Читать книгу Ein Leben für die Jagd - Gert G. v. Harling - Страница 7
ОглавлениеJagdliches aus der Schublade
Als ich Kind war, lag auf dem Nachttisch meiner Mutter ein Buch mit dem Titel »Ich vergaß zu sagen – Heiteres aus der Schublade«. Die Erwachsenen diskutierten begeistert über dieses Werk, ein Bestseller von Heinrich Spoerl. Es liegt mir fern, den Titel neu aufleben zu lassen (gleichwohl man mir nach fast 70 Jahren keine Plagiatsvorwürfe machen könnte), aber er hätte sich auch für das vorliegende Buch geeignet, denn vieles, was ich erlebte, vergaß ich in meiner Autobiografie »Jagen gegen den Wind« zu erwähnen. Daher hatte ich, als ich zu schreiben begann, den Arbeitstitel »Was ich noch sagen wollte – Jagdliches aus der Schublade« gewählt, denn wenn einer auf Safari geht, dann kann er was erzählen. Meine Jagdleidenschaft führte mich in viele Länder dieser Erde. Allein rund drei Dutzend Mal habe ich den afrikanischen Kontinent bereist. In meinem Gepäck befanden sich Trophäen und Geschichten. Viele dieser Geschichten gingen den Weg über meinen Schreibtisch in den Buchhandel. In 66 Jagdjahren kam dabei eine beachtliche Strecke heraus an Anekdoten und Aufsätzen, Erzählungen und Erinnerungen. Noch habe ich den Grund meiner Schublade aber nicht erreicht …
Für die einen fängt das Leben mit 66 Jahren erst an, ich nutze über 66 Jahre intensiven Jagens für einen Blick zurück über Wald und Veld (»Land außerhalb der Stadt«, wie das offene, ebene Grasland der subtropischen Höhengrassteppen im südlichen Afrika genannt wird) und alle Kontinente dieser Erde.
Als Kurfürst Johann Georg von Sachsen 1656 in die ewigen Jagdgründe wechselte, vermeldete das sächsische Jagdregister eine Strecke von 116.906 Wildtieren, die der barocke Landesherr während seiner 45-jährigen Regierungszeit erlegt habe. Das waren nach Adam Riese sieben Wildtiere am Tag.
Ich habe in meinem Leben nicht annähernd so viel Wild erlegt, aber die Jagd bestimmte meinen Lebenslauf. Ich habe von ihr gelebt, meinen Unterhalt damit verdient, mehr geschossen, musste mehr schießen und mehr Zeit in der Natur verbringen als der Durchschnittsjäger. Ich habe ein Leben geführt, das für andere ungewöhnlich ist. Es bestand nicht nur aus Freude, war Arbeit oder auch knallhartes Geschäft, bedeutete Entbehrungen, verbunden mit Strapazen.
Und wenn ich jetzt im Alter immer noch jage, erlaube ich mir die Überheblichkeit, nur wenn ich Freude daran habe, ein Stück Wild zu schießen, sei es eine spezielle Herausforderung, weil andere Jäger an der Nachstellung verzweifeln, es mit herkömmlichen Strategien nicht zur Strecke bringen oder eine besondere Trophäe in Aussicht steht. Das war früher nicht immer der Fall.
Passiv auf einem Hochsitz zu warten, um kunstlos ein Tier zu töten, Jagderfolg dem Zufall zu überlassen, sofern es Zufall überhaupt gibt, oder auf sein Glück zu vertrauen, dafür konnte ich mich nie begeistern. Das bedeutet nicht, dass ich den Ansitz ablehne. Im Gegenteil. Ich finde Entspannung, sehe und lerne stets Neues, und manchmal bleibt Zeit zum Träumen in die Vergangenheit. Und dabei kommen mir Episoden, Begegnungen und Abenteuer in den Sinn, die niederzuschreiben ich in meinen bisher erschienenen Büchern vergessen habe.
Die Last des Alters
Lassen Sie mich meinen Parforceritt durch 66 Jägerjahre mit einem Traum beginnen, einem Albtraum:
Körperliche Strapazen und fortschreitendes Alter haben auch bei mir Spuren hinterlassen. Ich erinnere mich an den Ausspruch meines Stiefvaters: »Junge, denk an deine Rente, irgendwann wirst du älter und vielleicht auch einmal krank …« Es ist wohl ein Privileg – oder eine Arroganz der Jugend: Im Vollbesitz ihrer jugendlichen Kräfte, hört sie nicht auf die Alten.
Dann erwischte es auch mich. Ich brauchte ein neues Knie. Die Beschwerden waren kaum noch auszuhalten. Ein Jagdfreund operierte mich. Er eröffnete mir am nächsten Tag, ich müsste das operierte Bein einmal täglich bis zur Schmerzgrenze belasten. Als ich in dem Vierbettzimmer, links ein stöhnender Bettnachbar, rechts lautes Schnarchen, nicht schlafen konnte, griff ich meine Krücken und schleppte mich auf den Flur des Krankenhauses. Mutig wollte ich die Treppe nehmen, griff das Geländer und bewältigte die erste Stufe. Da fielen meine Krücken zu Boden und landeten scheppernd im Erdgeschoss. Mich durchfuhr ein entsetzlicher Schmerz. Mit Mühe setzte ich mich auf den eisig kalten Steinfußboden. Später rutschte ich schweißgebadet zurück in mein Zimmer. Mein Puls raste. Wie ich ins Bett gekommen bin, weiß ich nicht, erinnere mich nur noch an wahnsinnige Schmerzen.
In meiner Verzweiflung schluckte ich eine Handvoll Tabletten, von denen ich täglich lediglich eine halbe einnehmen sollte, es folgten grauenvolle Albträume: Ich schwamm durch einen Fluss, hinter einem Krokodil her, das ein Holzbein im Maul hatte. Kaum war es vor mir weggetaucht, fand ich mich auf einer Palme wieder, unter der ein Elefant auf einem Holzbein rumtrampelte. Anschließend zerrte ich meine Prothese mit aller Kraft aus dem Fang eines Leoparden und schrie dabei so laut, dass bereits das halbe Krankenhaus zusammengelaufen war und man mich im Bett festband. Als ich erwachte, redeten mehrere Gestalten in weißen Kitteln beruhigend auf mich ein.
Danach hatte ich keine Albträume mehr und verließ nach drei Tagen humpelnd das Hospital.
Kurz darauf bekam ich einen Herzschrittmacher. Ein großes Problem vor dem Eingriff war, den Professor davon zu überzeugen, dass das Gerät in die linke, nicht, wie von ihm gewünscht, in die rechte Schulter implantiert wird. Als ich ihm den Grund erläuterte, ich bin Rechtsschütze, musste ich ihm von meinen Jagdabenteuern erzählen.
Während der Operation unterhielten wir uns angeregt. Immer wieder schüttelte der Chirurg den Kopf, lachte, grinste und schien sich wenig auf seine ursprüngliche Arbeit zu konzentrieren. Im Grunde war es eine lustige Operation.
[no image in epub file]
Der Berufsjäger Carlo Engelbrecht begleitete mich auf der Jagd in der Republik Südafrika.