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6.3Zeitnot
ОглавлениеVerzweifelte Hoffnung ist Hoffnung, die »im Grunde ihres Herzens« weiß, dass sie vergeblich ist. Sie fühlt sich von Idioten, von Zynikern, kurz, von zu bekämpfenden Feinden umzingelt und ist darin enttäuschte Hoffnung. Verzweifelte Hoffnung ist selbst ein Phänomen der Beschleunigung in spätmodernen Gesellschaften. Wenn zur Erreichung der Hoffnungsziele oder zur Abwendung der unheilvollen Dystopie die Zeit nicht mehr reicht, weil eben z.B. die Verfahren der Demokratie zu langsam sind, dann verzweifelt die Hoffnung angesichts der zerrinnenden Zeit. Der einzige Ausweg ist dann, die eigene Anstrengung zu beschleunigen, zu intensivieren. Darum die Atemlosigkeit der verzweifelten Hoffnung. Das Schwanken zwischen Machtphantasien und Ohnmachtsgefühlen ist ihre Signatur.
In den extremen Formen dieser Hoffnung ist das Vertrauen in die Macht des guten Arguments aufgegeben. Überzeugungsarbeit hat dann etwas mit dem mobilisierten, dem verwundeten und dem empörten Körper zu tun. Und: Verzweifelt Hoffende werden zu Zeugen. Sie werden zu Bekennern, die die Langsamkeit des Gesprächs verachten. Deshalb haben sie auch die gemütliche Welt des politischen Philosophen Jürgen Habermas längst hinter sich gelassen. Diese Hoffnung zielt darum letztlich auf eine Welt jenseits der repräsentativen Demokratie. Wenn dieser Zug das Ziel nicht erreicht, dann muss der Bahnsteig gewechselt werden.
Verzweifelt Hoffende leben in äußerst versuchlichen Umgebungen: Bitterkeit, Paranoia, Hass auf das Schöne und die Nischen der Neostoizisten, Vernichtungsphantasien, große, aber leere Empörungsgesten legen sich immer nahe. Verzweifelt Hoffende flirten mit der uralten Vorstellung, bevor das wahrhaft Neue, Gute und Gerechte verwirklicht werden könne, müsse das Alte vernichtet werden. Es ist die so alte wie vergebliche Hoffnung, dass aus dem Nullpunkt, dem Ausnahmezustand, das wunderbar Neue aufsprießt.
Verzweifelt Hoffende sind moralische Künstler, die die Welt ohne Grautöne porträtieren. Da gibt es Freunde und viele Feinde. Unter Letzteren finden sich auch ihre Kritiker und Verräter. Verzweifelte Hoffnung lebt nach dem jesuanischen Motto: »Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich« (Lukas 11,23). Diese Hoffnung stellt sich selbst eine Lizenz zum Hass aus. Hassen für die Liebe, für die Gerechtigkeit und die Rettung, das ist das innere Paradox verzweifelter Hoffnung. Dieser Widerspruch lässt sie eine Beziehung der Hassliebe zu den Vitalisten entwickeln. Dann eröffnen sich auch Grauzonen, in denen sich egoistische Vitalisten hinter der Maske der Moral und Weltrettung verbergen können.