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6. Ironie gegenüber dem Bibelexegeten
ОглавлениеDas Begreifen der Schrift und das Verfahren der Bibelexegese selbst ist für Rupert, der um den Sinn der Heiligen Schrift rang, wie Jakob mit dem Engel gekämpft hat, bis ihm die Geistinspiration zuteil wurde, der eig entliche Lebenssinn, da allein hierin die Schau Gottes in dieser Welt möglich sei: „Und wie Jakob mit dem Engel gekämpft hat, in dem ohne Zweifel Gott anwesend war, der auch zugab, besiegt zu sein, so muß der Liebhaber des Gotteswortes kämpfen mit Rede und Schrift, die von Gott ist, und darf nicht nachlassen, bis er den, der besiegt werden will, besiegt und den nutzbringenden Sinn, der im Buchstaben verborgen ist, begreift. Dieser Kampf ist der schönste […]“;54 „denn jetzt leben wir insoweit, wie wir die selige Trinität erkennen“55 .
Umso ironischer geht er mit denen um, die voll Ungeduld oder Unverständnis sich über die Mühe und Unzugänglichkeit des Bibelverstehens beklagen oder es voreilig für sich in Anspruch nehmen. So legt er Verse der Bergpredigt (Mt. 7,9 ff.), wo Jesus fragt, welcher Mensch seinem Sohn auf dessen Bitten um Brot einen Stein oder um Fisch eine Schlange gebe, aus im Bezug auf die jüdischen Priester, die Moses in der Wüste mit böser Ironie beschuldigten (cum ironia crudeli): „Wahrhaftig hast du uns in ein Land geführt, das von Milch und Honig fließt […]“ (Num. 16,14); denn dieses verheißene Land ist die Heilige Schrift, deren Sinn sich denen nicht öffnet, die es ohne Demut, Geduld und Hoffen auf die Erleuchtung durch den Heiligen Geist für sich beanspruchen.56 Die Regularkanoniker aber, Norbert von Xanten und seine Anhänger, die den Mönchspriestern wie Rupert das Lehren verbieten wollten, das sie für sich reklamierten, bezeichnet er ironisch als solche, die die Bibel mit offenem Mund, aber geschlossenen Augen lesen und sie zu verstehen vorgeben, ohne zuerst den Geist zu schärfen und auf die gnadenhafte Öffnung der Augen zu warten.57
Aber auch Rupert selbst hatte eine ironische Prüfung durch Christus zu bestehen, die er in seiner Geschichte der Berufung zum Bibelexegeten berichtet. In seinem noch unreifen, allzu großen Verlangen nach einem baldigen Tod und Eintritt in das himmlische Leben (cupiens dissolui et esse cum Christo58) wird ihm in der Vision ein Todesdatum genannt. Vorausgegangen war aber eine Christusvision, in der er ausdrücklich aufgefordert wurde: „Freund, gib mir [zurück], was ich für dich getan habe“;59 gemeint war: „condonare illi quidquid super nos graue ab ipso illatum est“,60 oder kurz: „nicht geduldig zu sterben, sondern geduldig zu leben in dieser Welt voller Sünden“.61 Zunächst hatte Rupert, für den Ironie eine vertraute Vorstellung war, darin versagt, den ironischen Sinn richtig zu erfassen. In seinem Bericht sagt er: „Ich werde erzählen, wie er [Christus] über meine Bestrafung dafür gelacht hat. Aber er hat mich doch zuletzt getröstet.“62 Denn Rupert hatte zuerst noch einmal wegen des Ernstes des Todestermins nachgefragt: „Als er glaubte, er habe dies gleichsam im Scherz (quasi ludibundus) gesagt, wiederholte er: ,Wirklich, noch acht Jahre wirst du leben.‘“63 Die vorausgegangene Ermahnung hatte Rupert in Ungeduld wieder beiseite geschoben und bereitete sich mit Eifer auf seinen baldigen Tod vor. Erst kurz vor dem Termin kamen ihm Zweifel, er stieß bei der Lektüre von Gregors ‘Dialogi’ auf einen Präzedenzfall ähnlich falschen Verständnisses einer Prognose (Dial. 4,56) und wandte sich mit inständigen Bitten an den Heiligen Geist, um sichere Auskunft zu erhalten. Sein ‘Tod’ war dann ein spiritueller, nämlich eine erneuerte Taufreinigung, vor der eigentlichen gnadenhaften Inspirationsvision des künftigen Bibelexegeten. Seinen eigenen Jakob-Kampf hat er erfolgreich durchgestanden.64