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3. Die Ironien der Passion

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Die Geschichte der Passion mit ihren spannungsreichen Antagonismen enthält nach exegetischer Interpretation eine Reihe von Ironien. Das Paradox der Menschwerdung Gottes kommt in ihnen von verschiedenen Blickpunkten her zur Erörterung. Auch dabei greift wieder die Exegese des Alten und des Neuen Testaments ineinander.

Schon im Vorfeld verschärfen sich die Nachstellungen der jüdischen Priester oder der Pharisäer gegenüber Jesus; ihre kritischen, jedoch ironisch verpackten Fragen an ihn, die die Exegeten auch durch reiche Textbezüge zu entsprechenden Psalmen ergänzen, leiten den Schlussakt der Auseinandersetzung ein. Zum Beispiel sagt Cassiodor zum Vers Ps. 27,3, der von denen handelt, die das Friedensgespräch mit dem Nächsten vortäuschen: „Er [der Psalmist] erinnert an die Juden, die, um ihn [Jesus] zu versuchen, sagten: Wir wissen, dass du von Gott als Lehrer gekommen bist. Auf den Lippen jener war Frieden, aber im Herzen Bosheit. Diese Figur heißt ironia, das heißt irrisio, sooft etwas, das als Lob formuliert wird, sich im [wahren] Verständnis als Tadel erweist.“25

Schon der ‘Verkauf ’ Jesu, das heißt der Lohn von dreißig Silberlingen für den Verrat, den Rupert beim Propheten Zacharias angekündigt sieht (Zach. 11,12), heißt nur ironisch (ironice) Lohn; denn in Wirklichkeit ist er Blutpreis (sanguinis mei pretium).26

Der nächste ironische Vorfall ist der Verrat an Jesus im Garten Gethsemane mit dem Judas-Kuss. Während diese Gebärde lügnerisch ist, wird Jesu Antwort darauf: ‘Freund, wozu bist du gekommen?’, schon in Bedas Lehrtraktat über die rhetorischen Figuren als Paradebeispiel für Ironie in einem Wort, nämlich amice, geführt: Da er in feindlicher Absicht kommt, ist er das Gegenteil eines Freundes.27 Dieser Deutung folgen viele Exegeten.

Das Verhör vor Caiphas interpretiert Rupert in originellem Ansatz intertextuell, und zwar unter durchgehender Heranziehung von Zacharias 13, einem Kapitel, das er als prophetische Voraussage der Passion versteht. Die Frage des Hohepriesters (adulatione crudeli) nach seiner Funktion als Messias beantwortet Jesus hier nicht wie im Neuen Testament mit der Vorausdeutung auf seine Herrschaft im Himmel und seine Wiederkehr am Jüngsten Tag, was der Hohepriester als todeswürdige Blasphemie einstuft (simulata tristitia), sondern er antwortet mit Zach. 13,5 ironisch: „Ich bin nicht Prophet, ich bin ein Bauer, da ja Adam mein Beispiel war seit meiner Jugend.“ „Das war“, sagt Rupert, „eine gewaltige Verhöhnung und schwerste Ironie (ironia gravissima), da er ja im Verneinen ziemlich heftig bejahte und im Zustimmen ziemlich stark verneinte.“28 Seine Verneinung einerseits und Bejahung andererseits greift nach Rupert unmittelbar die falschen Behauptungen der Hohenpriester selbst auf und ironisiert sie mit seiner scheinbaren Bekräftigung. Auch Adam war ja nicht sein Beispiel, da dieser wie Luzifer seinen eigenen Ruhm suchte, Jesus selbst aber zum Ruhm des Vaters handelte (nach Ioh. 8,50).

Die zweifache Verspottung Jesu (duplex illusio) von den Knechten des Caiphas einerseits und den Soldaten des Pilatus andererseits, das heißt nach Rupert von den Juden und den Heiden, enthielt eine doppelte Ironie: Wort- und Handlungsironie. Die Handlungsironie beim Auspeitschen, Bespeien und Ohrfeigen bestand in der Aufforderung, in dem Blindekuhspielen, dem Verbinden seiner Augen und dem Prophezeien, wer die Schläge ausgeteilt habe: Prophetiza nobis, Christe: Quis est qui te percussit?29 Ebenso war die verspottende Einkleidung mit Königsgewand und Insignien wie der Dornenkrone und dem Rohr als Zepter sowie ihrer Huldigung im Niederknien Handlungsironie, die mit Wortironie, dem ironischen Gruß des Königs (derisio regii nominis) noch verstärkt wird.30 Thomas von Kempen hat in seinen Christus-Meditationen diese Handlungen sehr klar gewertet: ,Ich lobe und ehre dich für jenen ironischen Gruß und jene dir dargebrachte falsche Anbetung, als die Diener der Grausamkeit vor dir niederkniend dir harte Ohrfeigen gaben, dich mit Verachtung anbeteten und ironisch König nannten, indem sie mit lästerndem Mund riefen: Sei gegrüßt, König der Juden!‘31


Ironische Verhöhnung Jesu: „Sei gegrüßt, König der Juden“; Johann Koerbecke, Marienfelder Altar, Westfälisches Landesmuseum Münster.

Auch nach dem Kreuzigungsakt trifft den Gottessohn die Ironie der Juden. Schon Cassiodor versteht Psalm 21,8 f. als christologisch in direkter Konkordanz mit dem Evangelium (Mt. 27,43) und markiert die Ironie, wenn er erklärt: „Er hat in den Herrn seine Hoffnung gesetzt, dass er ihn herausreiße, ihn rette, da er ihn ja will. Dies ist von den Juden mit einer Figur gesagt, die griechisch ironia und lateinisch irrisio heißt und etwas anderes zeigt, als sie zu sagen sucht, weil dies ja speziell Worte des Evangeliums sind. Denn die Juden sagten, als er am Kreuz hing: Er hat auf den Herrn gehofft; der mag ihn nun befreien, wenn er will. O himmlische Vollkommenheit! Scheinen wir hier nicht eher das Evangelium als den Psalm zu besprechen, wenn dies mit so großer Wahrheit erfüllt ist, dass es nicht in Zukunft sein wird, sondern schon geschehen zu sein scheint?“32

Gegen diese im Irrtum befindliche Selbstüberschätzung der Juden in ihrer ironischen Haltung führt Cassiodor mit der Deutung von Ps. 63,8 eine gegen sie gerichtete Ironie ein: „Die Pfeile der Kleinen sind deren Plagen geworden. Nach der Aufzählung der jüdischen Verworfenheit, die sie zum Tod des Herrn auszuagieren versuchten, kam er (der Autor) zum zweiten Punkt, wo er ihr Schnauben und ihre harten Pläne mit vollkommen angemessenem Vergleich verspottet. Diese Figur heißt Ironie.“33 Cassiodor führt aus, wie sie den wahren Richter richten wollen, wie sie den töten wollen, der die Toten auferweckt, wie sie den fesseln wollen, der die Fesseln der Welt löste. So sind ihre Pfeile wie die zerbrechlichen Schilfrohre spielender Kinder. Statt eines traurigen Todes erreichten sie eine höchste Ehren bringende Passion, sie verursachten solche Plagen, durch die der Tod selbst starb und die versprochene Rettung der Welt schnell eintrat.34

Auch eine Situation wie der Descensus Christi in die Hölle erhält nach Cassiodor einen ironischen Aspekt, wenn in der metaphorischen Rede von Ps. 138,11 einerseits die Dunkelheit den Retter zu zermalmen droht, andererseits aber die Nacht (nox) als seine Erleuchtung (illuminatio) dargestellt wird. Mit Marginalzeichen für die Ironie (TOP) heißt es: Prima pars uersus istius sub ironia pronuntianda est. Frequenter enim aliqua quasi sub ambiguitate proferimus, de quibus dubitare non possumus.35 Als Erklärung folgt: „Die Nacht bedeutet den Kerker der Unterwelt, den er wahrhaftig erleuchtet hat, als er die Macht des Teufels zermalmte und den Menschen mit seinem Erbarmen befreite, den er einer Erschaffung nach seinem Bild und sich ähnlich gewürdigt hatte.“36

Ironie im Mittelalter

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