Читать книгу Ironie im Mittelalter - Gerd Althoff - Страница 18

2. Der Sündenfall Adams (des Menschen)

Оглавление

Die Ironie der Paradiesesgeschichte beginnt für den Menschen nach Rupert schon im zweiten Genesiskapitel, beim „Baum des Lebens in der Mitte des Paradieses und dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ (Gen. 2,9). Rupert nennt den zweiten Baum ‘Baum des Todes’, denn Adam erhält das Verbot von diesem Baum zu essen bei Androhung der Strafe des Todes, wenn er die Anweisung missachte, allerdings mit gleichzeitiger Erlaubnis, von allen übrigen köstlichen Früchten des Paradieses nach Wunsch zu essen. Rupert gibt dafür eine Erklärung, die für den Baum des Todes die Lüge des Teufels gegen die Ironie Gottes stellt: „Es wird ganz klar, dass er ironisch (ironice) Baum der Erkenntnis genannt wurde. Denn Gott sagte: ,An dem Tag, an dem ihr davon esst, werdet ihr des Todes sterben‘; und er hat die Wahrheit gesagt. Dagegen sagte aber die Schlange: ,Esst, und ihr werdet sein wie Götter, die das Böse und das Gute erkannt haben‘, und er hat gelogen. Gott, sage ich, hat die Wahrheit gesagt und die Schlange hat gelogen; denn durch den Verzehr [des Apfels] sind sie nicht Götter geworden oder haben erweitertes Wissen erhalten, so dass sie das Gute und das Böse, das heißt alles, wussten, sondern nach der Wahrheitsaussage Gottes waren sie auf der Stelle in der Seele tot und wurden am Körper sterblich. Daher ist der Baum ironisch (ironice) ‘Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen’ genannt worden, so dass er schon durch seinen Namen für die Leser ein Monument der teuflischen Lüge darstellt.“6 Rupert führt dann aus, dass nicht die Natur des Baumes, sondern der Ungehorsam des Menschen Ursache des Todes gewesen sei und dass Gott beiden rationalen Geschöpfen, dem Engel und dem Menschen, eine Prüfung zugemutet habe. Versuchung war die jeweils größte Vollkommenheit des Versuchungsobjekts, hier Luzifers, dort des schönsten Obstbaums; den Hinweis auf die Vergleichbarkeit beider findet Rupert im Propheten Ezechiel (31,8 f.), wo als gemeinsame Ursache der Hochmut (superbia) benannt wird.7

Die schärfste Ironie schreibt Rupert Gottes Ausspruch nach dem Sündenfall zu, nachdem er erklärt hat, wie der Mensch, an Seele und Leib dem Tod verfallen, von da an auf selbstgesuchte Nahrung und auf Kleidung gegen die Kälte wegen seiner nun schwachen Konstitution angewiesen ist: „Da ruft Gott aus: ,Sieh, Adam ist gleichsam einer von uns (der Trinität) geworden mit seiner Erkenntnis des Guten und des Bösen.‘“8 Nachdem die Trinität – so die Argumentation – zuvor den Menschen nach ihrem Bild oder sich selbst ähnlich geschaffen hatte, ist er durch den Ungehorsam zum Gegner geworden: „Dieses ist die schwerste und äußerst bittere Ironie im Mund Gottes des Herrn. Denn wer war Adam und wie geschaffen?“9 Gott aber, so Rupert, ist weder dem Tod verfallen noch auf Speise und Nahrung angewiesen: „Also wird nicht wahr (eigentlich), sondern ironisch gesprochen oder muss gesprochen werden, weil dieser so Beschaffene gleichsam einer von uns geworden ist. Und warum muss er mit so großer Ironie verspottet werden? Natürlich deshalb, weil er dumm und hochmütig dem durchtriebenen Teufel glaubte, als jener sagte: ,Und ihr werdet sein wie Götter.‘“10

Auch Hugo von St. Victor betont die Ironie dieses Satzes, wenn er sagt: Irrisio est, „es ist Ironie, die sich auf seine dumme Gutgläubigkeit gegenüber den Worten der Schlange bezieht“,11 und ,Ihr werdet sein wie Götter, die die Erkenntnis des Guten und Bösen haben‘ bedeutet: „Wie sehr auch nur Eva, nicht Adam, das glaubte, so wird es ihm doch zugerechnet als einem höher Gestellten und Gelehrten. Eine solche Ironie geschieht manchmal mit Verschulden dessen, der sie erfährt, und deshalb zu Recht wie hier, manchmal jedoch auch aus Bosheit des Ironikers und dann ist sie die rhetorische Figur des Sarkasmus.“12 Das Wissen von dieser Ironie am Beginn der Heilsgeschichte hat eine lange Wirkungsgeschichte und findet ihren Nachhall zum Beispiel noch bei Pascal, der auch Ruperts und Hugos Interpretation kennt.13 Dass die Voraussage des Teufels sich für den Menschen nicht im Sinn der göttlichen Allwissenheit und Providenz erfüllt hat, sondern nach der Erfahrung des Guten am Anfang nur noch die Erfahrung des Bösen hinzugekommen ist und ihm beständig anhaften wird,14 erfüllt den Teufel nach Rupert mit ironischem Vergnügen.15 Er selbst hatte bereits statt der göttlichen felix aeternitas die infelix aeternitas, die totale dissimilitudo erlangt.16 So wurde auch der Mensch dem Versucher ähnlich, nicht Gott. Dass Gott dies ironisch ausdrückt, das heißt statt negativ das Faktum der nicht eingetretenen Ähnlichkeit mit sich zu konstatieren, macht die Aussage nach Rupert sehr viel härter.17 Die positiv-ironische Aussage steigert die Härte des Tadels.

Auch im Eingangssatz dieses diabolischen Versprechens: ‘Eure Augen werden geöffnet werden’, versteht Rupert, für den die Öffnung der Augen und die visionäre Kraft ein hohes Gut sind,18 als gravierenden Teil der Ironie des Teufels: eine acerba nimis ironia, die der Verfasser der Genesis bewusst formuliert (gemituosa conquestio scriptoris dicentis), wenn er sagt: „Beider Augen wurden geöffnet“, und sie erkannten ihre Nacktheit; er lässt damit die Schwere des Wandels ironisch durchblicken.19 Das Resultat des ironischen Versprechens der Schlange wird kurz zusammengefasst: Deus iratus, diabolus risu et cachinno dilatatus, uterque sexus ignominia percussus.20

Der Eintritt der Unähnlichkeit des Menschen mit Gott hat nach Rupert noch einen anderen Aspekt, der in Gottes Ironie mitschwingt. Nach seiner Erschaffung erhält der noch sündlose Adam den Auftrag, mit seiner Nachkommenschaft die Erde zu erfüllen; denn, sagt Rupert, nicht durch die Sünde, sondern durch die Segnung Gottes sei dem Menschen das Geschäft der Zeugung übertragen worden, damit er Erwählte hervorbrächte, die ohne den Durchgang durch den Tod in die Reihen der Engel gelangten in jenem himmlischen Paradies (aethereus paradisus).21 Durch die Übertretung des Verbots hat sich auch dieser Segen so in Fluch verkehrt, dass der Antrieb zur Zeugung von Nachkommen nicht mehr der Vernunft, sondern unfrei wie beim Tier der Lust (libidinis tumultus barbaricus) unterworfen ist. Auch damit hat er nicht eine gottgleiche Potenz der schöpferischen Hervorbringung gewonnen.22 Mit dieser Argumentation will Rupert die Meinung widerlegen, dass die Zeugung von Nachkommenschaft für den Menschen insgesamt nur eine Folge des Sündenfalls sei.

Anders hatte es Johannes Scottus Eriugena gesehen, auf den Rupert sich hier beziehen könnte. Angeregt durch die griechische Exegese, setzt er bei einem anderen Punkt der Paradiesesgeschichte an. Er verortet Gottes Ironie in dem Ausspruch Gen. 2,18: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Lasst uns ihm eine Gehilfin schaffen.“ In seinem systematischen Weltentwurf diskutiert er im vierten Buch von ‘Periphyseon’ die Anthropologie in ihrem Verhältnis zur platonisch gedachten Rückkehr der Schöpfung in Gott. In einem Zwiegespräch zwischen Adam und dem Magister seines Dialogs entwickelt Eriugena sehr originell seine Interpretation dieses Satzes als göttliche Ironie: „Dies erklärt auch die göttliche Ironie (divina ironia) sehr klar, wenn sie sagt: ,Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, lasst uns ihm eine ihm ähnliche Gehilfin schaffen.‘ Als ob Gott offen sagte: Es erschien dem Menschen, den wir nach unserem Bild und uns ähnlich geschaffen haben, nicht gut, allein zu sein, d. h. einfach und vollkommen und allumfassend generell ohne die Teilung seiner Natur in die Geschlechter, der Natur der Engel ähnlich, unabhängig (autonom) zu bleiben, sondern [er hielt es für gut] sich kopfüber abwärts in irdische Verbindungen (coitus) in gleicher Weise wie die Tiere zu stürzen und so die Einheit seiner Natur durch fleischliche Fortpflanzung und durch körperliche Geschlechtsakte wie mit Samen zu vervielfältigen, in Verachtung der Würde der Vervielfältigung nach himmlischen Zahlen. Lasst uns ihm also eine Gehilfin schaffen, die ihm ähnlich sei, mit der er das, wonach er verlangt, ausüben kann, eine Frau also, die ähnlich wie der Mann, zerbrechlich und lüstern ist und irdische Lüste sucht. Und das ist es, was die Heilige Schrift antizipierend vorbringt, wenn sie sagt: ,Als Mann und Frau schuf er sie‘, als Gefäße nämlich, körperlich Nachkommenschaft zu zeugen, in Verachtung der Würde der göttlichen Ebenbildlichkeit und einer spirituellen Zahlenfülle.“23 Eriugena interpretiert also den Sündenfall des Paradieses als Gleichniserzählung, die deutlich macht, dass der Mensch selbst im Nachgeben gegenüber seinen Affekten als den niederen Kräften seiner Seele die Ursache zum Abfall von seinem Schöpfer in sich hatte, und zwar Adam wie Eva; daraus, das heißt aus dieser Spaltung, resultiert die defektive Natur des Menschen. Gleichwohl beeilt Eriugena sich dann, die legitime Ehe und das Zeugen von Nachkommen in ihr als einzige Möglichkeit nach dem Fall zu erklären, in der Gottes Gebot der Vermehrung des Menschen zu erfüllen sei.

Rupert reflektiert im Johannes-Kommentar noch einmal den unglücklichen Beginn der Heilsgeschichte mit Gottes Antwort in vernichtender Ironie gegenüber Adam und Luzifer, in einer düsteren Ironie (cum lugubri ironia), die sich auch in der Bezeichnung des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bösen ausdrückte.24

Ironie im Mittelalter

Подняться наверх