverdacht. Dies ist umso bemerkenswerter, als seit dem 12. Jahrhundert der Sinn für literarische Strategien der Ironie ständig gewachsen ist und sich insbesondere mit der Entwicklung von Satire und Invektive seit dem späten 11. Jahrhundert deutlich ausgebildet hat. Bei Thomas von Aquin wird nun ein anderes Ironieverständnis relevant. Aus der ‘Nikomachischen Ethik’ übernimmt er im Abschnitt über Lüge (mendacium) in der ‘Summa theologiae’ die aristotelische Bestimmung der Wahrhaftigkeit als der Tugend in der Mitte zwischen Prahlerei (iactantia) und Ironie (ironia); Aristoteles sagt: „Bezüglich der Wahrheit soll, wer die Mitte einnimmt, wahrhaft und die Mitte Wahrhaftigkeit heißen. Ihre Entstellung nach Seiten des Zuviel heiße Prahlerei und, wem sie eigen ist, prahlerisch, die nach Seiten des Zuwenig Ironie oder verstellte Unwissenheit, die Person ironisch.“38 Bei der Behandlung der Einzeltugenden wird die Wahrhaftigkeit ausführlich als tugendhafter Habitus gewürdigt, der die Lüge verabscheut. Von den beiden Haltungen, die ins Lasterhafte abgleiten, ist die Prahlerei ‘der schlimmere Fehler’, während diejenigen, „die […] die Ironie mit Maß und nicht gar zu handgreiflichen und offenkundigen Dingen anwenden, […] als freie und anmutige Menschen“ erscheinen, Sokrates wird als gutes Beispiel angeführt.39 Die übertriebene Vortäuschung von Mangel kann aber auch als eine Art Prahlerei verstanden werden, z. B. wenn jemand aus vorgeblicher Bescheidenheit, also aus Prahlerei „ein lakonisches Kleid trägt“.40 Thomas handelt also im ethischen Teil der ‘Summa theologiae’ darüber, ob Ironie eine Sünde sei, die der Wahrhaftigkeit entgegensteht.41 Für Prahlerei (iactantia) und Ironie (ironia) wird, nachdem bereits Verstellung (simulatio) und Heuchelei (hypocrisis) als Sünde, doch in verschiedenen Schweregraden dargestellt sind, eine Unterscheidung in der Bewertung getroffen, die das Urteil der ‘Nikomachischen Ethik’ widerspiegelt. Während Prahlerei immer lügenhaft und daher Sünde – je verschiedenen Schweregrads – ist, wird die Ironie, die sich selbst dissimulativ kleiner macht, positiver und differenzierter beurteilt. Für solche Haltung, die als Demut gegenüber der superbia erscheint, fällt Thomas mit der Berufung auf Autoritäten (Bibel, Gregor d. Gr., Aristoteles) das Urteil: ironia non est peccatum.42 Dagegen steht eine Aussage Augustins, die das Lügen aus Demut als Sünde einstuft. Diesen Widerspruch löst Thomas auf: So ist die Ironie, „mit der einer gering von sich spricht, indem er lügt und ableugnet, was in ihm groß ist, […] Sünde; nicht aber jene, womit wir das Geringere vorbringen, das wahre Größere verbergen“.43 Da aber nicht eine Sünde erlaubt ist, um eine andere zu vermeiden, wie mit Augustin und Gregor nachgewiesen wird, ist der Grad äußerst schmal, hier die Lüge zu vermeiden. Allerdings ist Prahlerei wegen der Täuschungsabsicht verwerflicher als Ironie, wie schon Aristoteles gesagt habe. Doch kann Ironie auch aus sehr niedrigen Motiven gebraucht werden (ad dolose decipiendum), so dass sie zur gravierenderen Sünde wird.
Als interessanter und für mittelalterliches Verständnis offenbar relevanter Beispielbereich wird die Kleidung herangezogen, in der sich gleichsam ohne Worte Prahlerei und Ironie manifestieren können; denn sie wird instrumentalisiert vom Ruhmsüchtigen: die zu reiche Kleidung, um weltlichen Ruhm zu erlangen, die zu bescheidene, schäbige Kleidung (vestis abiecta), um geistlichen Ruhm (excellentia spiritualis) zu erringen, wogegen die Bibel (Mt. 6,16) und Aristoteles aufgerufen werden. Kleidung, die ihrer eingeführten Bezeichnungs- und Aussagefunktion widerspricht und damit die Pflicht zur Wahrhaftigkeit im sozialen Kontext verletzt, verrät Ruhmbegierde, Genusssucht, Heuchelei, Geiz, übertriebene Sorgfalt oder Nachlässigkeit, wie Thomas an anderer Stelle breiter erläutert.44 Deshalb verweist er hier auf Augustin, dessen Vita berichte, „dass er weder zu kostbare noch zu abgetragene Kleidung besitzen wollte, weil in beiden Menschen ihren Ruhm suchen“.45
Außer bei der Wahrhaftigkeitsdiskussion kommt Ironie in der Ethik bei Thomas noch einmal kurz in der Bestimmung der Tugend Hochherzigkeit (magnanimitas) zur Sprache, wo es um die Fehler des Protzens und der Aufgeblasenheit sowie deren Gegenteile geht im Hinblick auf das richtige Verhältnis zu den Gleichgestellten und Niedrigergestellten, so dass auch die Ehre berührt wird: quod utitur ironia ad multos, […] quia non totam magnitudinem suam monstrat, maxime quantum ad inferiorum multitudinem, „weil wie der Philosoph [sc. Aristoteles] ebenda sagt, es vom Hochherzigen zu erwarten ist, daß er groß sei gegenüber denen, die in Würde und in komfortabler wirtschaftlicher Lage sind, zu denen, die mittelmäßig ausgestattet sind, aber gemäßigt“.46