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Die Armee erhält wieder ihre Stellung aus der Zeit vor 1914
ОглавлениеNach 1945 verschwand der Diskurs über den »totalen Krieg«. Die Militärstrategie beruhte nicht mehr auf der Ausbeutung aller Ressourcen des Staates, einerseits weil der Preis für die Bürger*innen und für die öffentlichen Finanzen zwischen 1939 und 1945 zu hoch gewesen war und andererseits weil es nicht mehr möglich war, schnell und zu geringen Kosten immer komplexere Waffen herzustellen – auf jeden Fall war die Vorbereitung eines konventionellen Krieges im Kontext der nuklearen Bedrohung obsolet geworden. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs weiteten die Großmächte hingegen die Vorrechte des Staates in anderen Bereichen aus. Das betraf, angeregt von den Erfahrungen, die während des Krieges mit Planung, Statistik und Gesundheitsversorgung gemacht wurden, beispielsweise die Bereiche Wohlfahrt und Wirtschaft. Nur den beiden Supermächten gelang es, das Profil eines »Kriegsstaates« zu bewahren, insofern sie einen großen Teil ihrer Ressourcen der Industrie und vor allem der militärischen Forschung und Entwicklung widmeten.
Doch selbst in diesen Ländern galt die Priorität dem Wirtschaftswachstum im zivilen Sektor und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Die Armee unterhielt wieder eine Beziehung zum Staat, wie sie sie vor 1914 gehabt hatte: Sie kümmerte sich um die Kriegsbereitschaft und kontrollierte die Rüstungsentwicklung, ohne sich in den zivilen Bereich einzumischen. Bei den meisten Großmächten markierte auch das Verschwinden der Wehrpflicht das Ende einer Epoche, in der der obligatorische Militärdienst jeden Bürger praktisch zu einem Soldaten gemacht hatte. Selbst in den Vereinigten Staaten, wo die Militärausgaben denen aller anderen Länder zusammen entsprachen, bereiteten sich die Streitkräfte von nun an mit Berufssoldat*innen und der verfügbaren Bewaffnung auf den Krieg vor, ohne den Staat um substanzielle Ressourcen aus dem nichtmilitärischen Sektor zu ersuchen.
Eine Ausnahme bildeten nach 1945 nur kleine Länder, die durch hohe Kriegsbereitschaft und ein starkes Engagement des Staates charakterisiert und in der Lage waren, eine moderne Bewaffnung für Interventionen in Regionalkonflikten zu produzieren oder zu kaufen. Das gilt beispielsweise für ein demokratisches Land wie Israel, das sich einer permanenten Sicherheitsbedrohung ausgesetzt sieht und im Krisenfall einen großen Teil der Gesellschaft mobilisieren muss, aber auch für Diktaturen, für die der Krieg oder die Aussicht auf Krieg zu zentralen Zielen geworden sind: der Irak unter Saddam Hussein, Nordkorea nach den 1950er Jahren und Nordvietnam während des Krieges gegen Südvietnam und dessen amerikanische Verbündete. Am Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts spielten nichtstaatliche Akteure eine zentrale Rolle in den militärischen Auseinandersetzungen. Dies zeigt an, dass die Gewalt heute keines strukturierten Staatsapparates bedarf, solange die beteiligten Gemeinschaften ihre eigene Kohärenz aufweisen und Zugang zu entsprechenden Ressourcen besitzen. Der Staat existiert weiterhin als institutionelles System, das zur Kriegführung notwendige Ressourcen beisteuert, doch die Perspektive von Cyberkriegen und der verbreiteten Verwendung von Drohnen lässt auch die Annahme zu, dass die konventionellen zwischenstaatlichen Konflikte, die ihren Höhepunkt Mitte des 20. Jahrhunderts erreichten, von anderen Formen globaler Konflikte verdrängt werden könnten.
Richard Overy ist Professor an der University of Exeter. Er ist einer der wichtigsten Experten für den Zweiten Weltkrieg und das nationalsozialistische Deutschland. Er hat zahlreiche Werke verfasst, darunter The Bombing War (London 2013; dt.: Der Bombenkrieg. Europa 1939–1945, Berlin 2014).