Читать книгу Angst - Gerhard Klamet - Страница 8

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2.

»Bring ihn nicht um, oh Gott, bring den Jungen doch nicht um. Siehst du nicht, dass du ihn totschlägst?«

Karl Weidner hörte nicht. Er wollte nur diesem faulen Miststück von Sohn, das vor ihm auf dem Boden lag, einen gehörigen Denkzettel verpassen. Eine Sechs und drei Fünfen wagte dieser Saukerl mit nach Hause zu bringen. Es wäre besser für ihn gewesen vom Schuldach zu springen, anstatt hierher zurückzukehren.

Mit so einem SCHEISSZEUGNIS! Sein eigener Vater, der dem Himmel sei dank schon rechtzeitig das Zeitliche segnete, hatte ihn damals halbtot geschlagen, als er mit schlechten Noten erschien. Seinem Sohn sollte es nicht viel besser ergehen, dafür würde er sorgen. Der Hosengürtel, bestückt mit dem schweren Ornament einer Adlerfigur, sauste immer wieder auf und nieder. Mit Befriedigung registrierte sein umnebeltes Hirn ein intensives, sich steigerndes Winseln, welches von dem Häufchen Elend zu seinen Füßen ausging. Er hätte wahre Freunde daran empfinden können, wäre da nicht das lästige Wimmern dieses elenden Weibsstücks. Dieses nervende Flehen, den kleinen Rotzfresser doch endlich in Ruhe zu lassen. Doch diesmal kam er nicht so einfach davon. Sie würde schon sehen, was von ihm übrigblieb. Nachdem er gewagt hatte, ihm so ein SCHEISSZEUGNIS vorzulegen. »Karl, bitte, um Gottes willen. Lass ihn gehen, du bringst ihn wirklich um.« Karin Weidner war dem Nervenzusammenbruch selten so nahe gewesen wie heute. Sie ahnte, wenn sie nicht schnellstens etwas unternahm, würde es zu einer Tragödie kommen. Karl wurde ihnen gegenüber schon oft gewalttätig, doch nie drohte es derart zu eskalieren. Alles begann damit, dass Karl übel gelaunt und angetrunken vorzeitig nach Hause kam. Sein Chef hatte ihm mit Entlassung gedroht, sollte er ihn noch einmal betrunken bei der Arbeit erwischen. Da es sich bereits um die dritte Verwarnung handelte, stand es schlecht für ihn. Karl erzählte es ihr, während er sappernd seine Suppe in sich reinschlürfte. Daraufhin besorgte er es sich abwechselnd mit Bier und billigen Whisky, und dies in solchem Maße, dass jeder Normalverbraucher daran gestorben wäre. Als schließlich Sven am Abend mit furchtsamen Blicken mit dem Zeugnis in der Hand erschien, ahnte sie die Katastrophe voraus, sah sich jedoch außerstande etwas dagegen zu unternehmen. Wie so oft sah sie mit ohnmächtigen Zorn ihr hilfloses Kind am Boden liegen, doch nun spielte außerdem die nackte Angst mit. Jesus, sie musste etwas tun. Sie wusste, er würde auf sie ebenso wenig Rücksicht nehmen wie auf sein eigenes Fleisch und Blut. Sven winselte wie ein junger Hund. Schließlich tat er etwas, was er noch nie getan hatte. Auf Knien rutschend, bat er seinen Vater aufzuhören. Sein braunes Haar troff vor Schweiß. An seiner Stirn klaffte eine blutende Stelle. Voller Inbrunst betete Karin, es möge schlimmer aussehen, als es war. Die kastanienbraunen Augen des Jungen verrieten Todesfurcht, der dürre Körper zitterte wie Espenlaub. Es schmerzte an jeder Stelle, vor allen in den Genitalen zog es mörderisch. Die Striemen an Bauch und Rücken brannten wie Feuer, und ständig gesellten sich neue hinzu. Das Gesicht schwoll an wie ein roter Luftballon, das Sichtfeld wurde durch die zunehmenden Schwellungen immer mehr eingeschränkt. Ein langer Riss zog sich vom Auge bis zum Nasenrücken. Mach schnell, ich geb auf, aber bitte nicht diese Schmerzen, bat Sven in Gedanken. Verzweifelt fiel seine Mutter ihrem Mann in die Arme. Ohne große Anstrengung stieß er sie zurück. »Verschwinde, du Hure.« Er schrie wie ein Irrer. Wahrscheinlich war er das auch. Ja, dachte Karin, du bist verrückt. Ein Wahnsinniger. Eine Zeitbombe, deren letzten Sekunden unaufhaltsam abliefen. Bevor er dazu kam den Schädel seines Jungen vollends zu zertrümmern, warf sie sich auf ihn und schlug ihm ins Gesicht. Die Hand zur Faust geballt, platzierte sie diese mitten in seine hassverzerrte Fratze. Jetzt schlägt er mich tot; dachte sie. Sie war sich im Klaren, noch nie in ihrem Leben etwas mit solcher Bestimmtheit vorausgesehen zu haben. Doch stattdessen schlug er sie nur zur Seite. »Zuerst kommt dieser kleine Bastard dran. Du bist selber schuld, dies ist das Ergebnis deiner verweichlichten Erziehung.« Sven lag weinend am Boden und begann zu schluchzen. »Heul du nur. Ich bin noch lange nicht fertig mit dir, du kleines Stück Scheiße.« Karin war sich bewusst, dass Karl ihren Sohn eiskalt töten würde. Er war wahnsinnig, sie war sich dessen mittlerweile völlig sicher. Ja, er war krank, sehr krank. Sie sah es an seinen braunen kalten Augen. Dieses seltsame Leuchten darin hatte sie sonst nie so intensiv wahrgenommen wie in jenem fürchterlichen Augenblick. Da erblickte sie seine Erektion. Sie erkannte, wie sich sein harter Penis unter der engen Jeans abzeichnete. Es erregt ihn seinen Jungen zu erschlagen; dachte sie entsetzt. Mein Gott, wen habe ich da geheiratet? Schlagartig erkannte sie den einzigen Ausweg, das Unheil zu verhindern. Ihre Hände glitten unter ihren kurzen Sommerrock. Kurzerhand riss sie sich den Slip von den Beinen. Bitte, Gott, hilf mir, betete sie im stillen. Karl Weidner trat mit den Füßen nach den Jungen. Dieser krümmte sich zusammen. Die instinktiven Abwehrbewegungen des Zehnjährigen erlahmten. Halte durch, Liebling; dachte sie intensiv, in der Hoffnung, er könne es verstehen. Mit einem Ruck schob sie sich auf die Anrichte der Spüle. Sie versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen, als sie nach ihrem Mann rief. Sie schwankte dennoch, als sie es tat, und sie musste mehrmals rufen, bis er endlich reagierte. Teilnahmslos nahm er ihren Blick auf. Nun galt es, alle Kraft zusammenzunehmen, wollte sie ihrem wehrlosen Kind helfen. Scheinbar begierig fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Komm her und besorgs mir, wenn du so viel überschüssige Energie hast. Aber richtig, wenn du ein Mann bist.« Ihre Hände zogen den Rock etwas höher, so dass Karl genau in ihre gespreizten Beine sehen konnte. Langsam setzte er seine zwei Zentner in Bewegung. Es wirkte ungeheuer bedrohlich, wie sich sein schweißgetränkter, muskulöser Körper langsam näherte. Er lächelte gehässig. »Ja, du kleine Hure, so gefällst du mir. Verlass dich drauf, dass ich es dir besorge. Ich werde dir deine verdammte Seele aus dem Leib ficken, du Schlampe.« Er bastelte hektisch an seiner Hose herum. Vor Erregung gelang ihm kaum, sie zu öffnen. Karin Weidner sah zu ihrem Sohn hinüber, der sie aus großen Augen anstarrte. Er begriff nicht, was seine Eltern dort taten. Sein Denken und Fühlen zogen wirre Kreise, die sich immer schneller drehten, bis ihm letztlich speiübel wurde. Sein Magen rebellierte und warf seinen Inhalt kurzerhand über Bord. Wie durch einen Nebel sah er die Kopfbewegung seiner Mutter, die ihm andeutete, schleunigst in seinem Zimmer zu verschwinden. Sven löste sich aus seiner Starre und kroch auf die Zimmertür zu. Der Gestank des Erbrochenen begleitete ihn und ließ ihn erneut würgen. Während Karl Weidner seine Hände in Karins Hüften vergrub und sich mit wilden, heftigen Stößen zum Orgasmus hocharbeitete, zog sich Sven in den Schutz seines Zimmers zurück. Karin vernahm erleichtert das leise Schnappen des Schlosses. Der Junge hatte sich eingeschlossen. Von dem grässlichen Albdruck befreit, begann sie ihrem Mann Gefühle vorzuspielen, die bereits lange tot waren.

Sven lag erschöpft in seinem Zimmer. Die Wunde an seinem Kopf verkrustete langsam. Er hatte großes Glück gehabt, sehr großes sogar. Noch nie hatte er seinen Vater in diesem Maße erlebt. Wäre es seiner Mutter nicht gelungen, diesen Wahnsinn zu stoppen, er hätte ihn ganz gewiss umgebracht. Er wusste nicht, wie es seiner Mutter gelang, er erinnerte sich nur, dass sie etwas rief. Doch die Worte drangen wie durch eine dicke Wand, eine Wand von Schmerzen, die ihn von allen Seiten umgab.

Die Angst, sein Vater könne seine Tür aufbrechen und erneut zu Toben beginnen, schwoll langsam ab. Er realisierte nicht, was das Gestöhne bedeutete, welches von draußen, jenseits der sicheren Zone, zu ihm drang, und er brachte nicht den Mut auf nachzusehen. Seine Schmerzen lenkten ihn von allen anderen Dingen ab. Dieser Bastard hatte ihn grün und blau geschlagen. Er stand mit wackligen Beinen auf, betrachtete sich in dem Spiegel an seiner Wand und erschrak. Sein Gesicht war geschwollen und brannte wie Feuer. Er erkannte sich selbst kaum wieder. Dem übrigen Körper ging es nicht besser. Notgedrungen würde er die Nacht in seinen verschmutzten Klamotten verbringen müssen. Die Kleidung zu wechseln, hieß noch mehr Schmerzen zu ertragen. Darauf verzichtete er gerne.

Das Stöhnen von draußen verebbte. Svens Unterbewusstsein registrierte die plötzliche Stille und trug sie an die Oberfläche. Würde ER doch wieder zurückkehren und sein Vorhaben beenden? Die Angst kroch erneut in ihm hoch. Ganz vorsichtig und mit behutsamen Bewegungen stieg er in sein Bett. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die durch sein Fenster genau auf sein Bett fielen, verliehen seinem geschwollenen Gesicht ein dämonisches Aussehen. Doch in Wirklichkeit war er nur ein kleiner Junge, der Angst verspürte und in die hereinbrechende Finsternis lauschte. Alles blieb still. Der Alte schien sich wieder beruhigt zu haben. Vorläufig. Inbrünstig hoffte er, der Kerl würde wieder für ein paar Tage verschwinden, wie es des Öfteren der Fall war. Seine Mutter versuchte ihm, Sven, immer wieder die Lügenstory von einem Job in München glaubhaft zu machen. Angeblich arbeitete sein Vater nebenbei schwarz bei einer anderen Firma, um etwas mehr Geld zu verdienen. Doch es dürfe keiner davon erfahren, da er nicht angemeldet sei. Deshalb der weite Weg usw ... usw. Er wusste, dass es nicht stimmte, nahm es seiner Mutter aber nicht übel. Konnte man einer Mutter abverlangen, ihrem Sohn erklären zu müssen, dass sein Vater nebenbei ein paar Schlampen an der Hand hatte? Aber Sven war nicht blöde, vor allem nicht taub. Er wusste auch, was die Leute erzählten, und noch etwas mehr. Eine seiner Liebchen kannte er aus dem Metzgerladen neben der alten Schule. Eine ungepflegte kleine Schlampe, die kilometerweit stank, sobald sie ihre Periode bekam. Auch wenn Sven nicht gerade als einer der besten Schüler galt, so war er, abgesehen von seinem Freund Robert, doch aufgeschlossener und reifer im Vergleich zu vielen anderen Schulkollegen. Sven lag noch einige Zeit wach und malte sich aus, was seine Mutter durchmachte, an jedem Tag, in jeder Stunde, die sie mit diesem Scheusal verbrachte. Im Gegensatz zu ihm blieb ihr nicht die Flucht in ein eigenes Zimmer, in das sie sich einschließen und verkriechen konnte. Er fragte sich, ob sie ihn wohl liebte. ER liebte seine Mutter. Sie hatte ihm immer zur Seite gestanden und heute vermutlich sogar das Leben gerettet. Dass diese Frau den Rest ihrer Tage mit einem solchen Schuft verbringen sollte, machte ihn krank. Der Gedanke an einen frühzeitigen Tod seines Vaters besaß für ihn nichts Schreckliches. Schockiert fragte er sich, ob solche Wunschträume nicht pervers und verwerflich seien, trotz all der Schläge und Demütigungen, die er über sich ergehen lassen musste. Vorsichtig betastete er seinen Kopf. Nein, dieser Bastard verdiente nichts Gutes. Mit einem verbitterten Zug auf den Mundwinkeln schlief er ein.

Karin Weidner saß mit geschlossenen Augen auf dem Küchenbord. Sie hatte es hinter sich. Ihr Mann schlief. Vor dem morgigen Tag würde er nicht mehr erwachen. Der Alkohol, die Kraft der Schläge, mit denen er den Jungen attackierte und diese Attacke mit einem Gewaltakt auf ihren Unterleib fortsetzte, hatten ihn ausgelaugt.

Mit geöffneter Hose, das Hemd durchdrängt von stinkigem Schweiß, so lag er auf ihrem Ehebett und schnarchte aggressiv.

Es war schlimm gewesen, sehr schlimm sogar. Sie zweifelte stark, ob ihre Nerven derartige Belastung ein zweites Mal durchhielten. Bisher half ihr die abgöttische Liebe zu ihrem Sohn, immer wieder dem Druck standzuhalten. Doch irgendwann verbrauchten sich alle Reserven. Niemand vermochte einen Tank zu füllen, den die Korrosion zusehends auffraß.

Was war nur in Karl gefahren, das ihn immer und immer wieder in einen tobenden Irren verwandelte?

In den Anfangsjahren ihrer Ehe hatte es begonnen zu wachsen, dieses Etwas, um nach Svens Geburt völlig außer Kontrolle zu geraten. Aus dem leicht reizbaren, aber anfangs trotz allem zärtlichen, anziehenden Mann, den sie liebte, wurde eine Bestie, die sie verabscheute.

Sie verspürte den Drang zu weinen, brachte es aber nicht fertig. Zu viele unnütze Tränen waren schon geflossen.

Leise schlich sie zu Svens Zimmer. Zögernd legte sich die Hand auf den Türgriff und drückte ihn behutsam nach unten. Verschlossen, natürlich. Das arme Kind musste Qualen leiden. Sie musste sich unbedingt vergewissern, dass ihr Sohn nicht ernsthaft verletzt worden war. Zweimal klopfte sie kurz und wisperte seinen Namen.

Keine Antwort.

Lange verharrte sie ratlos vor dem Zimmer und blies erleichtert die Luft aus, als sie seine Stimme vernahm.

»Es ist alles in Ordnung, Mami. Lass mich bitte. Ich bin sehr müde.«

»Ich mache mir Sorgen, Schatz. Hast du sehr Schmerzen?«

»Sie gehen vorüber, Mami« hörte sie. »Ich bin okay. Ich möchte nur schlafen. Gute Nacht.«

Sanft legte sie die Hand an die Tür.

»Gute Nacht, Schatz. Es tut mir so entsetzlich leid. Schlaf schön. Bis morgen. Kannst du in die Schule?«

»Es geht. Sei nicht traurig, Mami. Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch, Liebling. Gute Nacht.«

Während sie ins Schlafzimmer ging und sich auszog, fragte sie sich, wie ihr Junge all das nur verkraftete. Was hielt die Zukunft für ein Kind bereit, das unter diesen Umständen aufwuchs? Würde er in einigen Jahren nur noch ein seelisches Wrack darstellen, selbst gewalttätig werden und sein Leben als gestrandete Existenz hinter Gittern verbringen? Wie sollte all das nur enden?

Sie lag schließlich neben ihm, roch seinen stinkenden Atem und beobachtete ihn, wie er die seltsamsten Laute aus seiner Kehle hervorwürgte. Karin überlegte sie sich wie schon oft, ob es nicht doch ratsamer wäre, die Scheidung zu riskieren. Vielleicht auch einfach abhauen. Ihren Sohn nehmen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Allein der bloße Gedanke daran, was geschah, wenn Karl sie aufspürte, ließ sie erschaudern. Er würde sie beide umbringen, auf irgendeine grausame und bestialische Art und Weise, die man sich besser nicht ausmalte.

Es hatte Tage gegeben, an denen sie die Berührungen dieses Mannes genoss, ihn mehrmals in einer Nacht verführte, und sie beide in jeder nur denkbaren Stellung ihre Zuneigungen auslebten. Doch diese Zeiten waren vorbei, und sie würden nie wiederkehren. Alle Hoffnung auf eine Änderung ihrer Lebensverhältnisse waren erloschen. Sie wusste, dass sie sich damit selbst aufgab.

Angst

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