Читать книгу Eine Geschichte des Krieges - Группа авторов - Страница 66

1945 war die Situation irreversibel geworden

Оглавление

Im Weltkrieg übernahmen die wichtigsten Kriegsmächte das Konzept des »Kriegsstaates«, ab 1941 sogar die Vereinigten Staaten, wo vor dem Konflikt der Argwohn gegenüber dem Staat doch beträchtlich gewesen war und wo sich die institutionelle Erfahrung auf die Durchführung einer nationalen Kriegsunternehmung beschränkte. Die Ausweitung der Macht und der Zuständigkeiten des Staates manifestierte sich in der Entwicklung jeweils gerade passender Strukturen, die zu den aus Friedenszeiten verfügbaren Formen der Kontrollausübung hinzutraten. Neue Ministerien wie das Munitionsministerium (später Ministerium für Bewaffnung und Kriegsgerät) in Deutschland oder das Ministry of Economic Warfare und das Ministry of National Service in Großbritannien sowie neue staatliche Behörden entstanden. In Deutschland gab Hitler einem System von »Sonderbevollmächtigten« den Vorzug, die mit der Lösung bestimmter momentaner Probleme beauftragt waren: zum Beispiel der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz oder der Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz. In der Sowjetunion wurde im Juli 1941 ein Staatskomitee für Verteidigung geschaffen. Es war mit einem System von Unterkomitees ausgestattet, die für die Hauptbereiche der Kriegsunternehmung und die Zusammenarbeit mit den bestehenden Kommissariaten verantwortlich waren. Von allen Kriegsteilnehmern war die Sowjetunion der Staat, der am stärksten zentralisiert war, errichtet auf dem Modell lokaler und regionaler Organe der Kommunistischen Partei. Im Unterschied zu den Demokratien regierten die sowjetischen Behörden im Krieg durch einfache Dekrete. Um in Friedenszeiten auf Erfordernisse zur Mobilisierung reagieren zu können, war seit Langem ein Zwangs- und Sanktionssystem in Kraft. Doch Stalins Aufruf, die Sowjetunion in ein »Militärlager« zu verwandeln, war mehr als bloße Rhetorik. Arbeiter*innen, die unerlaubt ihre Arbeit verließen, wurden als Deserteur*innen angesehen und als solche behandelt.

In den Vereinigten Staaten stützte sich Präsident Roosevelt auf Behörden, die für spezifische Problembereiche eingerichtet worden waren. Am Ende des Krieges gab es 112 davon. Die wichtigste war für die Einteilung und Mobilisierung der Arbeitskräfte zuständig, andere verwalteten die Ölressourcen, den Transport, den Wirtschaftskrieg, den Schiffsverkehr und andere Schlüsselbereiche. Die Feindseligkeit, die die Amerikaner*innen dem Zentralstaat noch immer entgegenbrachten, zwang Roosevelt dazu, umsichtiger vorzugehen, als Hitler und Stalin dies mussten. Dennoch gelang es ihm, sich eine Form von Zwang zunutze zu machen – so sah sich der Direktor einer wichtigen Fabrik in Chicago, der sich weigerte, eine gewerkschaftliche Organisation der Arbeit zuzulassen, eines Tages in seinem Büro mit dem Generalstaatsanwalt in Begleitung bewaffneter Soldaten konfrontiert, die gekommen waren, um die Kontrolle über sein Unternehmen zu übernehmen. Anfang 1944 versuchte Roosevelt angesichts von Arbeitskräfteproblemen, einen National Service Bill einzuführen, der aber letztlich vom Kongress abgelehnt wurde. Von so manchen wurde die Niederlage des Präsidenten begrüßt, da sie annahmen, dass die Vereinigten Staaten so nicht in eine Diktatur abgleiten würden. Dennoch hatte sich 1945 der Eingriffsbereich des Zentralstaates derart ausgeweitet, dass die Situation irreversibel geworden war. Das mit den Herausforderungen einer Weltmacht und dem sich ankündigenden Kalten Krieg konfrontierte Nachkriegsamerika war mit einem im Vergleich zu 1941 deutlich gewachsenen Staatsapparat ausgestattet.

Von allen Lehren des Ersten Weltkrieges war die Notwendigkeit eines genauen makroökonomischen Bilds der verfügbaren Ressourcen und ihrer Verteilung die bedeutendste. Man rekrutierte Ökonomen, um nationale Rechenmodelle zu erstellen, die Mobilisierung der Arbeitskräfte, die Entwicklung des Konsums und die finanziellen Erfordernisse des Krieges zu berechnen. In der Sowjetunion ließ sich dieses Programm am leichtesten durchführen: Die Industrialisierung der 1930er Jahre war auf Grundlage einer nationalen Wirtschaftsplanung durchgesetzt worden, ideal für die Umwandlung in eine Kriegsökonomie, deren Hauptelement die Ressourcenzuweisung ist. In Deutschland ernannte der Wirtschaftsminister Walther Funk im Herbst 1939 ein »Professorenkomitee«, das Empfehlungen zur Kontrolle der ökonomischen Variablen im Krieg ausarbeiten sollte. Ziel war es, die Inflation zu bekämpfen (oder ihre Auswirkungen zu begrenzen), konstante Reallöhne zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass die Verwendung industrieller und finanzieller Ressourcen für die Kriegsunternehmung nicht die Lebensgrundlagen der Bürger*innen zerstörte: eine Mobilisierungsstrategie, die in den folgenden fünf Jahren weitgehend aufging.

Im Zweiten Weltkrieg nahm die deutsche Kriegsunternehmung auf ihrem Höhepunkt 70 Prozent des Sozialprodukts in Beschlag, ohne zu den verhängnisvollen Konsequenzen wie am Ende des Ersten Weltkrieges zu führen. Zum Teil ist das auf die ökonomische Ausbeutung der eroberten Gebiete und auf Tributzahlungen der besetzten Länder zurückzuführen. Wie in Deutschland stattete in Japan die Ausdehnung der Staatsmacht auf die neu eroberten Territorien den Staat mit einer wichtigen Reserve an Zwangsarbeiter*innen aus, die den Mangel an Arbeitskräften an der Heimatfront abmilderte.

In Großbritannien wurde John Maynard Keynes 1940 wie schon im Ersten Weltkrieg zum Berater im Schatzamt. Zusammen mit anderen renommierten Ökonomen arbeitete er an der Entwicklung von Kontrollmechanismen, um zu hohe Inflationsraten zu verhindern, stabile Löhne zu gewährleisten und die Produktion nicht notwendiger Güter auf ein Minimum zu reduzieren – Ergebnisse wurden ebenfalls dank der Ausdehnung des britischen Staates auf seine Kolonialgebiete erzielt. Das Ziel des Staates war, eine Wirtschaftsstrategie zu finden, die die Arbeitskräfte nicht von ihm entfremdete. Keynes empfahl daher die Einrichtung eines Steuerregimes, das dem Staat die bitter benötigten Einnahmen brachte und gleichzeitig mit dem »sozialen Gerechtigkeitsempfinden im Volk«7 konform ging. Nichtsdestotrotz gaben die National Service Acts von 1939 und 1941 dem Staat eine für demokratische Verhältnisse außerordentliche Rolle im Bereich der Wehrpflicht und der Zuweisung der Arbeitskräfte. Der Gewerkschaftsführer Ernest Bevin, der mit der Mobilisierung betraut wurde, gestand zu, dass er über eine beispiellose Macht verfügte. Da der Zuwachs an Entscheidungsbefugnissen des Staates im Unterschied zu den Diktaturen auf einem allgemeinen Konsens beruhen sollte, mussten die Sonderbefugnisse Bevins, damit er effektiv arbeiten konnte, mit den Gewerkschaften und Unternehmen ausgehandelt werden. Die Kriegsanstrengung beanspruchte ein Maximum von 55 Prozent des britischen Nationalprodukts, was weit über den Zahlen des Ersten Weltkrieges lag. Einzig den Vereinigten Staaten gelang es, ihre Streitkräfte und ihre Verbündeten mit Ausrüstung, Verpflegung, Rohstoffen und Waffen zu versorgen, ohne ein Wirtschaftsregime des »totalen Krieges« einrichten zu müssen. Obwohl der Zentralstaat ebenfalls nie da gewesene Befugnisse besaß, verstand Roosevelt, dass in einer Gesellschaft, in der man dem »Etatismus« einhellig mit Misstrauen begegnete, bestimmte Grenzen nicht überschritten werden durften. 1944 beanspruchten die Kriegsanstrengungen lediglich 42 Prozent des Nationalprodukts, doch die amerikanische Wirtschaft hatte Ausmaße, die den Aufwand der anderen Großmächte im Vergleich als schwach erscheinen ließen. In Großbritannien und in den Vereinigten Staaten wurde die Ausweitung des staatlichen Zugriffsbereichs nach 1945 nicht infrage gestellt, und zahlreiche Errungenschaften im Arbeitsrecht, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die Anerkennung der Rolle der Gewerkschaften, die Sozialhilfe und Kinder- und Jugendhilfe wurden beibehalten. Der Krieg hatte in diesem Sinne Einfluss auf die Entwicklung des Staates, so wie der Staat zur Durchführung des Krieges notwendig gewesen war.

Die Erfordernisse des Staates überstiegen im Zweiten Weltkrieg diejenigen im Ersten Weltkrieges bei Weitem. Selbst in den Demokratien konnte sich kein Bürger und keine Bürgerin der Verpflichtung entziehen. In Großbritannien wurden Frauen mobilisiert, um während der deutschen Luftangriffe die Feuerwachen zu beaufsichtigen. Die militanten Pazifist*innen, die sich verweigerten, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. In den Vereinigten Staaten nötigte im Dezember 1943 ein wilder Eisenbahnerstreik die Roosevelt-Regierung, Kontrolle über das gesamte Eisenbahnnetz zu übernehmen, um den Zugbetrieb sicherzustellen, bis die Angestellten gezwungen waren, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. In Deutschland, in der Sowjetunion und in Japan waren pazifistische Demonstrationen verboten. In Deutschland wurden Streikende in Konzentrationslager geschickt; in der Sowjetunion landeten echte und mutmaßliche Protestierende aller Art im Gulag. In der Praxis bestand ein breiter Konsens darüber, dass dieser Krieg um jeden Preis gewonnen werden müsse, sodass die vom Staat geforderten Vorrechte letztlich von der öffentlichen Meinung mitgetragen wurden. Die Situation war weit entfernt von den sozialen Protesten und der zunehmenden Desillusionierung von 1917–1918. Der »Kriegsstaat« wurde als unvermeidliche Konsequenz des modernen Krieges angesehen, was auch die Botschaften des Propagandaapparates bestätigten.

Die Überwachung der Meinung durch die Geheimpolizei und andere Mittel begann in den Diktaturen bereits in der Vorkriegsperiode, weitete sich nach 1939 aber auf alle kriegführenden Länder aus. Die britische Home Intelligence, das amerikanische Office of War Information (und andere) sammelten geheime Berichte über die öffentliche Meinung, um die staatliche Politik in verschiedenen Bereichen besser anpassen zu können und den sozialen Konsens zu wahren. Die polizeilichen Befugnisse wurden ebenfalls ausgeweitet, um auf Notfälle reagieren zu können, und es wurden besondere Verbrechen in Kriegszeiten definiert, um die Umsetzung der Dekrete des Staates zu garantieren. In Japan verhaftete eine Abteilung der Wirtschaftspolizei, die zur Bekämpfung des Schwarzmarkts geschaffen worden war, in den ersten fünfzehn Monaten ihres Bestehens zwei Millionen Delinquenten. In Deutschland konnten Verstöße gegen die Lebensmittelkontrolle mit Internierung in Lagern und in Extremfällen sogar mit dem Tod bestraft werden.

Eine Geschichte des Krieges

Подняться наверх