Читать книгу Angst - Gerhard Klamet - Страница 10

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4.

Sybille Theisen unterrichtete die ersten zwei Jahrgangsstufen der Hochfeld-Schule. Ebenso oblag ihr die Pausenaufsicht über den untersten Teil des Schulhofes, der sich in drei Etagen staffelte. Die unterste Etage belagerten ausschließlich Grundschüler, die restlichen sieben Jahrgänge teilten sich die oberen beiden.

Im Moment jedoch galt ihr Interesse dem Vorgesetzten des Hauses. Die hübsche Lehrerin mit den schulterlangen brünetten Haaren und den glänzenden Mandelaugen musterte den Mann, der von der Schultreppe herab direkt auf sie zusteuerte. Er war Anfang vierzig, fünfzehn Jahre älter, aber eine durchaus bemerkenswerte Erscheinung. Dunkelbraune Haare, blaue Augen, einen dunklen Teint, der hervorragend zu dem trainierten großgewachsenen Körper passte. Bernhard Brenner war genau jener Typ, wie man sich einen Schulrektor Anfang der 90er Jahre nicht vorstellte. Sie bemerkte seinen für Unbeteiligte unauffälligen Blick, der sich für einen Moment auf ihre prallen Brüste heftete, um kurz darauf wie beiläufig um die wohlgeschwungene Form ihrer Hüfte zu wandern. Die junge Frau bemühte sich, ihren Augen jenen Glanz zu verleihen, der ihm zu verstehen gab, dass sie seinen Blick bemerkte. Er sollte spüren, dass sie ebenso empfand, ebenfalls Begehren in ihr steckte und dieses nach Erfüllung verlangte. Einen Moment stellte sie sich belustigt vor, wie sie es hier taten, auf dem heißen Boden des Schulhofes, neugierte und fassungslose Blicke missachtend, niemand der sie bei ihrem Treiben zu stören wagte. Er begrüßte sie mit einem festen Händedruck, wobei heimlich ein kleiner Zettel in ihre Handfläche rutschte. »Hier!«, sprach er laut. »Die neuen Deutschbücher, werte Kollegin.« Mit diesen knappen Worten drückte er ihr den Stapel Bücher, den er bei sich trug, kurzerhand in die Arme. »Es fehlt leider noch die Hälfte, aber die Schüler werden schon so lange zurechtkommen. Bis Schulbeginn soll angeblich der Rest geliefert werden.« »Hoffentlich«, erwiderte Sybille lachend. »Ich bringe sie nur schnell rein, Herr Brenner.« »Machen Sie nur, ich passe schon auf. Die Pause ist sowieso gleich vorbei. Sie können Sie ruhig schon auf den Plätzen verteilen. Sie haben doch als nächstes Deutsch, oder?« »Stimmt«, antwortete Frl. Theisen verblüfft. »Sie scheinen ja über alles hier bestens informiert zu sein.« »Da sehen Sie, möglicherweise hat man mich hier doch nicht umsonst als Rektor eingesetzt«, erwiderte er lächelnd. Die übrigen Qualitäten sind aber auch nicht von schlechten Eltern; dachte Sybille, als sie lachend im Eingang verschwand. Die ersten beiden Jahrgangsstufen lagen in einem Nebengebäude, indem sich außer einem Experimentalraum noch eine kleine Turnhalle befand. Nur wenige Meter gegenüber, mittig durchgrenzt von dem Pausenhof der Erstklässler, stand der Hauptkomplex der Schule. Sybille Theisen schlug - die Arme voll Bücher - lautstark die Tür ins Schloss. Sie legte den Stoß auf ihrem Schreibtisch ab und setzte sich in ihren Stuhl. Mit flinken Bewegungen ihrer schlanken Finger entfaltete sie den Zettel. Sie las: Hallo Liebling! Heute abends Theater in Gräfdorf STOP hole Dich punkt halb neun ab STOP anschließend kulinarisches Essen bei mir zu Hause STOP weitere Instruktionen sind abzuwarten STOP liebe und begehre Dich STOP bis bald STOP Laut lachte sie auf. Erregung befiel sie. Das Läuten des Pausenzeichens registrierte sie nur am Rande. Sie konnte den heutigen Abend kaum noch erwarten. Sybille bekam zwar langsam genug von der ganzen Heimlichtuerei, da sie immerhin schon seit eineinhalb Jahren zusammen waren, konnte aber dennoch nicht verleugnen, dass der Reiz des Verbotenen durchaus seine Vorteile bot. Sie hatte schon mit vielen Männern geschlafen. Bereits im Alter von vierzehn Jahren verkehrte sie das erste Mal geschlechtlich mit einem Jungen, und auch die folgenden Jahre verbrachte sie nicht in Keuschheit. Doch dies war Vergangenheit. Mit Bernhard schien sich etwas Ernstes abzuzeichnen. Es würde jetzt bald die Zeit gekommen sein, die spießige Gesellschaft mit der Wahrheit zu konfrontieren. Sie hoffte nur, Bernhards Stellung dadurch nicht in Gefahr zu bringen. Er bekleidete noch nicht lange das Amt des Rektors an der Hochfeld-Schule hier in Stralsfelden. Dies war der Hauptgrund, das Verhältnis so lange wie möglich zu vertuschen. Jegliches Gerede hätte ihm womöglich den Kopf gekostet. Als die ersten Kinder von der Pause hereinstürmten, hatte sie den Zettel längst in ihrer engen Traveller-Jeans verborgen. Es gelang ihr nur schwer, sich auf den bevorstehenden Unterricht zu konzentrieren. Sie spürte einen gewaltigen Strom sexueller Energie durch ihren Körper strömen lag. Diese würde sie sich in Bernhards Armen mit unheimlicher Gewalt entladen.

Hubert Marten besaß die Aufsicht über die fünfte und sechste Klasse. Er stierte unbeabsichtigt, einen inneren Drang folgend, des Öfteren auf den Pausenhof unter ihm, wo die Theisen gerade einen Plausch mit seinem Chef hielt. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er fasziniert den kleinen sechsjährigen Mädchen mit ihren wippenden Röcken nachstarrte.

Nein; dachte sich Marten, es ist vorbei. Reiß dich zusammen oder man wird dir den Arsch von unten nach oben aufreißen. Außer Brenner kannte niemand Martens Geheimnis, welches schwerlastend auf seinen breiten Schultern wog. Niemand durfte es sonst erfahren. Man würde ihn verstoßen wie einen gemeinen Verbrecher, und sein gutes Verhältnis zu seinen Arbeitskollegen wäre abrupt beendet. Sie würden ihn meiden wie einen Aussätzigen und dafür sorgen, dass er von der Schule flog. Doch er war geheilt, vermochte dieses Etwas in sich beherrschen, ihm befehlen, sich zurückzuhalten. Er würde es nie, nie wieder tun, das schwor er sich. Er unterrichtete noch nicht lange auf der Hochfeld-Schule. Zum Zeitpunkt seiner Bewerbung wurde der neue Rektor neu in sein Amt eingeführt. Dies war sein Glück. Hubert Marten hatte nicht im Traum daran geglaubt, jemals wieder zu unterrichten. Die Gesellschaft war gnadenlos. Die Möglichkeit auf eine zweite Chance, ein neues Leben, würde man ihm nicht einräumen. Er war gebrandmarkt. Doch Brenner gab ihm diese Chance, trotz der schmutzigen Vergangenheit, die er seinen Vorgesetzten nicht vorenthalten konnte und durfte. Sein Chef ahnte nicht, wie dankbar er ihm dafür war. Man gab ihm zum ersten Mal das Gefühl, gebraucht zu werden. Endlich war er wieder wer. Er sah die kleine Simone, wie sie unten mit ihren Freundinnen Gummi hüpfte, wie ihr kurzes Röckchen mit jedem Sprung nach oben schwang und den Blick auf ihren knappen Slip freigab, unter dem noch nicht ein einziges Härchen spross. Marten kämpfte die aufsteigende Erregung nieder. Das Ding in seiner Hose schrumpfte. Nie wieder; dachte er entschlossen und zornig auf sich selbst. Nie wieder. Dann ertönte das Pausenzeichen.

Angst

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