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1.2 Ironie, die hilflose Gegner demütigt
ОглавлениеHerrscherliche Ironie gegenüber hilflosen politischen Gegnern bezeugt schon Gregor von Tours, der ausführlich das heimtückische Verhalten Chlodwigs gegenüber seinem Verwandten und Rivalen König Ragnachar schildert. Chlodwig bestach dessen Leute, so dass diese Ragnachar und seinen Bruder Richar gefangen nahmen und gefesselt Chlodwig auslieferten. Dieser verhöhnte die gefesselt vor ihm Stehenden angeblich wie folgt: „Wie konntest du unsere Königssippe so entehren, dass du dich fesseln ließest? Besser wäre für dich der Tod gewesen.“ Und dann schlug er ihm mit dem Wurfbeil den Schädel ein. Darauf wandte er sich an den Bruder mit dem Satz: „Wenn du deinem Bruder Beistand geleistet hättest, wäre er nicht gebunden worden.“10 Und erschlug ihn gleichfalls. Die Verstellung, mit der Chlodwig sich vorgeblich um die Ehre seiner Verwandten sorgt, erfüllt schon hohe Ansprüche an menschenverachtende Ironie, da er selbst diese Situation herbeigeführt hatte und seine wahren Absichten dann auch durch die Tötung der Gegner nachhaltig kundtat.11
Die Waffe der menschenverachtenden Ironie wurde nach Liudprand von Cremona, der ausführlich die gewalttätigen und auch von Hinterhalt geprägten Auseinandersetzungen um den italienischen Königsthron im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert schildert, von den Königen in verschiedenen Zusammenhängen angewandt. Sein Wohlwollen genoss in den Schilderungen der Kämpfe Kaiser Lampert, der Sohn König Widos, dem er daher auch drastische ironische Äußerungen zuschreibt, mit denen dieser bei seinen Gefolgsleuten Eindruck gemacht habe.
Von der Ironie dieses Herrschers hören wir unter anderem im Zusammenhang der bewaffneten Auseinandersetzungen mit zwei anderen Adligen, dem Markgraf Adalbert von Tuscien und Graf Hildebrand. Als diese Grafen den König, der auf der Jagd weilte, mit einem Heer anzugreifen versuchten, fiel dieser überraschend in der Nacht mit nur 100 Rittern über sie her „und tötete die Schlafenden, erschlug die Gähnenden“12. Graf Hildebrand floh, während Markgraf Adalbert sich in einem Viehstall verbarg, jedoch gefasst und vor den König gebracht wurde.
Dieser demütigte ihn mit einer Rede, voll von Hohn und Ironie, der seine eigenen Gefolgsleute zuhörten: „Wir glauben, dass es der Geist der Sibylle war, der aus deiner Frau redete, als sie dir aus eigenem Wissen versprach, dich zum König oder zum Esel zu machen. Denn da sie aus dir keinen König machen wollte, vielmehr – was eher zu glauben ist – nicht konnte, ließ sie dich, um nicht gelogen zu haben, zum Esel werden, als sie dich mit Arkadiens Vieh in den Stall zu fliehen nötigte.“13
Mit Hilfe der allein schon demütigenden Tatsache, dass der Markgraf in einem Viehstall gefasst worden war, wird hier eine Geschichte konstruiert, die ironisch seine Ambitionen auf die Königsherrschaft mit seiner kriegerischen Unfähigkeit konfrontiert; dies mit vorgeblichen Überzeugungen und Handlungsweisen seiner Gattin verbindet und deren Meinung den prophetischen Geist der Sibylle attestiert. Um die Brisanz der Situation zu ermessen, muss man sich vergegenwärtigen, dass der vorherige Feind nun hilf- und schutzlos seinem Gegner und dessen Gefolgsleuten ausgeliefert war. Man darf sich wohl ein hämisches Gelächter der Gefolgsleute als Resonanz auf die Rede des Kaisers hinzudenken. Anschließend wurde Markgraf Adalbert jedenfalls ins Gefängnis geworfen, aus dem er erst nach dem Tode Kaiser Lamperts wieder freikam.
Selbst einem der von ihm ansonsten nicht geliebten byzantinischen Kaiser, nämlich Romanos, attestiert Liudprand den gezielten Einsatz von Ironie, allerdings erst, nachdem dieser von seinen Söhnen mit Gewalt um sein Amt gebracht und in ein Kloster eingewiesen worden war. Die Überschrift zu diesem Kapitel bewertet den Vorgang ausdrücklich als „ironische Aufnahme und Rede des Vaters“14. Als nämlich seine Söhne, von ihrem Schwager ebenfalls gestürzt und geschoren, kurze Zeit nach dem Vater in das gleiche Kloster geschickt wurden, in das sie ihn zuvor hatten bringen lassen, trat er ihnen angeblich an der Klosterpforte entgegen und empfing sie mit folgenden Worten:
„Es ist eine festliche Zeit, die eure kaiserliche Hoheit dazu drängt, meine Niedrigkeit zu besuchen. Eure Kindesliebe, die mich aus dem Palast vertrieb, ließ, denke ich, euch, meine Söhne, nicht lange dort verbleiben. Wie gut, dass ihr mich schon längst vorausgeschickt habt. Meine Mitbrüder nämlich und Mitstreiter, allein der himmlischen Weisheit ergeben, würden ja nicht wissen, wie man Kaiser empfängt, wenn sie nicht mich, der ich im kaiserlichen Zeremoniell ergraut bin, bei sich gehabt hätten. Bereit ist schon ein Trunk Wasser, kälter als gotischer Schnee, vorhanden süße Bohnen, Gemüse, junger Lauch. Krank wird man hier nicht durch die Köstlichkeiten des Meeres, eher wohl durch häufiges Fasten. Kein großes, kostspieliges Gefolge empfängt meine Niedrigkeit, nur eure kaiserliche Hoheit, die gekommen ist, um den Vater nicht im Alter allein zu lassen.“15
Dieser Geschichte liegt die unglaubliche Begebenheit zu Grunde, dass kurz nacheinander erst die Söhne den Vater entmachteten, dann der Schwiegersohn die Söhne, seine Schwäger. Die aus dem Amt Vertriebenen fristeten jeweils ihr restliches Leben in einem Kloster. Was lag da näher, als dem als Ersten vertriebenen Vater die zitierte Empfangsrede in den Mund zu legen, deren ironischer Charakter wohl ohne weitere Interpretationshilfen einsichtig ist.
Bewusst demütigend war auch die verbale Abfuhr, die Kaiser Otto III. dem römischen Stadtpräfekten Crescentius im Jahre 998 zuteil werden ließ, als dieser aus der belagerten Engelsburg in der Verkleidung eines Pilgers herauskam und den Herrscher um sein Leben bat. Um die Brisanz der Situation angemessen einzuschätzen, muss man wissen, dass Crescentius bereits einmal zuvor nach einem Konflikt die Verzeihung des Kaisers gefunden und seine Stellung in Rom nicht verloren hatte, dann aber die Abwesenheit Ottos sofort nutzte, um den kaiserlichen Papst Gregor V. aus Rom zu vertreiben und mit Johannes Philagatos einen Gegenpapst einzusetzen. Diese als Verrat gewerteten Aktivitäten hatten einen kaiserlichen ‘Rachefeldzug’ ausgelöst, der zur Verstümmelung und rituellen Devestitur des Gegenpapstes führte – und eben zur Belagerung des Stadtpräfekten in der Engelsburg.
Ohne jede Vorabsprachen, so sagen die Quellen, versuchte Crescentius in dieser verzweifelten Lage, sein Schicksal der Milde Ottos anzuvertrauen und so sein Leben zu retten.16 Er suchte mit anderen Worten von Formen gütlicher Konfliktbeilegung zu profitieren, wie sie in der Ottonenzeit praktiziert wurden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt waren. Das war hier sicher nicht der Fall, da man auf Milde nicht mehrfach hoffen konnte. Der Herrscher wies ihn denn auch mit einer ironischen Antwort ab, wie Rodulfus Glaber berichtet, deren latente Drohung bald danach eingelöst wurde: „Wie kommt es, dass der Richter über Kaiser und Schöpfer von Päpsten einen demütigen sächsischen Ausländer besucht? Bringt den Mann zurück zu seinem hohen Thron, bis ihm ein angemessener Empfang bereitet werden kann.“17 Mit dieser Antwort schickte man ihn in die Engelsburg zurück und setzte die Belagerung fort.
Wie der verheißene Empfang gedacht war, zeigte sich wenig später, als man die Engelsburg erstürmte und des Crescentius habhaft wurde. Man köpfte ihn, warf ihn von den Zinnen der Engelsburg und hängte ihn zur Abschreckung zusammen mit zwölf Komplizen an den Füßen auf dem Monte Mario auf. Dieses Ende der Geschichte stand demjenigen gewiss vor Augen, der die ironische Antwort Ottos III. konstruierte. Italienische Quellen erklären andererseits den baldigen Tod des Papstes wie des Kaisers nach diesen Vorfällen als Strafe Gottes für die gezeigte gnadenlose Unbarmherzigkeit.18