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1 Einleitung

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Das Reichsgesetzblatt (RGBl.) war im Zeitraum von 1849 bis 1918 das offizielle Veröffentlichungsblatt der Gesetzgebung der Habsburgermonarchie und wurde in neun Sprachen der Habsburgermonarchie übersetzt, darunter auch ins Slowenische. Das äußerst umfangreiche Übersetzungsprojekt erregte in der slowenischsprachigen (Fach-)Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit und stellte die slowenischen Translatoren1 vor zahlreiche Herausforderungen. Ausgehend vom Begriff der Translationskultur von Prunč (2008: 24f.) soll im vorliegenden Beitrag auf der Grundlage von persönlichen Korrespondenzen, Zeitungen und Fachzeitschriften ein punktueller Einblick in den Zeitraum von 1849 bis 1918 geleistet werden, um einige spezifische Dimensionen der Translationskultur nachzeichnen zu können.

Das Konzept der Translationskultur wurde von Erich Prunč im Jahre 1997 im Rahmen seiner kritischen Überlegungen in Bezug auf das translatorische Handeln eingeführt. Aufgrund der von ihm festgestellten Diskrepanz zwischen der historischen und zum damaligen Zeitpunkt gegenwärtigen Rolle der Translation, zwischen dem in jener Zeit einerseits praxisorientierten und andererseits akademischen Zugang zur Translation an diversen Ausbildungsinstitutionen und dem damals vorherrschenden Image der TranslatorInnen, führte er diesen Begriff ein, um das dynamische, multiperspektivische und heteronome Handlungsfeld der Translation beschreiben zu können (vgl. Prunč 1997: 99ff.). In seiner aktuellen Fassung der Translationskultur definiert Prunč dieses Konzept unter dem soziohistorischen Aspekt wie folgt:

Das soziohistorische Konstrukt der Translationskultur wird konfiguriert durch ein Set von gesellschaftlich gesteuerten und steuerbaren translationsrelevanten Normen und Konventionen, Wertvorstellungen, Erwartungshaltungen und habitualisierten Verhaltensmustern aller in der jeweiligen Kultur aktuell oder potentiell an Translationsprozessen beteiligten Handlungspartnern sowie deren Agenten und Agenturen. (Prunč 2017: 32f.)

Bei der Verortung der Translationskultur sind sowohl zeitliche, räumliche als auch gesellschaftliche Determinanten zu beachten. Nach Prunč (2008: 25) bringt das Konzept der Translationskultur nämlich den gesellschaftlichen Konsens oder Dissens darüber zum Ausdruck, welche Formen der Translation zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Interaktionsraum jeweils unzulässig, zulässig, empfohlen und obligatorisch sind.2 Der gesellschaftliche Aspekt ermöglicht es, den Blick für jene Personen und Gruppen zu schärfen, die an der Konstruktion einer Translationskultur maßgeblich beteiligt sind:

Als historisches Konstrukt sind Translationskulturen der Niederschlag des machtgeleiteten Kräfteausgleiches aller an Translation interessierten Individuen und Institutionen. Als Akteure fungieren neben den Translatoren die Autoren, Initiatoren und Adressaten. Die Kräfteverhältnisse zwischen den Handlungspartnern sind von ihrer Hierarchie und vom Wertekonsens in der jeweiligen Gesellschaft abhängig, weshalb Translationskulturen von den Wertesystemen eine Sozietät nicht abzukoppeln sind. (Prunč 2017: 32)

Ungeachtet der methodischen Probleme, die sich bei der Auslotung konkreter Translationskulturen ergeben und von Prunč selbst thematisiert werden, können auf der Grundlage dieses Konzeptes aufschlussreiche Einblicke in gesellschaftliche Zusammenhänge, in welche die Translation eingebettet ist, gewonnen werden (vgl. Prunč 2008: 25f.). Wie produktiv das Konzept der Translationskultur sein kann, wurde bisher in mehreren Beiträgen gezeigt. In Schippels Sammelband Translationskultur – ein innovatives und produktives Konzept (2008: 11ff.) wird inhaltlich eine breite Palette von anthropologischen, soziologischen bzw. soziokulturellen, translationstheoretischen und translationspraktischen Fragestellungen aus translationskulturellem Blickwinkel betrachtet. Schippel sieht das Konzept der Translationskultur als einen operationalen Begriff, der nicht nur innerhalb der Translationswissenschaft, sondern auch interdisziplinär produktiv sein kann. Schopp (2008: 237ff.) befasst sich mit der Qualitätssicherung im Übersetzungsprozess mit Hilfe von translatorischen Netzwerken und konzentriert sich dabei insbesondere auf das spezifische translationskulturelle Merkmal des translatorischen Arbeitsumfeldes und der translatorischen Arbeitskultur. Prunč selbst (2009: 3ff.) verwendet das Konzept zur Beschreibung der kroatischen Translationskultur und entwickelt prospektiv auf dieser Grundlage ein demokratisches Modell der Translationskultur. Auch für Wolf (2010: 29f.) scheint das Konzept der Translationskultur nicht nur für die historische, sondern auch für die aktuelle Rekonstruktion des Handlungsfeldes Translation durchaus geeignet zu sein. Dabei arbeitet sie sowohl Gemeinsamkeiten als auch distinktive Merkmale der Translationskultur von Prunč und des Übersetzungsfeldes von Bourdieu heraus. Wolf kommt zu dem Schluss, dass die Translationskultur mit deren translatorischen Praxis für das Übersetzungsfeld einen übergeordneten Rahmen darstellt. Somit verhilft die Translationskultur dem Übersetzungsfeld zu seiner Existenz im sozialen Praxisfeld und schafft zugleich Verbindungen zu anderen Feldern, die die Existenz des Übersetzungsfeldes sicherstellen.

Im vorliegenden Beitrag wird von der Annahme ausgegangen, dass sich im Zuge der Übersetzungen des RGBl. ins Slowenische eine spezifische Translationskultur herausgebildet hat. Wie bereits ausgeführt, ermöglicht das Konzept der Translationskultur die Betrachtung des gesamten Beziehungsgeflechts des translatorischen Handelns (vgl. Prunč 2008: 28). Wie bei Grbić (2010: 152) soll das Konzept der Translationskultur als ein Erklärungsmodell verwendet werden, um das Beziehungsgeflecht innerhalb der slowenischen Übersetzungen des RGBl. zu untersuchen. Dabei geht es vorrangig um die Frage, wer an den slowenischen Übersetzungen des RGBl. Interesse hatte und welche Translationskultur von diesen Interessengruppen auf unterschiedlichen Ebenen impliziert war. Als beteiligte Handlungspartner an den Translationsprozessen können im Falle des RGBl. einerseits die Redakteure und Kontrolltranslatoren der slowenischen Ausgabe identifiziert werden. Andererseits zählen dazu weitere Translatoren, Sprachwissenschaftler, Philologen und Juristen, die sich untereinander und mit den Translatoren des RGBl. in persönlichen Korrespondenzen über die angefertigten Translate austauschten. Die Untersuchung erfolgt also nicht auf der Beurteilung der Ausgangs- und Zieltexte, sondern nach Munday auf der Grundlage primärer Quellen, für den diese „an indispensable resource for the investigation of the conditions, working practices and identity of translators and for the study of their interaction with other participants in the translation process“ (Munday 2014: 64) sind. Über diese Primärquellen hinaus stellen slowenische Zeitungen und Zeitschriften eine weitere Interessengruppe dar, in der ein Diskurs über die Übersetzungen des RGBl. stattfand.

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