Читать книгу Ein Leben für die Jagd - Gert G. v. Harling - Страница 13
Handwerk hat grünen Boden – Bisam küchenfertig
ОглавлениеEin Handwerk kann man erlernen. Vom Lehrling arbeitet man sich über den Gesellen bis zum Meister hoch.
Bei Wildmeister Mackerodt, der »treuen Seele« des elterlichen Gutes, ging ich in eine harte Lehre und »genoss« eine strenge jagdliche Erziehung. »Der wilde Meister« legte seinen ganzen Ehrgeiz darein, uns das Jagdhandwerk in Perfektion zu lehren, meine Brüder und mich zu firmen Jägern zu machen.
Als ich mit 15 Jahren die Jägerprüfung ablegen wollte, wurde ich von einer ehrwürdigen Kommission alter Waidmänner gefragt: »Wie lange gehst du denn schon zur Jagd?«
Antwort: »Seitdem ich klein bin.«
»Und immer mit Wildmeister Mackerodt?«
Ich nickte.
»Bestanden!«
70 Jahre sind seitdem vergangen, aber sein Ausspruch »Die Ehrfurcht vor Fauna und Flora ist die oberste Maxime des Jägers« klingt mir noch heute in den Ohren.
Wie oft verzweifelte ich fast, wenn nach stundenlangem Üben der Boden um mich herum mit zerrissenen Buchen- oder Fliederblättern bedeckt war und ich noch immer keine naturgetreuen Fieplaute imitieren konnte.
Bevor ich das erste Mal einen Hirsch mit der Muschel angehen durfte, verbrachte ich mit unserem Wildmeister viele, viele Stunden im Revier, lauschte dem gewaltigen Brunftkonzert, und jeder Ruf, jeder Trenzer, jedes Knören wurde ausführlich kommentiert.
»Ein alter Brunfthirsch hat es nicht verdient, kunstlos vom Hochsitz aus gemeuchelt zu werden. Lerne die Stimmen zu unterscheiden, zu interpretieren und zu imitieren, dann kannst du ihn angehen, auf 20, 30 Gänge erlegen, das ist Jagd!«
Wie recht hatte doch der Alte …
Kaum ein Spaziergang endete, ohne dass wir getrimmt wurden, Entfernungen zu schätzen. Wie weit entfernt steht der Baum, liegt der Stein oder hängt der Nistkasten? Der Abstand wurde abgeschritten, und mit der Zeit konnten wir in jedem Gelände Distanzen auf wenige Meter genau bestimmen. Dies Wissen wird heute durch digitale Entfernungsmesser ersetzt. Kleine, handliche oder in Ferngläser integrierte Laser-Entfernungsmesser übernehmen diese Funktion.
»Winnetou hat seine Feinde auf allen vieren angekrochen. Wäre er wie ein Bergmann auf seinem Arschleder auf seinem Hintern gerutscht, wäre er wohl noch am Leben«, predigte der wilde Meister, wenn es darum ging, an ein Stück Wild auf Schussnähe heranzukommen. In der Tat ist es günstiger, auf dem Hinterteil zu rutschen, als auf Händen und Knien Wild anzukriechen. Aber sich dem Wild im Kriechgang zu nähern oder nahe einem Wechsel auf dem Boden liegend zu warten, wie es mir beigebracht wurde, ist heutzutage passé, Kanzeln und stark vergrößernde Zielfernrohre haben diesen ursprünglichen Part des Jagens abgelöst.
Immer wieder wurden wir angehalten, uns durch geduldiges Beobachten mit den Tieren des Waldes vertraut zu machen.
Heute nehmen sich (oder haben) viele Jäger nicht mehr die Zeit, eine Rotte oder ein Geheck, eine Kette oder auch ein einzelnes Stück über mehrere Wochen oder gar Monate zu beobachten, um mehr über die jeweilige Wildart zu ergründen. Kaum sehen sie einen alten Bock, Sauen oder einen Fuchs, wird geschossen. Das Wissen über Verhalten, Bedürfnisse, Gewohnheiten oder Sozialstrukturen der einzelnen Wildarten ist zum Leidwesen des Wildes weitgehend angelesen.
Einen der vielen Hundert Bisams, die ich als damals jüngster, amtlich bestätigter Bisamfänger Niedersachsens fing, balgte ich in knapp drei Minuten ab. Ich schärfte Schwanzspitzen und Pfoten ab (als Nachweis, um Fangprämien zu kassieren), es folgte der Schnitt vom Waidloch an der Außenseite der Keulen entlang, und zwei Minuten danach war das Tier komplett »küchenfertig«. Sofern der Kern nicht verfüttert wurde, wanderte er auf den Luderplatz, wo er meistens schon am nächsten Tag verschwunden war. Viele Jahre später, nachdem ich eine Trapline in Britisch-Kolumbien betreut hatte, lernte ich Bisamfleisch zu schätzen. Es schmeckt köstlich.
Raubwild wurde meistens im Wald gestreift, es dauerte nicht viel länger. Zu Hause mussten wir dann Pranten, Gehöre und Lunte nacharbeiten, wozu, habe ich nie verstanden. Für Mützen, Muffs, Innen- und Außenpelze oder eine Fuchsdecke werden sie schließlich nicht gebraucht.
Stare, Spatzen, Drosseln, Krähen und Eichelhäher, die wir mit dem Luftgewehr erlegt hatten, wurden von uns küchenfertig gemacht und von unserer Haushälterin gebraten.
Auch das eigenhändige Präparieren von Trophäen war für uns eine Selbstverständlichkeit.
Sei es, wie es sei, traumhafte, wenngleich auch harte jagdliche Lehrjahre, wie ich sie genoss, sind selten geworden. Manchen angehenden Jägern wird das Jägerhandwerk in dreiwöchigen Crashkursen eingetrichtert.
Tierschutz, Naturschutz, Waffenrecht, Hygienerichtlinien – all das sind gewiss wichtige Prüfungsfelder, aber das Jagdhandwerk, die hohe Kunst des Jagens von der Pike auf zu lernen gehört immer mehr der Vergangenheit an.