Читать книгу Ironie im Mittelalter - Gerd Althoff - Страница 23
7. Resümee
ОглавлениеAugustin hat in ‘De doctrina Christiana’ die Rhetorik und die anderen Wissenschaften für das Bibelverständnis als notwendige Hilfsmittel erklärt und so auch die Figuren und Tropen der rhetorischen elocutio-Lehre wie Ironie, Antiphrase, Sarkasmus u. ä.65 Isidor von Sevilla präsentiert in seiner Enzyklopädie ‘Etymologiae’ eine knappe Summe der Wort- und Sachwissenschaften nach Augustins Vorstellung als Hilfsmittel der Schriftexegese, also auch die Lehre von den Figuren und Tropen innerhalb der Artes-Bücher.66 Die praktisch-pädagogische Umsetzung im Bibelkommentar hatte schon Cassiodor geleistet, indem er im Psalmenkommentar die rhetorischen Figuren erläuterte und marginal Siglen zur Bestätigung und leichten Auffindung setzte.67 Sein Lehrbuch ‘Institutiones divinarum et saecularium litterarum’ begleitete die Exegesepraxis theoretisch. Beda Venerabilis erstellt dann die viel benutzte Lehrschrift ‘De schematibus et tropis’ aus den antiken Quellen, ersetzt nun jedoch die Beispiele aus der pagan-antiken Literatur durch solche aus der Bibel und praktischen Exegese. Für die Ironie waren es ein alttestamentliches und ein neutestamentliches Beispiel.68 Beda konnte das erst nach einer bereits in der patristischen Bibelhermeneutik praktisch realisierten Adaptation der rhetorischen Ironielehre konzipieren.
Daraus ist ersichtlich, dass nicht nur bei Cassiodor und Rupert von Deutz, die hier wegen ihres besonderen innovativen Umgangs mit der Ironie über ironisches Verstehen biblischer Passagen ausführlicher zu Wort kommen, sondern dass ironische Deutungen seit den Anfängen christlicher Exegese auftraten, jedenfalls bei den lateinischen Kirchenvätern im Umfeld der antiken Bildung schon zum hermeneutischen Instrumentarium gehörten und dies auch bis in die spätmittelalterliche Schriftauslegung, ja noch darüber hinaus blieben. Im griechischen Osten bezeugt schon Maximus Confessor († 662) die Selbstverständlichkeit ironischer Rede der Bibel. Er wird seit dem 9. Jahrhundert in Übersetzung auch im Westen gelesen. In seiner exegetischen Schrift ‘Quaestiones ad Thalassium’ sagt er: „Niemand soll glauben, dass es ungewöhnlich ist, wenn die Bibel die Redeweise der Ironie gebraucht“, und zwar auch für Gottes Rede an das Volk Israel.69
In einigen Bibelbüchern wie Job, den Psalmen, den Propheten, den Evangelien und den Paulusbriefen wurden mehr ironische Aussagen gefunden als in anderen, und auch die Exegeten sind verschieden stark ironieinteressiert (soweit das mit den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln, auch den elektronischen, bisher abzuschätzen ist). Ironiedeutungen finden sich bei Hieronymus ebenso wie bei Gregor dem Großen70, in der Karolingerzeit bei verschiedenen Exegeten71,im Hochmittelalter bei Abaelard72 ,Hugo von St. Victor, Petrus Lombardus73, Thomas von Aquin74, ja auch bei dem den Literalsinn in stärkerem Maß berücksichtigenden Andreas von St. Victor und seinem griechischen Vorgänger Theodor von Mopsuestia sind ironische Deutungen nicht selten; nicht von ungefähr orientieren sich offenbar gerade diese die Allegorie skeptisch betrachtenden Autoren verstärkt am rhetorischen System der Texthermeneutik.75 Damit ist hinreichend deutlich, dass die mittelalterliche Schule und ein Hauptgebiet mittelalterlicher Wissenschaft, die Bibelhermeneutik, die Vertrautheit und den selbstverständlichen Umgang mit literarischer Ironie vermittelt haben.