Читать книгу Das Ende der Knechtschaft - Günter Billy Hollenbach - Страница 6
4
ОглавлениеLangsam löst sich meine innere Anspannung. Die beiden Beamten machen bloß ihre Arbeit. Und wir drei führen einfach ein Gespräch miteinander. Also bringen wir es mit Anstand hinter uns; zumal ich mir nichts zuschulden habe kommen lassen. Danach werde ich mit den beiden ohnehin nicht mehr viel zu tun haben.
Unbewusst habe ich bisher vor allem zu Oberkommissar Schuster gesprochen. Um beiden gleichermaßen zugewendet zu sitzen, drehe ich mich etwas nach rechts. Hauptkommissarin Sandner streicht sich wieder flüchtig die Haare aus der Stirn. An ihrem linken Ohrläppchen blitzt ein kristallklarer rundgeschliffener Ohrschmuck auf, kaum größer als ein Hemdknopf. Passt zu ihr und sieht nett aus, bleibt mir sogleich im Kopf hängen. Eine einfache Handbewegung mit einnehmender Wirkung. Aus diesem Winkel betrachtet finde ich ihr Gesicht recht hübsch.
Anders als bei ihrem Kollegen weht von ihrer Bekleidung keine Spur von Zigarettengeruch herüber. Das bringt der Frau einen dicken Pluspunkt bei mir ein. Frührer habe ich selbst mäßig geraucht. Als Gisela, jetzt meine Ex-Frau, mit unserer Tochter Claudia schwanger war, ließ ich es von einem auf den anderen Tag sein. Seit der Zeit habe ich eine ausgewachsene Abneigung gegen das Rauchen und den Geruch von Tabakqualm entwickelt. Für mich kann eine Frau noch so klug, hübsch und attraktiv sein; sobald sie zur Zigarette greift, verliere ich unweigerlich jedes Interesse an ihr.
„Herr Berkamp, hallo, hier spielt die Musik!“ holt mich Oberkommissar Schuster aus meiner Erinnerung zurück.
„Also, wir nehmen Coach als Berufsbezeichnung. Coach ... klingt auch interessanter. Kann man davon leben?“
„Wenn ich tot wäre, würde ich hier nicht sitzen.“
Frau Sandner hebt den Kopf leicht, die beiden Stirnfalten schieben sich ein wenig aufwärts, während ihre Wangenmuskeln kleine Fältchen um die Augen ziehen – strahlende Augen. Sie lacht los, nicht sehr laut und mehr in sich hinein.
„Stimmt.“
Das Lachen lässt sie jünger, beinahe mädchenhaft aussehen. Beim Versuch – einfach neugierig – die Farbe ihrer Augen zu ergründen, ertappt sie mich. Bestimmt werde ich rot, als sie meinen Blick spürt, mich ansieht – und ebenfalls errötet. Ihre Augen erscheinen braun, schimmern aber dunkelgrün, wenn mehr Licht von der Seite darauf fällt.
Oberkommissar Schuster schaut schweigend erst sie, dann mich und wieder seine Kollegin an.
„Sehr witzig,“ befindet er trocken. Als er sich mir wieder zuwendet, wirkt sein Gesicht einen langen Augenblick wie versteinert; die Augenlider zu schmalen Schlitzen verengt, der Blick hart und starr. Im Geist ist der Mann irgendwo anders, bis er einige Male blinzelt.
„Schuster, Manni, was ist, mach weiter,“ sagt Frau Sandner und tappt mit der rechten Hand auf seinen linken Unterarm. Als Schuster sich etwas aufrichtet, empfinde ich einen Schub Unbehagen. Seine ganze Ausstrahlung hat sich verändert. Da ist etwas Abschätziges, etwas ... Kaltes, Überlegendes, Entschlossenes in seinem Gesichtsausdruck.
*
„Darf ich Ihr Handy haben?“
Die Frage klingt wie eine Aufforderung.
„Tut mir leid, ich besitze kein Mobiltelefon.“
„Wie bitte! Sie, hören Sie mal. Sie haben uns doch angerufen! Was wollen Sie uns hier vormachen?“
Sein Ton hat sich deutlich verschärft.
„Augenblick, Herr Schuster. Warum sollte ich Ihnen etwas Falsches sagen? Ich habe kein Handy. Ich mag die Dinger nicht. Eine Frau hat mir ihres für den Anruf bei der Polizei geliehen. Die Frau hat da drüben gearbeitet, ich glaube Fenster geputzt.“
„Na ja, das lässt sich leicht überprüfen. Sie haben kein Mobiltelefon, Herr Berkamp. Nehmen wir zur Kenntnis, Punkt,“ stellt Frau Sandner fest, einfach und geradeheraus.
Es folgt eine ausführliche Befragung. Nach dem, wo ich am Vormittag war, was ich getan, im Zusammenhang mit dem „Croma“-Überfall gesehen habe. Ich bemühe mich, die drei Personen, die mutmaßlich an der Tat beteiligt waren, so genau wie möglich zu beschreiben. Wenn ich die Augen schließe, gelingt es mir zwar einigermaßen, die dunkle Erscheinung der männlichen Gestalt am Steuer des BMW zu erinnern. Doch sehr viel mehr von seinem Gesicht habe ich nicht gesehen. Es dürfte kaum reichen, den Mann wiederzuerkennen, falls er vor mir stände. Zu den beiden Frauen, die in den Wagen zustiegen sind, kann ich bis auf ihren entschlossenen Gang, die flatternde Bekleidung und ihre großen Hüte nicht mehr sagen.
„Nächste Frage. Wo, sagen Sie, haben Sie Ihr Fahrzeug heute morgen geparkt?“
Die Hauptkommissarin übernimmt die Gesprächsführung.
„In der Staufenstraße. An der Kreuzung neben einer Kindertagesstätte. Da gibt es samstags morgens meistens freie Parkplätze.“
„Sie haben den Wagen ordnungsgemäß geparkt, also in keinem Halteverbot oder auf einer Sperrfläche, und abgeschlossen?“
„Ja, na klar. Den Schlüssel habe ich hier bei mir.“
„Das heißt gar nichts“, wirft Schuster ein.
„Ja, das stimmt,“ stellt sie fest.
„Wer hat sonst noch Zugang zu den Wagenschlüsseln?“
„Niemand. Den Wagen fahre nur ich. Und verliehen habe ich ihn auch nicht. Das Ganze ist mir selbst ein Rätsel.“
„Den Schlüssel brauchen wir,“ befindet Oberkommissar Schuster.
„Also, darf ich bitten?“
Wieder dieser harte Ton und der kalte, abschätzige Blick.
„Ja, selbstverständlich.“
Dass diese Schlüsselringe immer fingernagelsplitternd zäh sein müssen, wenn man sie öffnen will.
„Okay, Leute, wir fahren dort hin,“ erklärt Frau Sandner bündig. „Manni, fährst Du? Ich sage den Kollegen Bescheid und Abmarsch.“
Sie greift seitwärts nach ihrer Tasche, während Schuster: „Ende der Zeugenbefragung gegen vierzehnuhrfünfundzwanzig“ in das Mikrofon sagt und das Gerät abschaltet. Ich bleibe einfach sitzen, erschöpft und schwer in den Knochen.
*
Auf dem Reuterweg schaltet Oberkommissar Schuster das Blaulicht ein und fährt zügig links über die Mittellinie in die Staufenstraße hinein, gegen die Richtung der Einbahnstraße. Zum Glück kommt kein Auto entgegen. Links hinter dem Spanischen Kulturinstitut befindet sich die Kindertagestätte, ein bunt bemalter Betonflachbau, umgeben von Büschen und Bäumen. Wo ich meinen BMW am Morgen geparkt habe, steht jetzt ein dunkelgrüner Mini. Schuster stoppt den VW-Bus mitten auf der Kreuzung und steigt sofort aus.
„Wie nicht anders zu erwarten. Hier gibt es nichts mehr zu sehen,“ bemerkt er schulterzuckend, als wir neben dem Mini stehen.
„Mal langsam, Herr Kollege.“
Frau Sandner dreht sich suchend um.
„Schau doch mal, ob Du etwas findest. Zigarettenstummel zum Beispiel, da bei dem Hinterrad des Mini, wie wäre es mit dem! Wer weiß, wozu es gut ist.“
Schuster hebt flüchtig beide Hände: „Okay, Boss, schon überredet.“
Er greift in seine Jackentasche, zieht eine kleine weißliche Plastiktüte heraus und bückt sich. Ich sehe ihm zu und fühle mich betroffen; als könnte ich etwas dafür, dass hier nicht mehr zu sehen ist.
Die Hauptkommissarin schaut an der silbergrauen Metall- und Glasfassade des Bürohauses gegenüber empor.
„Ob da heute jemand arbeitet? Vielleicht gibt es hier einen Pförtner. Manni, ich gehe mal vorn zum Eingang.“
Sie hält inne, dreht sich zu mir.
„Herr Berkamp, tut mir leid. Für ’s Erste sind wir wohl auch fertig. Jedenfalls können wir jetzt nichts mehr für Sie tun. Ach, Moment, hier, ich gebe Ihnen noch meine Karte, meine dienstliche Nummer. Wie kommen Sie nachhause?“
„Jedenfalls ohne mein Auto. Ich nehme die S-Bahn. Sobald Sie meinen Wagen finden, wäre schön wenn Sie ...“
„Na klar,“ unterbricht sie mich und streckt mir die Hand entgegen. „Davon können Sie getrost ausgehen. Kommen Sie gut heim. Wiedersehen. Natürlich müssen wir ihn erst mal finden, den Wagen. Ach ja, vielleicht warten Sie noch ein oder zwei Tage, bevor Sie Ihre Versicherung über den Diebstahl informieren. Die entsprechende Meldung ist für uns reine Formsache.“
*
Der Zug nach Weißkirchen hält an der Alten Oper, im Tunnel tief davor. Von der Staufenstraße dorthin ist es nur ein kurzes Stück zu Fuß. Kaum zehn Minuten später besteige ich die Regionalbahn S 5 in Richtung Bad Homburg, sitze aber in Gedanken noch in dem blassblauen VW-Bus.
Auf meine Intuition kann ich mich verlassen. Das habe ich oft genug erlebt.
Dieser graue Schatten vor meinem Energiefeld; später die beachtliche Veränderung in Oberkommissar Schusters Blick – kalt und unbeteiligt. Als dachte er über eine ganz andere Sache nach. Oder als ob er mich nicht ernstnahm und meine Aussagen als unerheblich abtat.
Seine Kollegin dagegen empfand ich durchgängig aufmerksam und verständnisvoll. Sogar nach Einzelheiten meiner Arbeit hatte sie gefragt. Und wenn alles gespielt war, eine eingeübte Schau – er bedrohlich, sie besänftigend? Dagegen sprachen ein paar unübersehbare, unausgesprochene Kleinigkeiten im Umgang der beiden miteinander.
*
An diesem Samstag in der Goethe-Straße kommt mehr in Gang als die polizeiliche Ermittlung eines Uhren- und Schmuckraubes. Was wirklich gespielt wird, zeichnet sich nur wenige Tage später in harten Umrissen ab. Auch mit mir gespielt wird. Dinge, von denen ich nichts ahne. Die nichts mit mir zu tun haben; gleichwohl mein Leben in ernste Gefahr bringen. Heraufbeschworen durch Leute, von denen ich es am wenigsten erwarte.
Auch wenn sie keine Beweiskraft besitzen; meine tagebuchähnlichen Aufzeichnungen helfen, das Geschehen zu verarbeiten und die Erinnerung daran wach zu halten.