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Blutrot

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Nach achtundvierzig Stunden Fusel, Tränen, Zärtlichkeit und Diskussionen hatte Pierre Julies Bett verlassen. Sie hatte mehrfach versucht ihn dazu zu bringen, über seine Wut zu sprechen, ihr auf den Grund zu gehen, auszumisten, doch er hatte sie Mal für Mal abblitzen lassen, »machst du jetzt einen auf Louise, oder was?«, und jeder dieser Ausraster war wie eine Ohrfeige für sie gewesen, häusliche Gewalt, also hatte sie ihn rausgeworfen: »Verpiss dich, sofort!« Er hatte schnell geduscht, sich mit dem Peelinghandschuh stellenweise bis aufs Fleisch abgeschrubbt, um den animalischen Geruch zu beseitigen, die Fäulnis in sich zu entfernen, und war wortlos mit verkniffenem Mund verschwunden. Die Tür hatte er zugeknallt. Dabei war er mit der Hand gegen den Türrahmen gestoßen, und sie hatte wieder angefangen zu bluten. Plötzlich stand er in der Kälte. Einsam und verloren. Im Café de la Mairie bestellte er einen doppelten Espresso und ein Butterbrot. Auf dem Fernseher hinter der Theke liefen die Bilder von den Champs-Élysées am Samstag in Dauerschleife. Die Schlägerei mit den Bullen. Die Pflastersteine. Die Granaten. Das Tränengas. Das Flammenmeer. Pierre war fasziniert von den Kerlen, die sich trauten, Steine zu werfen. »Worte vergehen, Steine bestehen«, hatte Tony gesagt. Natürlich waren in der Menge auch Randalierende gewesen. Welche vom Schwarzen Block. Na und? Deren Gewalt ist unsere Gewalt mit mehr Mumm, dachte Pierre. Eine Ausdrucksform. Ja, sogar eine Sprache. Eine ganze Grammatik. »Wir haben immer schön die Klappe gehalten, weil das System dafür gesorgt hat. Wir waren Schafe. Fußabtreter. Dreck, Jeannot, nichts weiter«, und Jeannot hatte überlegt. »Wut allein reicht nicht, um die Welt zu verändern, Pierrot, sie macht nur Krach. Wir müssen wiederfinden, was wir alle gemeinsam hatten, was wir aus den falschen Gründen verloren haben.« Ach, leck mich, Jeannot! Nächsten Samstag würde er nach Paris fahren. Und wenn Tony, Julie, Jeannot und die anderen nicht mitwollten, hatten sie Pech gehabt. Sollten sie doch in ihren kleinen, beschissenen Leben versauern. Nimm dich in Acht, Pierre, die Wut facht uns an und verzehrt uns. Sie lässt alles Gute in uns brüchig werden. Pierre bat den Wirt, den Sender zu wechseln, und orderte noch einen Kaffee. Der Wirt bot ihm einen Klaren dazu an. Pierre sagte nicht Nein.

Die wärmste aller Farben

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