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2.7 Weiterführende Themen 2.7.1 Konstruktiver Realismus versus radikaler Konstruktivismus

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Fehlschluss des radikalen Konstruktivismus

Der hypothetisch-konstruktive Realismus von Kap. 2.2 unterscheidet sich markant von dem in Kap. 1.2.5.5 erwähnten radikalen Konstruktivismus. Der Fehlschluss des radikalen Konstruktivismus sei hier kritisch nachgezeichnet (typisch z.B. in Kriz et al. 1990, 19f.):

(2.7–1) Prämisse des radikalen Konstruktivismus = epistemischer Konstruktivismus: Unsere Wahrnehmung und Vorstellung von der Wirklichkeit ist nicht etwas ‚Gegebenes‘, sondern das Ergebnis einer aktiven kognitiven Konstruktion.

Konklusion des radikalen Konstruktivismus = ontologischer Konstruktivismus (Idealismus): Daher ist auch die Wirklichkeit selbst nicht ‚an sich‘ gegeben, sondern durch uns ‚konstruiert‘ bzw. konstituiert‘.

Der konstruktive Realismus teilt zwar die Prämisse (1), aber weist die vermeintliche Konklusion (2) weit von sich. Der ungültige Übergang vom epistemischen zum ontologischen Konstruktivismus wird von Konstruktivisten häufig durch den folgenden Begründungsschritt untermauert (s. Kriz et al. 1990, 20; Glasersfeld 1985):

(2.7–2) Begründungsschritt des radikalen Konstruktivismus: Es ist unmöglich, über eine Wirklichkeit an sich – unabhängig von ihrer erkenntnismäßigen Konstruktion – etwas auszusagen. Dasjenige, worüber wir immer nur etwas aussagen können, ist die von uns konstruierte Wirklichkeit.

Der hypothetischkonstruktive Realismus

Der subtile Fehler dieses Begründungsschrittes liegt darin, dass dabei der Begriff des „aussagens“ im naiv-realistischen Widerspiegelungssinn aufgefasst wird. Dann ist es in der Tat unmöglich, über einen Gegenstand „unabhängig von seiner erkenntnismäßigen Konstruktion“ – was in diesem Fall heißt: „unbeeinflusst von dieser Konstruktion“ – etwas auszusagen. Die moderne Wahrheitstheorie fasst die Beziehung zwischen wahrer Aussage und ihrem Gegenstand jedoch nicht als quasi-identische Widerspiegelung, sondern als strukturelle Korrespondenz auf, die gewisse Informationen überträgt, aber weder vollständig noch eindeutig sein muss. Dass der Satz „diese Blume ist rot“ wahr ist, heißt lediglich, dass das vom singulären Term „diese Blume“ bezeichnete Objekt die vom Prädikat „rot“ ausgedrückte Eigenschaft besitzt: wie viele andere Eigenschaften diese Blume sonst haben mag und wie viele Rotnuancen es auch geben mag, spielt für diese strukturelle Korrespondenz keine Rolle. In dieser Sicht liegt keine Inkohärenz darin, zu sagen, mit unseren erkenntnismäßigen Konstruktionen sagen wir etwas über eine Wirklichkeit aus, die unabhängig von unseren erkenntnismäßigen Konstruktionen existiert, wenngleich diese erkenntnismäßigen Konstruktionen keine quasi-identischen Widerspiegelungen der Wirklichkeit, sondern nur unvollkommene strukturelle Abbildungen derselben darstellen. Die unabhängig existierende Wirklichkeit wird eben nicht als in unseren Vorstellungen unmittelbar gegeben angenommen, wie im metaphysischen Realismus, sondern sie wird lediglich als System hypothetischer Entitäten postuliert, dessen Existenz die empirischen Erfolge unserer Erkenntnis am besten erklären kann. Giere (1999, 174ff.) und Kuipers (2000, Kap. 13) haben diese Position den konstruktiven Realismus‘ genannt, und ich bezeichne diese Position als den hypothetisch-konstruktiven Realismus, um zu betonen, das auch der Realismus letztlich eine fallible Hypothese darstellt. Zusammengefasst ist es gerade die radikal-konstruktivistische Argumentation, die am naiven Realismus klebt, insofern sie die naiv-realistische Deutung der Gegenstände unserer Aussagen dazu benutzt, diese Gegenstände als subjektiv-konstruiert nachzuweisen; wogegen aus hypothetisch-realistischer Sicht der Begründungsschritt (2.7–2) und damit die ganze Argumentation haltlos wird.

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