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„Wir machen das hier bei mir. Guten Tag, Herr Berkamp.“

Hauptkommissarin Sandner steht in der Tür zu einem mittelgroßen Arbeitszimmer mit zwei gegeneinander gestellten Schreibtischen nahe der Fensterseite. Links und rechts teilen Zwischenwände zwei kleinere Arbeitszimmer ab. Vorn führt eine Zwischentür in jedes der Zimmer, in denen ein Schreibtisch erkennbar ist.

Von der Zimmerdecke hängen, parallel zu den Fenstern, an dünnen Metallstangen balkenförmige mattsilbergraue Beleuchtungskörper mit Leuchtröhren darin und den typischen weißen Plastikgitterleisten darunter. An einer schmalen Schiene dicht vor den Fenstern reihen sich von Wand zu Wand bewegliche, gut zwanzig Zentimeter breite hellbeigefarbige Streifengardinen, unten durch zwei Reihen kleiner Kettchen miteinander verbunden. Außen vor den Fenstern sind Bahnen waagerechter hellgrauer Aluminiumjalousien unterschiedlich weit herunter gefahren worden. Bei dem hellen Sonnenschein heute wirkt das gedämpfte Licht angenehm wie auf einer schattigen Veranda. Trotzdem ein bisschen verrückt; draußen scheint die Sonne und hier drinnen arbeiten die Leute unter künstlichem Licht.

Die hellen Schreibtische, Regalkommoden und ein höherer Aktenschrank rechts neben der Eingangstür sind farblich auf die Wände abgestimmt. Ein beinahe kugelrunder Benjamini auf einem langen dürren Stamm ragt in der linken Ecke hinter Frau Wegmanns Arbeitsplatz vom Boden empor. Die Wände sind frei von Plakaten, Aufklebern oder Bildchen mit mehr oder weniger ernstgemeintem Bezug zu Polizeilichem. Die Leute wissen auch so, wozu sie hier arbeiten.

Frau Sandner hat zunächst nebenan mit Herrn Schuster gesprochen. Zurück in ihrem Arbeitszimmer winkt sie mich weiter durch die Zwischentür, setzt sich sogleich auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch. Heute gibt sie die Western-Lady; blaue Jeans, eine rotgrün karierte Bluse und eine leichte braune Lederweste. Nett sieht sie aus, die Frau Hauptkommissarin; sie scheint guter Stimmung zu sein, lächelt ihren offenen Neugierblick. Ermutigend oder einfach nur freundlich.

„So, Herr Berkamp, wir brauchen nicht lange. Ist ein bisschen eng hier, aber für uns zum Arbeiten reicht es. Setzen Sie sich, da bitte,“ und deutet auf einen gepolsterten Bürostuhl schräg gegenüber.

Es ratscht vom Nebenzimmer her.

Oberkommissar Schuster in dunkelrotem Polohemd und schwarzer Sporthose schiebt seinen Stuhl mit dem Bauch vor sich her. In der linken Hand pendelt ein Kaffeepott und halb unter dem rechten Arm klemmt einen dünner Aktenordner.

Er stellt die Tasse auf die Kommode hinter mir, setzt sich mit einem „Ups“ auf den Stuhl und rollt schräg neben seine Kollegin. Als er verdutzt neben mich schaut, nehme ich seinen Kaffeepott und reiche ihn behutsam hinüber, damit er nicht aufstehen braucht.

„Danke, und Tach, Herr Berkamp.“

„Lass uns hinmachen, Manischu, wir haben genug zu tun,“ bittet die Hauptkommissarin ihren Kollegen, worauf der seine linke Handfläche wie zu einem angedeuteten Haltsignal hebt. Frau Sandner scheint dies nicht zu bemerken, weil sie sich bereits mir zuwendet.

„Ihr BMW ist freigegeben, Herr Berkamp. Wir brauchen noch Ihre Fingerabdrücke, aber die Auswertung kann später geschehen. Reine Formsache. Es gab ohnehin kaum brauchbare Spuren in dem Fahrzeug. Der Autoschlüssel ist unten, Frau Wegmann holt ihn gerade.“

Wie am Samstag hat Oberkommissar Schuster Mühe, seine Beine still zu halten.

„Wer außer Ihnen fährt noch den Wagen?,“ fragt er unvermittelt.

„Niemand. Das sagte ich ja bereits am Samstag. Ich bin der einzige, der den Wagen fährt. Und vorigen Sommer zum TÜV die Leute in der Werkstatt, falls es davon noch Spuren gäbe. Aber darf ich vorher kurz etwas Anderes ansprechen. Sagen Sie mir bitte, was in der „Croma“-Boutique passiert ist?“

„Huh?“ Schusters Kopf ruckt zurück, überrascht von meiner Frage.

„Lesen Sie keine Zeitung?“

„Richtig, Herr Schuster, ich lese keine Zeitung. Radio reicht mir. Und da erfährt man solche Dinge eher selten.“

Er schaut kurz zu seiner Kollegin. Frau Sandner meint knapp:

„Mach, Manni, wenn Du willst, was ohnehin bekannt ist an Fakten.“

„Na schön,“ nickt er, „hier die Kurzfassung.“

Die Täter haben ein Auto bestiegen, erwiesenermaßen meines, und sind in die Goethe-Straße gefahren. Dort gingen sie mit großem Geschick, schnell und brutal vor. Drei männliche Täter. Zwei waren als Frauen verkleidet, hatten sich recht hübsch gemacht. Die Überwachungskameras waren ihnen egal. Sie sind rein in den Laden und haben sehr überzeugend gewirkt. Haben mit russischem Akzent gesprochen – wahrscheinlich vorgetäuscht – und mit Gold-Kreditkarten gewedelt. Die beiden Verkaufsdamen haben gleich an satten Umsatz und weniger an Sicherheit gedacht und bereitwillig zwei der Vitrinen geöffnet, die normalerweise gesichert sind. In dem Moment wurden sie von den beiden Räuber mit Elektro-Schockern außer Gefecht gesetzt.

Während Schuster in geschäftsmäßigem Tonfall vorträgt, wandern seine Augen unstet hin und her, ohne mich jemals ruhig anzuschauen. Der Mann strahlt eine innere Unruhe aus, die nicht recht zu seiner kräftigen Statur und zur Berichterstattung über einen Sachverhalt passen will, der für ihn Alltagsgeschäft ist. Seine Hände verweilen immer nur für Augenblicke an einer Stelle. Ein paar Mal finde ich es anstrengend, seinen Ausführungen zu folgen.

„In der zweiten Vitrine lagen ohnehin nur Imitate, aber da war einer der beiden Räuber schon im Büroraum,“ ergänzt er.

Der Herr Verkaufsleiter dort hat den Tresor nicht schnell genug geschlossen. Also wurde zügig eingepackt. Als eine der Angestellten wieder halbwegs zu sich kam, löste sie den Alarm aus. Daraufhin hat der zweite Räuber ihren Kopf auf die Vitrine geknallt. Etwas seltsam verhielt sich der Wachmann innen an der Tür, ein älterer Herr. Der schwört, er hätte sofort seinen Alarmsender in der Hosentasche betätigt, als die Kerle mit den Elektro-Schockern anfingen.

„Das Dumme war nur, unsere Techniker sind sicher, dass die Batterien erschöpft waren.“

„Ganz schön dreist,“ finde ich.

„Muss man wohl so sagen“, bestätigt Hauptkommissarin Sandner, die mich die ganze Zeit ruhig angeschaut hat, „gerissenes Vorgehen seitens der Räuber und ein paar kleine Missgeschicke. Die Geschäfte gehen allgemein nicht besonders gut zur Zeit, das Personal sehnt sich nach Kundschaft. Der Mann hinten macht den Tresor früher auf als üblich. Und wenn Monat um Monat nichts passiert und der Türwachmann die Batterien nicht regelmäßig wechselt, merkt er erst wenn ’s zu spät ist, ob die leer sind oder nicht....“

„Oder er wollte, dass sie leer sind,“ unterbricht Schuster und fährt fort, „jedenfalls können wir Mithilfe von innen nicht völlig ausschließen, obwohl der Wachmann unbescholten ist. Den haben die Räuber übel zusammengeschlagen. Eingespielt, schnell und brutal; scheint in ein paar Läden immer noch zu klappen.“

„Danke für die Auskunft. Dass solche Überfälle heute noch vorkommen?! Wissen Sie, wie viel erbeutet wurde?“

Schuster lacht in Richtung Zimmerdecke. „Das ist ’ne gute Frage.“

„Wir sind da vorsichtig geworden,“ schließt die Hauptkommissarin an. Bei derartigen Überfällen neigen die gemeldeten Schadenssummen dazu, ordentlich anzusteigen. Das entspricht nicht immer dem tatsächlichen Wert der entwendeten Gegenstände. Auch wenn diese Läden reichlich Ware auf Lager haben.

„Da kommen manchmal Araber hereinspaziert oder seit Jahren vermehrt Russen, die kaufen locker drei Uhren für 50 Tausend Euro, pro Stück wohlgemerkt, und zahlen bar. Wahrscheinlich eine Form der Geldwäsche,“ meint Schuster achselzuckend.

„Für mich ist das Wahnsinn, für eine Uhr so irre viel Geld ausgeben. Hier, meine Junghans, Funkuhr aus Edelstahl, läuft noch in tausend Jahren auf die Sekunde genau und hat schlappe 200 Euro gekostet. Mal ehrlich, wozu gibt man Tausende für ’ne Uhr aus? Um die Nebenfrau damit zu schmücken?“

Er macht eine seitwärts gerichtete Handbewegung. „Wie mein Boss gesagt hat, nach solchen Überfällen werden oft überhöhte Schadensbeträge angegeben. Uns kränkt das weniger als die Versicherung.“

Wie er „mein Boss“ vor mir Außenstehendem sagt, empfinde ich eher geringschätzig als anerkennend für die ranghöhere Kollegin.

Ich hätte gern nach Hinweisen auf die Täter gefragt, lasse es aber. Frau Sandner scheint das Gespräch beenden zu wollen, schielt zu ihrem Bildschirm und zieht die Computer-Tastatur näher. Sie wirkt überrascht, als Oberkommissar Schuster laut Luft holt und im Tonfall einer Warnung erklärt:

„So weit, so gut, beziehungsweise schlecht, Herr Berkamp. Wir hätten da trotzdem noch ein paar Fragen.“

Er nippt an seiner Kaffeetasse, hebt den dünnen Ordner auf, den er neben sich auf den Fußboden gelegt hat, und beginnt darin zu blättern. Frau Sandners Steilfalten zwischen den Augenbrauen ziehen sich kurz zusammen; kein Neugierblick, Verwunderung.

„Nur eine Kleinigkeit, Herr Berkamp,“ fragt Schuster in einem Ton, der mich daran zweifeln lässt.

„Wo waren Sie am Mittwoch, den 25. Mai?“

Wissen Sie sofort, was Sie an einem beliebigen Tag vor etlichen Monaten getan haben oder wo Sie waren? Ziemlich unwahrscheinlich.

Ich weiß es.

„Das kann ich Ihnen sagen, Herr Schuster. Da war ich bei meiner Tochter. Wenn Sie die fragen wollen, gebe ich Ihnen gern die Telefonnummer.“

„Sehr praktisch,“ entgegnet er schnippisch, „die wird selbstverständlich bestätigen, was Sie mit ihr verabredet haben.“

Was soll das denn jetzt?

„Klar, weil Kinder bekanntlich immer tun, was die Eltern sagen.“

„Ich weiß nicht, Herr Berkamp, ob Sarkasmus hier angebracht ist.“

„Also schön. Dann rufen Sie Professor Cajete am „Institute of American Indian Arts“ in Santa Fe in New Mexico, USA, an. Dort habe ich an einem zweiwöchigen Schamanen-Workshop teilgenommen. Das können er und weitere vierzig Teilnehmer bestätigen.“

„Herr Berkamp, das gefällt mir gar nicht. Erst sagen Sie, Sie waren bei Ihrer Tochter. Dann erzählen Sie etwas von Indianern in Santa Fe. Wo waren Sie denn nun?“

Sein Ton hat sich unschön verschärft. Täusche ich mich? Der Mann redet, als ob er mich verdächtigt, an dem Überfall beteiligt zu sein?

„Das habe ich gerade gesagt, in Santa Fe, New Mexico. Meine Tochter lebt dort mit ihrer Familie.“

„Ach sooo, sagen Sie das doch gleich. Und da waren Sie zwei ...“

„Nein“, unterbreche ich ihn, „insgesamt fast vier Wochen von Mai bis Anfang Juni. Der Workshop selbst hat zwei Wochen gedauert und war am gleichen Ort. Und falls Sie Herrn Lufthansa nach meinen Flügen fragen wollen, das geht bis Albuquerque und mit dem Bus oder per Auto weiter nach Santa Fe.“

„Worauf Sie sich verlassen können,“ schnauft der Beamte angesäuert.

„Komm, Schuster, das lässt sich ja nun wirklich leicht überprüfen,“ befindet Frau Sandner. „War ’s das jetzt?“

Schuster zieht verächtlich einen Mundwinkel herab.

„Nicht ganz, Boss.“

Er blättert wieder in dem dünnen Ordner und schlägt eine eingeheftete DIN-A-4-Folie auf. Darin befindet sich ein etwas kleineres Papier mit einem BMW-Zeichen oben links. Er beugt sich ein wenig zu mir und sieht mich an, als müsse er ein bevorstehendes Unheil verkünden. „Haben Sie eine Erklärung dafür, wie dieser Werkstattzettel in Ihren Wagen kommt? Er stammt von der Firma „Autohaus Schwarzberger“ in Bad Vilbel und trägt das Datum vom 25. Mai?“

Ihr Seitenblick zeigt, Frau Sandner ist ebenso überrascht wie ich.

„Tut mir leid; kann ich nicht erklären. In Bad Vilbel bin ich nur einmal im Leben gewesen, als ich Möbel ausgefahren habe; als Student. Seitdem nie wieder. Autohaus Schwarzwälder ...“ – „Schwarzberger,“ unterbricht er mich –; „auch gut, kenne ich jedenfalls nicht.“

Wenn etwas mit dem Auto ist, fahre ich zu meiner Vertragswerkstatt in Kronberg. Die kennen den Wagen und das hilft beim Wiederverkauf. „Wie gesagt, zu der Zeit war ich in Santa Fe. In meiner Abwesenheit ist das Auto nicht bewegt worden. Da bin ich ziemlich sicher. Weil keiner außer mir Schlüssel dafür hat.“

Schusters rechtes Knie beginnt unablässig zu wippen. Erst schaut er mich abschätzig schweigend an. Dann grinst er hintersinnig:

„Wenn wir mal annehmen, dass wir hier nicht in Fantasia-Land sind, wo jemand billige Überraschungen für das zahlende Publikum hervorzaubert, finde ich Ihre Antwort offen gesagt wenig befriedigend, Herr Berkamp.“

„Das tut mir leid, aber ich dachte, ich bin hier, um die Wahrheit zu sagen und nicht um Sie ...“ – beinahe hätte ich „zu befriedigen“ gesagt – „zufrieden zu stellen. Außerdem kann jemand den Zettel am Wochenende absichtlich da reingelegt haben, die Täter, als Irreführung; oder versehentlich einer von Ihren Leuten. Was weiß ich?“

„Komm, Manni, lass mal die Kirche im Dorf,“ ermahnt die Hauptkommissarin und steht auf, „wir gehen dem Werkstattzettel nach.“

Sie hält inne, zögert, entschließt sich.

„Noch kurz, Herr Berkamp, wenn Sie wollen: Der Workshop in Santa Fe? Ein Kurs für Schamanen. Ich denke da an Geistheiler. Haben Sie damit etwas zu tun?“

Wie sie klingt und mich dabei ansieht, steckt echtes Interesse dahinter.

„Oh je, Frau Sandner, ... ich bekenne mich schuldig.“

Schamanismus, erkläre ich knapp, ist mehr ein Handwerk als eine Religion. Schamanen nutzen die Energie des Körpers und Kräfte des Geistes. Um Menschen etwas Gutes zu tun, ihnen zum Beispiel beim Heilen zu helfen. Ziemlich sicher ist es eine der ältesten Therapiearten der Welt. Wirkt verblüffend gut, besonders wenn man daran glaubt.

„Kann man sogar bei Pflanzen oder Tieren anwenden, denen man ...“

Oberkommissar Schuster schneidet mir den Satz ab, erkennbar verächtlich. Oder noch verärgert von der Zurechtweisung durch seine Chefin. „Also Voodoo, Leute verhexen oder verarschen, mit Federn rumfuchteln und unverständlich daherreden. Leute, verschont mich mit diesem esoterischen Mist.“

Frau Sandner schaut fast erschrocken in seine Richtung:

„Du und deine Vorurteile, Manni. Nimm dich zusammen!“

Der gibt ihr einen Blick zurück – verärgert, beinahe wütend.

„Das ist nicht ganz falsch, Herr Schuster,“ nehme ich sein Stichwort auf. „Voodoo gehört auch in den Bereich des Schamanischen.“

Ihn ein wenig mit Freundlichkeit zu nerven, gefällt mir. Menschen sind Glaubenswesen, belehre ich ihn. Äußere Symbole helfen dabei. Ärzte tragen einen weißen Kittel und reden Lateinisch, damit die Leute von ihnen Heilung erwarten. Weil sie eine Uniform anhat, glauben die Menschen, dass die Polizei für Recht und Ordnung steht.

Frau Sandner setzt sich vorn auf die Stuhlkante und tippt dem Kollegen augenzwinkernd mit der rechten Hand gegen die linke Schulter.

„Schöner Mist, Manni; und wir sitzen hier ohne Uniform. Wie stehen wir jetzt da?!“

Was mich zu einer kleinen Spitze gegen Schuster veranlasst.

„Tja, Frau Hauptkommissarin, jetzt ahnen Sie vielleicht, weshalb mein Misstrauen mit jeder Sekunde größer wird.“

Schuster steht unvermittelt auf, erklärt „Danke, das reicht mir jetzt“, ergreift seinen Stuhl und den Aktenordner und verlässt grußlos den Raum. Um sofort wieder zurückzukommen.

„Hab bloß meine Tasse vergessen. Und Sie Herr Berkamp, Sie müssen noch rüber wegen der Fingerabdrücke. Das wird hoffentlich unser Misstrauen verringern. Frau Wegmann soll das erledigen.“

Das Ende der Knechtschaft

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