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3. Kommentierung der Bibel

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Da die Bibel im Mittelalter das mit weitem Abstand am meisten kommentierte Buch ist und für Jahrhunderte – vor dem Vordringen des römischen Rechts – keine nennenswerten Parallelen hatte, ist auch die Kompetenz der Kommentierung, die im Umgang mit den antiken Werken vermittelt und erworben wurde, hier durchaus besonders fruchtbar geworden. Schon in der Spätantike ist dieses Verfahren der Bibelerklärung zugute gekommen. Um die Übertragung solchen Wissens auf das Bibelstudium haben sich auf verschiedene Weise die patristischen Autoren, besonders Augustin, Hieronymus und Cassiodor, verdient gemacht. Die elektronische Volltextsuche hat für die Patristik wie – in deren Nachfolge – für das Mittelalter Hunderte von Ironiebelegen in Schriftkommentaren ergeben, und zwar sind alle Wortformen von ironia sowie ein Teil der irrisio- oder derisio-Belege einschlägig. Es ist hier nicht beabsichtigt, diese Materialfülle auszubreiten und zu analysieren, da die Konstatierung des Ironischen bei den Exegeten weitgehend die antiken rhetorischen Ironiebedeutungen mit ihren leichten Sinnvarianten widerspiegelt. Von außerordentlichem Gewicht ist jedoch die große, sichere Vertrautheit der Autoren dieses Literaturzweigs mit der Ironie – ein Faktum, das in der Ironieforschung bislang ganz übersehen wurde.

Exemplarisch sollen hier nur zwei Autoren der Spätantike hervorgehoben werden. An Augustin und Cassiodor ist die Einführung der ironischen Interpretationsweise in die Bibelexegese zu verdeutlichen, in theoretischem Ansatz und in praktisch-hermeneutischer Didaxe. Beide Vorgaben haben in der Bibelexegese des Mittelalters eine breite Wirkung entfaltet.

Augustin handelt theoretisch anleitend zum Schriftverständnis in ‘De doctrina Christiana’ III 29,40 f. über Tropen, die auch reichlich in der Bibel vorkommen. Insbesondere veranschaulicht er das an solchen, die „das Gegenteil von dem bezeichnen, was gesagt wird“, also an Ironie und Antiphrase.19 Für die Ironie hebt er vor allem die Bedeutung der Intonation hervor wie die spätantiken Rhetoriken: „Die Ironie zeigt durch Intonation an, wie sie verstanden werden will; zum Beispiel wenn wir zu einem Menschen, der etwas schlecht tut, sagen: ,Das machst du gut.‘“20 Auch der Kontext (adiunctis verbis) enthält – so Augustin – Ironiesignale: „Wir erreichen durch den Kontext, dass das Gegenteil von dem verstanden wird, was wir sagen, zum Beispiel wenn wir sagen: ,Hüte dich vor jenem, denn er ist ein guter Mensch‘“.21

In diesem Zusammenhang macht Augustin auch eine wesentliche Feststellung, die sonst selten ausgesprochen wird. Er reflektiert über die Ubiquität der Ironie wie anderer schwieriger Tropen als Kommunikationsstrategien, auch ohne alle gelehrte Bildung: „Wer sagt solches nicht, auch wenn er ungelehrt ist und keine Ahnung von der Definition und Bezeichnung dieser Tropen hat.“22 „Dennoch werden nahezu alle diese Tropen, die, wie man sagt, durch eine der Freien Künste gelernt werden, auch in den Reden (loquellis) derer gefunden, die keine Grammatiklehrer gehört haben und sich mit der Umgangssprache, die das Volk gebraucht (eo, quo vulgus utitur, sermone), begnügen […]. Denn die Redeweise des Volkes umfasst sogar jene Tropen, die deswegen umso bemerkenswerter sind, weil sie das Gegenteil von dem bezeichnen, was gesagt wird, also Ironie und Antiphrase.“23

Diese Feststellung, die grundsätzlich zutrifft für jede Beschäftigung mit der Ironie, war insofern für die Bibelinterpretation von Bedeutung, als dieses Buch durch lange Zeiten von vielen verschiedenen Autoren, darunter – so das Verständnis des Mittelalters – auch von den ungelehrten Fischern im Neuen Testament geschrieben wurde, selbst wenn ihr Sinn vom Heiligen Geist inspiriert war. Dunkle, schwer verständliche Stellen der biblischen Bücher – so Augustin – erforderten aber die Artes-Kenntnis, also auch die Vertrautheit mit den Tropen, da die Autoren der Bibel sie reichlich gebrauchten. Die Gelehrten sollen sie kennen, um dunkle Stellen zu verstehen.24

Für die Einübung in ein derartiges kompetentes Lesen der Bibel schrieb Cassiodor seinen Psalmenkommentar, der zwar durch Augustin angeregt war, aber zwei besondere Merkmale hatte: Er war eine im strikten Sinn allegorisch-christologische Auslegung und er vermittelte pädagogisch ganz gezielt Triviumswissen, das heißt, er entwarf und benutzte ein Verweissystem von 13 verschiedenen marginal verzeichneten Siglen, die auf die angewandten Interpretationsverfahren aufmerksam machten und ein schnelles Finden, Vergleichen oder Memorieren ermöglichten. Die Tropen etwa wurden mit SCHE (hoc in schematibus) oder TOP (hoc in topicis) angezeigt, so auch die gar nicht seltene Ironie. Zum Beispiel spricht Ps. 27,3 davon, dass es Leute gibt, die Frieden auf den Lippen, aber Böses im Herzen haben. Cassiodor deutet das christologisch: Die Juden sagen, um Jesus zu versuchen: „,Wir wissen, dass du von Gott gekommen bist ,Meister.‘ Also war Frieden auf den Lippen jener, im Herzen aber Bosheit. Diese Figur heißt Ironie (ironia), das ist ironischer Spott (irrisio), sooft von etwas, das unter dem Schein des Lobes gesagt ist, deutlich gemacht wird, dass es den Sinn eines Tadels hat.“25 Am Rand weist die Sigle SCHE auf die Ironie hin. Nicht wenige Psalmenverse werden in dieser Art christologisch als Ironie interpretiert (s. unten). In anderen Fällen greifen tropologische Deutungen, wie für Ps. 101,9, wo es von den Feinden des Psalmisten heißt: ‘Die mich lobten, schworen gegen mich.’ Wo die teuflische Bosheit, sagt Cassiodor, nicht direkt Erfolg hat, nutzt sie andere Mittel, nämlich zum Beispiel Verleumdung und Ironie, was wieder im Text mit Benennung der Figur, ironia, id est irrisio, näher erläutert wird; darauf weist die Markierung SCHE am Rand zusätzlich hin.26

Cassiodor gelingt es, in seinem auch später viel gelesenen Psalmenkommentar – zum Beispiel seinen Mönchen in Vivarium – zu zeigen, welche Interpretationsmittel bei der eigenen selbständigen Lektüre der Heiligen Schrift anzuwenden sind. Ironieverständnis wurde so eingeübt und gehörte in der Folge für zahlreiche Schriftsteller zum festen Interpretationsbestand.

Ironie im Mittelalter

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