Читать книгу Das Ende der Knechtschaft - Günter Billy Hollenbach - Страница 10

Dienstag, 26. Juli

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Es hätte ein gewöhnlich angenehmer Dienstag werden können, wenn es nur nach mir ginge. Dank meiner tiefsitzenden Neigung, die Welt mit wohlwollenden Augen zu betrachten und mein alltägliches Treiben mit einer Prise heiterer Gelassenheit zu würzen. Die Unannehmlichkeiten, mit denen die Ermittlungen der Polizei aufwarten konnten, selbst die Befürchtung, in der „Croma“-Sache etwas angehängt zu bekommen, sind für mehrere Stunden vergessen. Auch dank der Beschäftigung mit Frau Warnke, die mich schon unter der Dusche und während des Frühstücks gedanklich vereinnahmt hat.

*

„Die Quartalszahlen stimmen nicht! Die Quartalszahlen müssen besser werden! Ich kann es nicht mehr hören! Verstehen Sie, das geht nicht nur mir so. Der macht uns alle verrückt, dauernd mit seinen blöden Quartalszahlen.“

Nach meinem Geschmack etwas zu auffällig geschminkt, dunkelbraune Kurzhaarfrisur, ein dunkelblauer, figurbetonter Hosenanzug, dunkelbraune Augen, die schlagartig einnehmend aufblitzen und sogleich wieder wie leer vor sich hinschauen können, 34 Jahre alt, ... genau so stellt man sich eine erfolgreiche Frau im Versicherungsgewerbe vor.

Sie sitzt leicht vorgebeugt, die Knie fest zusammengedrückt, auf der Vorderkante meines zweiten Arbeitsstuhls, ein bequemer Ledersessel mit breiten Armauflagen an den Seiten. Ihre Unterarme liegen nah beieinander auf den Oberschenkeln, die Hände angespannt gefaltet auf den Knien. Zweites Treffen mit einer neuen Coaching-Klientin.

„Vielleicht sollten Sie auf die Straße gehen und Kunden mit dem Lasso einfangen. Das würde ihrem Chef bestimmt gefallen,“ reize ich sie.

Einen Wimpernschlag lang schießt der Anflug eines Lächelns über Frau Warnkes Gesicht: „Ja, wäre doch mal was.“

Sie hebt den Kopf und schaut mich an, eine Spur aufgemuntert.

„Oh ja, ich mit einem Lasso.“

Dann schüttelt sie kaum merklich den Kopf. „Die ganze Stimmung in unserer Gruppe, unserem ,Leistungsteam’, ist total mies; welch ein Blödsinn, wir und Leistung, mit diesem Chef. Keiner traut dem anderen über den Weg.“

Ihre Stimme wird beinahe schrill. „Wegen der Quartalsergebnisse. Die Zahlen stimmen nicht, die Zahlen müssen besser wer...“

„Stopp, stopp! Ich hab ’s kapiert, Frau Warnke. Okay?! Es gibt noch mehr im Leben. Nur ganz kurz: Schauen Sie mal, wie Sie dasitzen.“

Sie zuckt etwas zurück, richtet ihren Oberkörper ein wenig auf.

„Oh Gott, ja, ich weiß, wenn ich nur daran denke, kriege ich diese Spannung in den Schultern und denke dann immer, ich müsste mich einigeln.“

Ich mag meine Coaching-Klienten. Jedes Mal lerne ich eine Menge von ihnen. Aber ihre Probleme halte ich mir vom Leibe. Diese Einstellung hilft mir, bei der Arbeit einen überwiegend heiteren, manchmal ironischen, bisweilen sehr direkten Grundton zu bewahren.

„Sie müssen?! Wirklich?!,“ beuge ich mich in ihre Richtung vor und schüttele lächelnd den Kopf. „Jeder anständige Igel wird sich das lautstark verbitten. Sie müssen gar nichts. Sie können entscheiden, wie Sie mit dem Igel umgehen. Was draußen um Sie herum geschieht, was Ihr Chef tut, ist das eine. Nur: Wie Sie selbst innerlich damit umgehen, ist etwas ganz anderes. Das ist allein Ihre Sache. Ihre freie Entscheidung. Ich weiß, das sagt sich leicht. Ist es auch, wenn man es einübt. Ehe wir weiter darüber sprechen, möchte ich Ihnen dazu eine kleine Übung vorschlagen. Ganz einfach und ein wunderbares Mittel, sich selbst schnell in eine gute Stimmung zu bringen. Haben Sie Lust?“

Sie nickt erkennbar aufatmend wie nach einem inneren Schubs.

„Oh ja, gerne, das kann ich gut gebrauchen, ich meine, dazu bin ich ja hier, nicht?“

„Prima, ich erkläre Ihnen kurz, was Sie tun. Es ist eine Körperübung. Auch gut gegen Stress. Und dann machen Sie es. Am besten geht es im Stehen. Ist ganz einfach. Okay?“

„Gut. Also los.“

Frau Warnke steht auf, streicht kurz mit beiden Händen am Jackett ihres Hosenanzugs hinab und schaut mich erwartungsvoll an.

„Was muss ich tun?“

„Ganz einfach. Und schön gelassen bleiben. Schütteln Sie locker Ihre Schultern aus. Und jetzt noch mal und dabei ruhig und entspannt tief durchatmen. Ein und aus, ganz locker. Das können Sie übrigens jederzeit am Arbeitsplatz machen, fällt nicht auf und stört niemanden.“ Sie hält die Augen leicht geschlossen, und ihre Wangen röten sich etwas. Oh Mann, die ist ja hübsch.

„Und wenn Sie beim Atmen etwas schnaufen, macht nichts, das gehört dazu. So, jetzt kommt der zweite Teil der Übung. Sie tun einfach, was ich sage. Sie stehen aufrecht und atmen ruhig weiter, genau wie jetzt. Als Erstes heben Sie Ihren linken Arm, hier, der hier, langsam und ganz entspannt, sehr gut, und strecken ihn seitwärts schräg nach vorn, halb hoch in einem leichten Winkel. Prima, Sie machen das sehr gut. Jetzt drehen Sie Ihre linke Handfläche nach oben und strecken die Finger aus, nebeneinander, ganz entspannt. Nun schließen Sie langsam die Finger Ihrer linken Hand zur Faust. Schön locker lassen. Jetzt denken Sie nur ganz kurz, höchstens eine Millisekunde lang, an die Quartalszahlen. Und jetzt, Achtung, jetzt strecken Sie Ihren linken Mittelfinger steil nach oben und machen gleichzeitig mit dem linken Arm eine leicht ruckartige Bewegung nach oben ...“

Erst denke ich, sie fällt hin.

So schnell biegt sie sich, laut loslachend, nach vorn, japsent, schnaufend lachend, mit einzelnen Wörtern dazwischen: „Oh nein, mein Gott, ... unmöglich!“

Kicherndes Lachen.

„Wirklich unmöglich! Also, wissen Sie, ich glaube ... ich glaube, das werde ich mein Lebtag nicht vergessen.“

„Soviel zum Thema Quartalszahlen“, sage ich gerade noch, ehe ich ebenfalls loslachen muss.

Sie richtet sich schnaufend auf, sieht mich strahlend an und fragt: „Schauen Sie mal, ist meine Kriegsbemalung verwischt? Vor Lachen sind mir die Tränen ge... Übrigens, ich glaube, Ihr Telefon klingelt.“

„Oh ja, ’schuldigung, ich gehe mal kurz dran, dann machen wir weiter. Sie können ja die Übung inzwischen wiederholen.“

Während ich die Tür zur Diele öffnet, schüttelt Frau Warnke den Kopf und beginnt wieder zu lachen: „Ganz bestimmt.“

„Ja, hier ist Berkamp.“

„Herr Berkamp“, amtlicher Tonfall, „hier ist Schuster, Oberkommissar Schuster vom K 21. Können Sie gleich mal vorbeikommen? Es geht um Ihren Wagen. Wir haben ihn gefunden ...“

„Wann denn und wo? Entschuldigung, ich habe Sie unterbrochen.“

„Am Sonntag Vormittag. Ziemlich nah am Tatort im Parkhaus hinter der Börse. Die Täter müssen dort den Wagen gewechselt haben. Egal, wir haben ihn und er wurde auf Spuren untersucht. Der Wagen ist freigegeben. Sie können ihn abholen. Von unserem Fahrzeughof hier im Präsidium. Aber Sie müssten vorher zu uns kommen. Es gibt da noch einige Fragen. Am besten gleich.“

„Tut mir leid, Herr Schuster, das geht nicht, in bin gerade bei der Arbeit. Und ich muss mich nach der S-Bahn richten. Heute Mittag, wie wäre das, sagen wir gegen Zwei, Halbdrei?“

Nach kurzem Zögern, eher lustlos: „Ja, das müsste gehen. Okay? Also dann sehen wir uns heute Mittag.“

Das Ende der Knechtschaft

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