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1. Einleitung 1.1 Aufgaben und Zielsetzungen der
Wissenschaftstheorie

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Die Wissenschaft bestimmt heutzutage in hohem Maße unser gesellschaftliches Leben. Inwiefern und inwieweit können wir den Resultaten der Wissenschaft vertrauen? Es gibt eine wissenschaftliche Disziplin, welche Fragen wie diese systematisch untersucht: die Wissenschaftstheorie. Sie ist jene Wissenschaftsdisziplin, welche die Funktionsweise wissenschaftlicher Erkenntnis untersucht, ihre Zielsetzungen und ihre Methoden, ihre Leistungen und ihre Grenzen. So wie die Wissenschaften selbst hat sich auch die Wissenschaftstheorie aus der Philosophie heraus entwickelt und wird heute arbeitsteilig sowohl von Wissenschaftsphilosophen wie von Einzelwissenschaftlern betrieben.

Man unterscheidet zwischen allgemeiner und spezieller Wissenschaftstheorie. Spezielle Wissenschaftstheorien sind auf einzelne Disziplingattungen bezogen wie z.B. Physik, Biologie, Psychologie oder Human- und Sozialwissenschaften. Die allgemeine Wissenschaftstheorie fragt nach jenen Erkenntnisbestandteilen, die allen Wissenschaftsdisziplinen mehr oder weniger gemeinsam sind. Ihre Hauptfragen sind die folgenden:

Hauptfragen der allgemeinen Wissenschaftstheorie

(i) wie ist eine wissenschaftliche Sprache aufgebaut?

(ii) was sind die Regeln für die Gültigkeit eines Argumentes?

(iii) was zeichnet eine wissenschaftliche Beobachtung aus?

(iv) worin besteht eine Gesetzeshypothese, und worin eine Theorie?

(v) wie werden Gesetzeshypothesen und Theorien empirisch überprüft?

(vi) was leistet eine wissenschaftliche Voraussage, was eine Kausalerklärung?

Die vorliegende Einführung widmet sich diesen Fragen der allgemeine Wissenschaftstheorie. Zugleich werden aber auch Anwendungen auf Themen spezieller Wissenschaftstheorien behandelt und charakteristische Unterschiede zwischen einzelnen Wissenschaftssparten untersucht. Zu den allgemeinsten Fragen der Wissenschaftstheorie gehören die folgenden:

(vii) gibt es eine objektive Wahrheit bzw. eine objektiv erkennbare Realität?

(viii) welcher Zusammenhang besteht zwischen Wissenschaft und Werturteilen?

In Frage (vii) geht Wissenschaftstheorie in Erkenntnistheorie über (s. Kap. 2.2), und in Frage (viii) geht Wissenschaftstheorie in Metaethik über (s. Kap. 2.5).

Neben ihrer grundsätzlichen Bedeutung, welche in der Beantwortung der erläuterten Fragen liegt, besitzt die Wissenschaftstheorie eine Reihe von bedeutenden Anwendungen, innerhalb sowie außerhalb der Wissenschaften.

Anwendungen der Wissenschaftstheorie

Die wissenschaftsinternen Anwendungen der Wissenschaftstheorie liegen unter anderem in der Lieferung von Grundlagen- und Methodenwissen, welches Entscheidungshilfen für kontroverse oder neue einzelwissenschaftliche Fragen zur Hand gibt, weiters in der Herausarbeitung interdisziplinärer Gemeinsamkeiten, ferner in der Vermittlung argumentativer Kompetenz und Kritikfähigkeit, und nicht zuletzt in der Rolle der Wissenschaftstheorie als Wegbereiterin für neue Wissenschaftsdisziplinen.

Unter den wissenschaftsexternen Anwendungen der Wissenschaftstheorie auf gesellschaftliche Problemzusammenhänge seien zwei besonders hervorgehoben:

(a) Das wissenschaftstheoretische Abgrenzungsproblem ist von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Es besteht in der Frage, welche Teile unseres Ideengutes den Status objektiv-wissenschaftlicher Erkenntnis beanspruchen dürfen, im Gegensatz zu subjektiven Werthaltungen, parteilichen Ideologien oder religiösen Überzeugungen. Nur allgemeinverbindliche Erkennt nisse sollen gemäß dem Grundkonsens demokratisch-säkularer Informati onsgesellschaften in staatlichen Bildungseinrichtungen unterrichtet werden. Brisant wurde diese Frage z.B. in der Auseinandersetzung mit der Bewegung des Kreationismus in den USA: so berief sich die berühmte Entschei dung des Richters W. R. Overton von 1981 auf Abgrenzungskriterien von Wissenschaft gegenüber religiösem Glauben (s. Bird 1998, 2–9).

(b) Ebenso bedeutend ist die Funktion von wissenschaftstheoretischer Aufklärung, um der Gefahr des ideologischen Missbrauchs von Wissen schaft und ihren Resultaten entgegenzuwirken. Politiker, Medien und Wirt schaftsvertreter berufen sich gerne auf Expertenwissen, welches dabei leider nicht selten für vorgefasste Zwecke einseitig oder verfälscht dargestellt wird (s. dazu Kap. 4.2.4–4.4).

Einführung in die Wissenschaftstheorie

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