Читать книгу Angst - Gerhard Klamet - Страница 14

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8.

Sybille Theisen lag ausgestreckt in ihrer Badewanne. Sie genoss die Stille und die beruhigende Wirkung des heißen Wassers.

Der heutige Abend hatte traumhaft begonnen und endete in einem Alptraum. Immer wieder hörte sie die Stimme dieser merkwürdigen Gestalt, die ihr nicht aus dem Sinn ging.

SAGT DEN KINDERN, DASS SIE IN GEFAHR SIND!

Wenn Bernd und sie nicht beide verrückt waren und dieser Kerl nicht nur in ihrer Phantasie existierte, dann mussten sie etwas unternehmen. Wer oder was immer dieser Mann auch war, er hatte eine Warnung ausgesprochen, die man nicht einfach ignorieren konnte. Sie nahm sich vor, am nächsten Morgen ein längeres Gespräch mit Bernd zu führen. Doch sie dachte ebenso über die anderen Worte nach. Worte, die sie betrafen.

SEI STILL, DU KLEINE HURE.

Er hatte sie eine Hure genannt. Im Nachhinein wurde ihr bewusst, dass sie sich über dieses Wort nicht mal ärgerte. War sie eine Hure? Konnte man ihre Beziehung zu Bernd nicht als ein sexuell abhängiges Verhältnis bezeichnen? Nein! Diesmal war es mehr. Sie liebte ihren Chef aufrichtig, darüber war sie sich im Klaren. Aber sie war ehrlich genug, sich einzugestehen, es jederzeit auch mit einem anderen tun zu wollen, der ihr gefiel. War sie wirklich eine Hure? Womöglich hätte sie recht getan, die Beziehung zu beenden, um Bernd nicht irgendwann einmal zu verletzen. Er hatte es nicht verdient. Wüsste er um ihre Vergangenheit, er hätte sicherlich die Finger von ihr gelassen. Mit vierzehn fing sie an, mit Jungen zu schlafen, und es machte ihr Spaß. Mit fünfzehn nahm sie an Orgien teil, bei denen es jeder mit jedem trieb. Heute noch war der Reiz an derartigen Spielchen nicht verlorengegangen.

Eine nymphomane Schullehrerin. Wenn ihre Kollegen das wüssten. Sie lächelte belustigt. Doch ihr Lächeln erfror, als erneut die Stimme in ihrem Kopf erklang, hervorgerufen durch die Erinnerung, die sie offenbar die ganze Nacht hindurchbegleiten würde.

DIE KINDER SIND IN GEFAHR!

In diesem Moment erlosch das Licht.

Ein Stromausfall! Auch das noch!

Was soll's, beruhigte sich Sybille. Sie beschloss, so lange zu baden, bis das Licht wieder funktionierte. In den letzten Tagen kam es häufig zu Störungen innerhalb des örtlichen Stromnetzes, folglich gab es keinen Grund zur Beunruhigung. Nach wenigen Minuten döste sie ein. Sie schrak einmal kurz auf, in der Meinung, ein leises Klirren zu hören. Alles blieb jedoch ruhig. Du siehst schon überall Gespenster, ärgerte sie sich. Dreh bloß nicht durch, Mädel. Sie ließ noch ein wenig heißes Wasser in die Wanne fließen, um Minuten später in dem wohltuenden Nass einzuschlafen. Irgendwann wachte sie erneut auf. Sie fror. Missmutig registrierte sie, dass immer noch kein Licht brannte. Erst Sekunden nach dieser Erkenntnis bemerkte sie, dass sie in einer leeren Wanne lag. Gewiss hatte sie im Schlaf den Stöpsel herausgetreten. Die junge Frau beschloss ins Bett zu gehen. Wenn es sich als nötig erwies, konnte sie auch morgen früh noch nach den Sicherungen sehen. Sie fühlte sich nach den ereignisreichen Abend erschöpft und hundemüde. Ihr Blick fiel auf einen Schatten neben der Badezimmertüre. Voller Schreck plumpste sie in die Wanne zurück. Die Gestalt kam näher. Im hereinfallenden Licht der Straßenlampen (warum brannten die überhaupt?) konnte sie das Gesicht des Mannes erkennen. »Sie?«, fragte sie erstaunt. Sie kannte den Kerl. Aber was hatte er bei ihr in der Wohnung zu suchen? Voller Entsetzen bemerkte sie die blitzende Schneide eines langen Metzgermessers. Die sterile Sauberkeit des Gegenstandes ließ ihn noch gefährlicher erscheinen. In der anderen Hand trug die Gestalt einen vergilbten Aktenkoffer, den sie mit einem lauten Knall auf den Rand des Waschbeckens warf und die Verschlüsse öffnete. Ohne ein Wort präsentierte ihr der nächtliche Besucher den Inhalt. Das Blut begann in Sybilles Adern zu gerinnen. In dem Koffer befand sich, fein säuberlich eingeräumt, ein ganzes Sammelsurium verschiedenster Messertypen, ebenso Skalpelle, Handschellen, Nägel überdimensionaler Größe, sowie zwei Zimmermannshammer. »Was wollen Sie?«, krächzte Sybille heißer. Die plötzliche Todesangst schnürte ihr die Kehle zu. Der nächtliche Besucher nahm gemächlich am Rand der Badewanne Platz genommen und spielte mit dem Messer. Er setzte ihr die Klinge an die linke Brust und begann damit um ihre Brustwarze zu kreisen. »Du hast soviel Pech, Kleine. Normalerweise wären wir uns nie begegnet. Mein Kundenkreis hat für gewöhnlich eine andere Altersklasse. Du bist ... zu alt. Aber, mein Schatz, du weißt zuviel, oder täusche ich mich?« »Ich weiß nicht wovon Sie reden, wirklich«, stotterte die junge Lehrerin vor Angst. »Na, wenn das so ist«, meinte der Kerl und erhob sich. Er legte das Messer zurück in den Koffer und schien zu überlegen. Lieber Gott, mach, dass er verschwindet; dachte die junge Frau verzweifelt. Er entnahm dem Koffer zwei paar Handschellen. Jegliches Bitten und Flehen der jungen Frau nutzte nichts. Mit geschickten Bewegungen ließ er sie um ihre Hand- und Fußgelenke schnappen und drehte sie auf den Bauch. Den Unbekannten in ihrem Rücken, unwissend was hinter ihr ablief, lag sie da und betete. Zum Glück konnte sie das Skalpell in seiner Hand nicht sehen, mit dem er sich über ihren Körper beugte. Die Schreie der Lehrerin klangen ungehört durchs Haus. Mit jedem kleinen Schnitt, der die weiche Haut ritzte, wuchs ihre Todesangst. Der Peiniger arbeitete mit der Präzision eines Chirurgen. Seine Hand zitterte kein bisschen, als er die schmerzhaften, aber keineswegs tödlichen Schnitte ausführte. Schmerz und Angst sollte das Opfer des Jägers empfinden, bevor dieser zum letzten Akt überging. Aus den zwei Zentimeter langen Schnittwunden rannen dünne Blutfäden. Sybille spürte warmes Blut an sich herabfließen und begann laut zu schluchzen. Warum tat er ihr das an? Was hatte sie getan, dass er sie auf derart widerliche Art quälte? Wann hörte er endlich auf? Doch es kam noch schlimmer.

Bernhard Brenners BMW raste mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Ortschaft Stralsfelden. Seine Freundin wohnte am Ende des Dorfes, in einem kleinen Haus, das sie im letzten Jahr von ihrer Mutter geerbt hatte. Und genau dorthin trieb es ihn nun ihn fast panischer Eile. Er kam sich lächerlich vor und hoffte nur, sie würde es ihm verzeihen, dass er sie zu dieser Stunde unberechtigt aus dem Schlaf holte. Sicherlich schlief sie tief und fest, und seine Sorgen erwiesen sich als unnötig.

Doch das Unbehagen blieb. Erst vor einer Stunde hatte er sie angerufen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Die Leitung war tot. Unter normalen Umständen hätte er nur mit den Schultern gezuckt und sich ins Bett gelegt. Doch nach dieser Nacht war er nicht mehr bereit, an Zufälle zu glauben. Der inneren Warnanlage folgend, warf er sich hinter das Lenkrad seines Wagens und raste los. Erneut drückte er das Gaspedal weiter durch. Er hoffte nicht, ausgerechnet heute in eine Radarkontrolle zu geraten. In diesem Fall konnte er seinen Führerschein getrost abschreiben.

Je näher er seinem Ziel kam, umso stärker wurde das Gefühl der Angst.

Sybilles Augen weiteten sich entsetzt, als der Peiniger ihr die vor Sauberkeit blitzende Knochensäge vor das Gesicht hielt. Kurz darauf spürte sie die Klammer einer starken Faust an ihrem rechten Fußgelenk. Ein irres Kichern erklang.

»Oh mein Gott, was hab ich Ihnen bloß getan? War ich im Unterricht ungerecht zu Ihre ...«

»Sei still«, hörte sie den Irren kichern. »Ich werde in meiner Arbeit nur sehr ungern unterbrochen.«

Jetzt spürte sie den kühlen Stahl der Knochensäge. Ihre Füße waren nach wie vor mit den Handschellen zusammengekettet. Dicht oberhalb der rechten Fessel setzte er sein Instrument an. Die junge Frau fing an zu winseln. Stechender Schmerz durchraste ihren Körper, als das feine Sägeblatt Hautgewebe und Fleisch gewaltsam zerriss.

Doch unerwartet ließ der Druck nach. Schlagartig herrschte Stille. Sie vernahm das leise Geräusch ihres Blutes, das in die Wanne rann. Doch da war jetzt noch etwas anderes. Es kam von draußen. Plötzlich wusste sie, was den Kerl aufgehalten hatte.

Motorengeräusch wurde laut. Scheinwerfer erhellten die Front des Hauses. Sie wagte kaum zu atmen. Ihr Herz schlug laut. Die Rettung schien in greifbarer Nähe.

Die Gestalt eilte zu dem Koffer.

Ja, verschwinde; dachte Sybille voller Inbrunst. Doch er tat etwas gänzlich anderes. Sie konnte es nicht erkennen, da sie nach wie vor auf dem Bauch lag und ihr Blickwinkel dadurch sehr eingeschränkt war. Vor sich sah sie unvermittelt das große Messer, mit dem er ihr schon einmal Furcht einflößte. Sie schrie, als sie sich an den Haaren herumgerissen fühlte. Schmerzhaft prallte sie mit der Wirbelsäule auf. Ein Ruck zerrte ihren Kopf über den Rand der Badewanne hinweg. Voller Todesangst starrte sie in seine kalten Augen. Die Klinge aus Stahl berührte ihre Kehle. Da läutete es an der Tür.

Als Bernd das dritte Mal klingelte, kam er sich mit einmal total bescheuert vor. Das ganze Haus war dunkel. Sybille schlief tief und fest, und er spielte den Hanselmann. Was konnte er ihr nur sagen?

Zu spät, der Türsummer ertönte. Da sie es nicht einmal für nötig hielt, die Sprechanlage zu betätigen, wusste sie bereits, wer da mitten in der Nacht an der Haustür stand.

»Was bin nur für ein Idiot«, schimpfte er sich und trat in den Hausflur. Da war es auf einmal wieder, dieses unbestimmbare Gefühl der Angst.

Im Flur brannte kein Licht. Seltsam.

Voll gemischter Emotionen schritt er auf ihre Schlafzimmertür zu.

Das Zimmer war leer.

Instinktiv drehte Bernd sich um, nahm einen Schemen wahr, der von der Seite her auf ihn zusprang. Ein großes, kantiges Etwas traf ihn an der Schulter und verursachte einen brennenden Schmerz. Schemenhaft konnte er das dunkle Ding, mit dem der Unbekannte auf ihn einschlug, als eine Art Koffer identifizieren. Es gelang Bernd, dem Eindringling diesen aus den Fäusten zu schlagen. Die rechte Hand des Widersachers verschwand für einen Augenblick hinter seinem Rücken. Sie zuckte hervor und entblößte einen länglichen, glitzernden Gegenstand. Schockiert starrte Bernd auf ein Metzgermesser gewaltigen Ausmaßes.

Der Kerl schoss mit einem Satz auf ihn zu. Verzweifelt versuchte der Rektor, das Gesicht des Mannes zu erkennen, doch die Dunkelheit machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Gleichzeitig wartete Brenner konzentriert auf den Moment, an dem ihn der Stich treffen würde. Der Gegner beging den schwerwiegenden Fehler, seinen Gegenüber zu unterschätzen. Bernd parierte den ersten Hieb gekonnt ab, was den Unbekannten allerdings kalt ließ. Das Messer sauste sofort erneut auf ihn zu. Mit einer blitzschnellen Reaktion hebelte der athletische Mann den Arm seines Kontrahenten herum und trat ihm mit brutaler Wucht in die Seite. Abermals stieß sein Knie zu, traf diesmal Magengrube und Unterleib.

Der Getroffene stöhnte.

Da beging Bernd einen schweren Fehler. Er ließ den Fremden für einen kurzen Augenblick los, um erneut zuzupacken und fester in den Griff bekommen zu können. Doch diese Sekunde nutzte der Bursche aus, um mit einem kurzen Stoß die Scheide des Messers in Bernds Knie zu rammen. Dieser schrie gellend auf, was im Wesentlichen mehr seiner Verblüffung als dem Schmerz zuzuschreiben war. Mit einer derartig raschen Gegenreaktion hatte er niemals gerechnet. Dieser Halunke schien recht zäh sein, um nach einem Schlag in die Hoden derart heftig reagieren zu können.

Bevor er sich von dem Schock erholte, hastete der Unbekannte schon den Flur entlang, wo er wie ein Tiger zum Sprung ansetzte und sich durch die geschlossene Türe warf. Mit lautem Knall barst die Glasscheibe des Eingangs. Kurz darauf vernahm Bernd die tappenden Schritte des Flüchtigen.

Seinem ersten Impuls folgend wollte er sofort die Verfolgung des Mannes aufnehmen, besann sich dann aber doch auf das Nächstliegende. Möglicherweise lag seine Freundin hier irgendwo, ängstlich und verletzt, wenn nicht gar Schlimmeres. Die Sorge um seine Geliebte trieb ihn zur Eile. Zwei Schritte von ihm entfernt hing der Sicherungskasten. Mit Hilfe seines Feuerzeuges fand er schnell den Knopf der Hauptsicherung und rastete ihn erneut ein.

Im Badezimmer wurde es hell, die Beleuchtung funktionierte wieder. Anscheinend wollte dieser Kerl hier eine Art Psychoterror veranstalten, indem er Telefon und Strom abschaltete. Hoffentlich war Sybille nichts geschehen. Auf das Äußerste beunruhigt ging er zur halboffenen Tür des Badezimmers und rief den Namen seiner Freundin.

Keine Antwort. Mit einem Kloß im Hals stieß er entschlossen die Tür auf.

Was er sah, veranlasste ihn dazu, eine geschlagene Minute lang, wie zu einer Salzsäule erstarrt, angewurzelt stehenzubleiben. Der Schrei, mit dem er sich selber aus dieser Haltung erlöste, klang wie der eines Wahnsinnigen. Mit tränenüberfluteten Augen fiel er auf die kalten Fliesen und kroch zur Badewanne, in der der reglose Körper von Sybille Theisen lag. Bebend steckte er sich die linke Faust in den Mund, nicht darauf achtend, dass er so fest zubiss, bis das Blut durch seine Handfläche hindurch zu Boden tropfte. Er hatte nur Augen für sie. Durch den Schleier vor seinen Pupillen sah er sie an. Er wollte nicht begreifen, dass nun alles vorbei sein sollte. Die junge Frau lag in einem Bad voller Blut, die Augen entsetzt aufgerissen, gefüllt mit Todesangst. Ihre Kehle war von einem Ohr bis zum anderen aufgeschlitzt. Den einst so hübschen Hals durchzog eine tiefe, breite Furche. Der Körper zeigte Spuren der Misshandlungen, er war von vielen kleinen Schnittwunden übersät. Bernd streichelte ihr sanft über das blasse Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Er weinte. Fast eine halbe Stunde lang verblieb Bernd apathisch bei dem Leichnam seiner Freundin, dann entschloss er sich zu handeln. Wie ein alter Mann erhob er sich und trat mit schleppenden Gang auf den Flur. Einem Traumtänzer gleich wankte er zum Telefon, das in einer kleinen Nische stand. Er erinnerte sich an die tote Leitung und überprüfte das Kabel. Es war in Ordnung, der Mörder hatte nur den Stecker aus der Buchse gerissen. Mit zitternden Händen steckte Bernd das Kabel zurück in die Buchse. Dann nahm er den Hörer ab. Es tutete. Er musste fünf Mal ansetzen, bis er die dreistellige Nummer korrekt zu wählen vermochte. Es war die Rufnummer des Mainauer Polizeireviers.

Angst

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