Читать книгу Eine Geschichte des Krieges - Группа авторов - Страница 56
Wenn die Technologie die Strategie bestimmt
ОглавлениеIn symmetrischen Kriegen bleibt die technologische Überlegenheit nicht lange erhalten. Aufgrund der technischen Entwicklung selbst kommt es nur selten vor, dass eine Seite langfristig einen bedeutenden Vorteil behält. Um das einzusehen, genügt das Beispiel des Fortschritts im Flugzeugbau während des Ersten Weltkrieges. Im Sommer 1915 entwickelten die Deutschen ein neues Jagdflugzeug, den Eindecker Fokker E. I – die beste Maschine ihrer Art, die je existiert hatte. Ein System, das das Maschinengewehrfeuer mit dem Propellerschlag synchronisierte, erlaubte es, in schnellerer Abfolge und mit größerer Präzision zu schießen. Über einen Zeitraum von wenigen Monaten, den die Alliierten als »Fokker-Plage« bezeichneten, beherrschten die Deutschen den Himmel über der Westfront und schlugen damit das gegnerische Lager, das nun die andere Seite des no man’s land nicht mehr aufklären konnte, gewissermaßen mit Blindheit, während sie ihrer eigenen Artillerie einen viel umfassenderen Überblick über die Front verschafften. Durch Überfliegen der alliierten Linien waren sie in der Lage, ihre Artillerie genauer auszurichten und den gegnerischen Truppen schwere Verluste zuzufügen, insbesondere in der Schlacht um Verdun. Im Frühling 1916 jedoch verschoben neue Flugzeuge wie die französische Nieuport 11 und die britische Airco DH.2 von de Havilland, die beide zum Kampf gegen den deutschen Eindecker entworfen und gebaut waren, den Vorteil wieder auf die Seite der Alliierten. Trotzdem bedeuteten beide keinen radikalen technologischen Fortschritt.
Es kommt auch vor, dass eine Seite versucht, den technologischen Vorsprung der Gegenseite anderweitig auszugleichen. Nachdem die Deutschen in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges erst spät begriffen hatten, dass sie den Vorsprung der britischen Seestreitkräfte mit ihren Dreadnought-Schlachtschiffen nicht würden einholen können (das Vereinigte Königreich verfügte 1914 über dreiundvierzig Schiffe dieser Art, Deutschland hingegen nur über vierundzwanzig), entwickelten sie Unterseeboote, die unentdeckt unterhalb der gegnerischen Schlachtschiffe navigieren und sie mittels Torpedos oder zu diesem Zweck entwickelter Spezialminen versenken konnten. Die Dreadnoughts waren derart kostenintensiv, dass Großbritannien nicht das Risiko eingehen wollte, sie auf See zu verlieren. Daher nahm es in der Schlacht von Gallipoli 1915 davon Abstand, sie einzusetzen, als es seine Schlachtschiffe der vorangegangenen Generation von den Minen in die Luft gesprengt sah. Dadurch waren die Alliierten gezwungen, eine Anlandung auf der Halbinsel Gallipoli zu versuchen. Weder Großbritannien noch Deutschland wollte sich mit seinen Schlachtschiffen vorwagen. Eine Ausnahme bildete lediglich Jütland (31. Mai – 1. Juni 1916). Ebenso zögerten die Pilot*innen des Ersten Weltkrieges, mit ihren neuesten Flugzeugmodellen die feindlichen Linien zu überfliegen, da sie fürchteten, bei Abschuss der Gegenseite die jüngsten technischen Fortschritte preiszugeben.
Infolgedessen waren es eher gelegentlich die technologischen Erfordernisse, die die Militärstrategie bestimmten. 1940 marschierten die Deutschen teilweise deswegen in Norwegen und Frankreich ein, um die Tausenden Kilometer Küstenstreifen zur Errichtung von U-Boot-Basen zu nutzen, ihre in Einzelteilen auf dem Landweg transportierten U-Boote vor Ort zu montieren und zu Wasser zu lassen, ohne dass Großbritannien dies verhindern konnte, wobei sie vom besetzten Frankreich aus den Ärmelkanal, den Atlantik und die baskische Küste erreichen konnten. Die Suche nach Wegen, um die Ölversorgung für ihre Panzer und Flugzeuge sicherzustellen, erklärt auch die Entscheidung der Deutschen, 1942 das Wolgatal anzugreifen, bis sie die verheerende und entscheidende Niederlage bei Stalingrad erlitten.
Auch die Strategien des Luftkrieges zielten darauf, den Gegner von seinen technologischen und industriellen Ressourcen abzuschneiden. Strategische Bombardements als bewusste Methode wurden zum ersten Mal im Ersten Weltkrieg eingesetzt. Intensiv studiert wurden sie in den 1930er Jahren an der Air Corps Tactical School der US-Luftwaffe in Maxwell Fields in Alabama. 1942 hatte das amerikanische Militär den Langstrecken-Bomber B-17 entwickelt, der die Durchführung einer Luftkampagne ermöglichte, um die Deutschen von dem Öl, Sprit und Schmiermittel abzuschneiden, das diese für ihre Technik benötigten. Zu den amerikanischen Innovationen gehörten das Norden-Bombenzielgerät, mit dem eine größere Präzision bei Bombenabwürfen erreicht wurde, sowie bessere Navigationsinstrumente. Mit dem Verlust von fast 600 Soldat*innen und einem Viertel der beteiligten Maschinen erlebte die amerikanische Luftwaffe eines ihrer größten Desaster im Krieg am 14. Oktober 1943 über Schweinfurt, als sie vergeblich versuchte, die deutsche Kugellager-Produktion zu zerstören, eine scheinbare zweitrangige, aber für Benzinfahrzeuge unverzichtbare Technologie.
Technologische Innovationen zeigen nicht immer die erhoffte Wirkung. Oft bergen sie Risiken oder erfordern beträchtliche Investitionen in die Infrastruktur. Im Zweiten Weltkrieg investierte Deutschland massiv in Technologien wie das Strahlflugzeug Me 262 und die Raketen V1 und V2, von denen sich die Nationalsozialist*innen den Sieg erhofften. Doch diese Maschinen benötigten Flugfelder, Abschussrampen und Treibstoffmengen, über die die Deutschen nicht verfügten. Auch benötigten sie längere Zeit bis zur Serienreife. Außerdem konnte keine Technologie das Land aus seiner globalen Unterlegenheit retten, die sich aus Schwächen seiner Industrie, unzureichenden Ressourcen und einer mörderischen Ideologie ergab und die es zur Niederlage verurteilte.
Während des Zweiten Weltkrieges scherzten Amerikaner*innen gerne, ihr Land liefere keine Lösungen für die Probleme, sondern zerquetsche diese schlicht unter seiner großen Macht. Zwischen 1943 und 1945 erreichte die amerikanische Flugzeugproduktion die beeindruckende Zahl von 231 977 Maschinen, fast das Doppelte der Achsenmächte zusammen. Dieses Produktionsniveau erlaubte den Vereinigten Staaten, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen und zusätzlich noch die Alliierten über das »Leih- und Pachtgesetz« mit Industrieprodukten zu versorgen.
In symmetrischen Kriegen kann ein qualitativer technologischer Vorsprung auch vernichtende Wirkung haben. So mündete die technologische Überlegenheit des Westens über die irakischen Streitkräfte Saddam Husseins in der Operation Desert Storm 1991 in einen schnellen Sieg der Koalition. Die amerikanische Luftmacht erwies sich als unaufhaltsam. Die »Revolution im Militärwesen« verband die amerikanische Militärtechnologie mit den satelliten- und lasergesteuerten Lenksystemen, die die Luftbombardements präziser und verheerender machten. Amerikanische Militärs führten Journalist*innen ein Video vor, das eine Bombe dabei zeigte, wie sie in die Lüftungsöffnung eines Gebäudes eindrang: ein Beweis der Präzision und der technischen Vollkommenheit ihrer Waffen. Doch im asymmetrischen Krieg, den sie 2003 gegen den Irak führten, entpuppte sich dieselbe Technologie als sehr viel weniger entscheidend.
Der Unterschied zwischen den beiden Kriegen im Irak 1991 und 2003 zeigt in überzeugender Weise, dass nicht die Technologie allein den Sieg bringt, wenn es an den anderen zum Erfolg notwendigen Elementen fehlt. In seinem einflussreichen Buch Aufstieg und Fall der großen Mächte hat Paul Kennedy die Idee betont, dass in den großen symmetrischen Kriegen die Technologie und die industrielle und ökonomische Fähigkeit zu ihrer Entwicklung über Sieg und Niederlage entschieden. Doch auch er wischt andere bestimmende Elemente nicht beiseite. Der Krieg bleibt ein Tun von Menschen, eine politische Handlung. Im Fall des Krieges von 1991 hatten die Vereinigten Staaten begrenzte politische Ziele und einen so weit entgegenkommenden Gegner, dass er ihnen leichte Ziele für ihre neuen Präzisionswaffen bot. 2003 wiederholte sich dieses Szenario lediglich über die ersten Tage des Konflikts, obwohl sich dieser im Wesentlichen auf demselben Terrain abspielte.
Die Technologie kann einen Vorteil bringen, aber nur, wenn sie bewusst eingesetzt und in den Dienst des wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Gefüges der kriegführenden Nation gestellt wird. Man darf die Bedeutung der Kultur und der Ideologie nicht vergessen. So vernachlässigten die Nationalsozialist*innen die Physik, in der sie eine »jüdische Wissenschaft« sahen. Dies ist ein Schlüsselelement zur Erklärung ihres Unvermögens, bei der Entwicklung wichtiger Technologien wie dem Radar und der Kernenergie konkurrieren zu können. Eine Reihe von Wissenschaftler*innen, die den Alliierten bei der Erlangung atomarer Technologie und bei anderen technologischen Durchbrüchen halfen, hatten aus Deutschland fliehen müssen, weil sie selbst oder ihre Ehepartner jüdisch waren.