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ОглавлениеIII. Ironiemarkierung in der Kommentarliteratur
1. Kommentierung der Dichter
Nicht nur über die Theorie, das heißt die Ironiedefinitionen der Rhetorik und Ethik, gelangen Vorstellungen von der Ironie aus der Antike in die Schulen des Mittelalters, sondern auch mit der Praxis der Dichterlektüre und Dichtererklärung sind ironische Redeformen weiter vermittelt worden, und zwar in oft differenzierterer, weil situationsgebundener Form gegenüber dem Lehrbuch.
Die antike Auctores-Philologie hatte ein ausgefeiltes Verfahren der Dichterkommentierung ausgebildet. Es gab glossematische, stilistische und sachliche Erklärungen in der sogenannten enarratio, aber auch Textexegese (interpretatio) und literarische Kritik (iudicium). Als erste von sechs Stufen oder officia des Kommentators gingen nach den Theoretikern noch Textkritik (emendatio) und als zweite Leseanleitungen (lectio) voraus. Die für die Ironie relevanten Erläuterungen der rhetorischen Figuren gehörten in die Stilerklärungen. Sie wurden in den Handschriften wie die anderen Kommentarbemerkungen interlinear oder marginal dem Dichtertext hinzugefügt.1 Aus den spätantiken Dichterkommentaren und -scholien zur lateinischen Literatur sind dem Mittelalter nicht wenige solcher Erklärungen erhalten geblieben und haben in der Schulausbildung die Dichterlektüre angeregt sowie mit den Methoden der Kommentierung vertraut gemacht, und so auch mit dem Erkennen der Ironie.
Die Dichterkommentierung vor allem zu Vergils Werken war dem Mittelalter besonders durch die spätantiken Kommentarautoren Servius und Donat (um 400) vertraut. Nachdem schon Isidor von Sevilla den Servius-Kommentar gründlich ausgeschrieben hatte, eigneten sich die Iren, dann die Angelsachsen und durch sie schließlich die Klostergelehrten Mitteleuropas die klassischen Werke und ihre Erläuterungsmethoden an. Servius weist wiederholt in Vergils Werken auf Ironie hin unter den Bezeichnungen ironia und irrisio oder cavillatio. Wo im ersten Buch der ‘Aeneis’ Neptun wütend ist, dass Aeolus auf Junos Befehl die Winde losgelassen und die Trojaner mit ihren Schiffen in Lebensgefahr gebracht hat, schickt er die Winde, die eigentlich seiner Befehlsgewalt unterstehen, zurück in die Felsenhöhle des Aeolus und lässt diesem bestellen, er solle dort in seinem Palast große Töne spucken und in jenem Kerker der Winde seine Königsherrschaft ausüben. Der Servius-Kommentar bemerkt dazu: Palast (aula) sei Ironie; denn es folge ja Gefängnis (carcer), und „nichts sonst ist ihm so entgegengesetzt, wenn wir das einfach verstehen“.2 Derartige Kommentarbemerkungen, die den Leser auf ironische Aussagen der ‘Aeneis’ und der anderen Werke Vergils aufmerksam machen, gibt es etliche, mehrfach zum Beispiel, wenn im Vergiltext superlativisch etwas mit dem Wort egregius, ,herausragend‘, oder ähnlich bezeichnet wird. Helena, die die Trojaner durch ihren Wink an die Griechen mit der Fackel zum Einzug in die Stadt mit dem Pferd ermutigte und bei den Trojanern die Waffen versteckt hatte, so dass sie wehrlos waren, heißt egregia coniunx3 ,was Servius als Ironie deutet: […] habebat coniugem perniciosam maritis: unde sequitur ,egregia interea coniunx‘ per ironiam.4 Die Liebeskrankheit Didos – so Juno zur Göttin Venus und Cupido – sei ein großer Sieg und Ruhm (egregia laus5), da zwei Götter einen Menschen besiegt hätten; Servius sagt, dies sei Ironie.6
Wenn auch die Dichterkommentierung und so auch die Ironie im Mittelalter noch keineswegs aus den Handschriften aufgearbeitet ist, lässt sich zeigen, dass diese Glossen und Kommentare sowohl durch die Servius- und Donat-Überlieferung in den Schulen rezipiert wurden als auch Eingang in andere Informationsquellen fanden, wodurch sich ihr Wirkungsradius erheblich erweiterte. So illustriert Isidor in den ‘Etymologiae’ den Tropus ironia mit dem Aeneis-Beispiel des Aeolus-Palasts aus Servius7 und erklärt dann genauer: „Und wieso Palast, wenn es ein Kerker ist? Denn gelöst wird [das Problem] durch die Intonation. Denn ,Kerker‘ ist die [eigentliche Bedeutung der] Betonung; ,er soll sich rühmen‘ und ,Palast‘ ist Ironie, und der ganze Ausdruck wird im entgegengesetzten Sinn der Intonation angezeigt durch eine Art der Ironie, die durch Lob verspottet.“8 Sedulius Scotus erweitert in seinem Donat-Kommentar dessen Ironieerklärung mit dem Dido-Beispiel Aeneis IV 93 dahin, dass er mit Donat sagt: „Die Ironie […] ist eine Rede, die durch Nachdruck der Intonation (pronuntiationis grauitate) in den entgegengesetzten Sinn überführt, wie: ,Wahrlich ausgezeichneten Ruhm und reiche Beute erwerbt ihr, du und dein Sohn.‘ Wenn dieser Rede nicht der Nachdruck der Intonation hülfe, wird bejaht scheinen, was sie zu verneinen sich bemüht.“9 Dieser Satz, sagt Sedulius, die Erläuterung wiederholend, wird, wenn er nicht nachdrücklich intoniert wird, nicht Tadel, sondern Lob ausdrücken.10
Auch aus der immer ironieverdächtigen Gattung der Satire sei ein pointiertes Beispiel gegeben: die Kommentierung zur ersten Satire des Persius – des poeta romanus clarissimus et optimus, wie Konrad von Hirsau, ein strenger Literaturlehrer des 12. Jahrhunderts, sagt: „ein Satiriker, der mit schamloser Stirn (ungescheut) die Fehler der Römer tadelt und diese als ethisch verworfen in feinem Stil brandmarkt und entblößt“11. Die erste Satire formuliert das poetische Programm und kritisiert den oberflächlichen Literaturbetrieb in Rom in dialogischer, der Diatribe verwandter Form, einem Gespräch zwischen dem Dichter-Ich und einem Interlokutor. Die ausgedehnte Glossenüberlieferung dieses schwierigen Textes in den Handschriften des Mittelalters seit dem 10. Jahrhundert, die zum Teil auf antike Kommentierungen zurückgeht, enthält dichte Hinweise auf ironische Lesarten, zum Beispiel bis zu neunmal die Diagnose ,ironisch‘ in der ersten Satire (Tradition B). Nur wenige Glossenbemerkungen von exemplarischer Bedeutung seien zur Illustration vorgeführt. Schon für den ersten Vers der ersten Satire wird in einigen Kommentaren eine kontroverse Diskussion über den Ironiegehalt berichtet: O curas hominum, o quantum est in rebus inane! („Ach, die Mühen [Sorgen] der Menschen, ach, wie viel in den Dingen [der Welt] ist nichtig!“). Diesen Eingang des Dichters im Satirenbuch haben mehrere Kommentare als ironisch aufgefasst, andere aber sahen darin ernste Bewunderung, wenn Autoren sogar göttliche Dinge behandeln wollten; gleichwohl sei in solchen Abhandlungen vieles eitel (inane) und daher lächerlich: Multi sic exponunt, ut ,o curas hominum‘, hyronicos dictum sit; hominum (i. e.) cogitationes hominum. Alii cum ammiratione dictum dicunt ,O curas hominum‘, quorum sollicitudo usque in diuinarum rerum tractatum uoluit venire […]; quanta est ipsis, inquit, tract(tat)ionibus inane ridendum.12 Der Konsens der vielen ist – bei Persius’ Nähe zu seinem Lehrer, dem Stoiker Cornutus – sicher richtig, zumal die Machart von Epos und Mythos zugunsten von Dichtung mit Alltagselementen schon im Prolog abgelehnt wird. Das Dichter-Ich schildert gegenüber dem Interlokutor danach die lächerliche Szene der in Rom üblichen Dichterlesungen und fragt dann rhetorisch, ob solche Veranstaltungen wohl dem bereits toten Dichter nützten: „Beifall zollten die Männer – ist jenes Dichters Asche jetzt nicht glücklich, drückt seine Knochen der Grabstein jetzt nicht leichter? Die Teilnehmer am Gastmahl loben ihn – werden jetzt nicht aus seinen sterblichen Überresten, werden jetzt nicht aus dem Grab und seiner Asche Veilchen erblühen?“ Mehrere Kommentare verstehen diese Fragen als ironischen Spott des Autors und als Infragestellung der Effektivität solchen Dichternachruhms. Nach der Schilderung, wie die epischen Dichterlinge das Landlob zu gestalten pflegen, fällt der Satiriker ein: „Bravo, Dichter!“ (Euge, poeta), was die Kommentare recht einhellig als Ironie verstehen: Euge i. e. gaude; yronia(e) species, qui (besser: quia oder que)13 laudando deridet. Von solchen Dichtern, sagt Persius, komme die Wertschätzung des Schwulstes. Das euge wird als Ironiesignal in der Bibelkommentierung wieder begegnen. Auch weitere Verse dieser Satire sowie der folgenden Satiren werden in dieser Art als ironisch gemeint analysiert.14
Dass das Kommentierungsverfahren der antiken Autoren nicht nur weiter vermittelt, sondern auch auf neue Texte angewandt wurde, zeigen Glossen des Hochmittelalters zu mittelalterlichen Dichtungen. Zwei Handschriften mit Glossen zu Walters von Châtillon Epos ‘Alexandreis’ bezeichnen die beleidigende und drohende Aufforderung des Darius an den jugendlichen Alexander, doch auf den Schoß seiner „keuschen Mutter“ zurückzukehren statt gegen ihn Krieg zu führen, mit yronice15 oder: CASTE dicit yronice quoniam Nectanabus et alii cum ea adulterati sunt16 – in Anspielung auf die angeblich uneheliche Geburt Alexanders aus der Verbindung seiner Mutter mit dem Pharao Nectanabus. Wie weithin für die Glossen zu antiken Werken fehlt erst recht für mittelalterliche Dichtungen, die auch als Schullektüre verbreitet waren, noch jegliche Forschung: für Walters ‘Alexandreis’, für die Dichtungen Alans usf., von denen es zahlreiche glossierte Handschriften gibt. Nur wo einzelne Kommentare bereits ediert oder sogar elektronisch erschlossen sind, ist das Material auswertbar.