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»Der Staat lenkt die Wirtschaft«
ОглавлениеAls Reaktion auf die Wirtschaftskrise und ihre politischen Folgen entstanden in den 1930er Jahren Regime, die man besser als »Kriegsstaaten« denn als »Staaten im Krieg« beschreiben kann. In Japan und Italien, die beide imperiale Expansionsprogramme verfolgten, Ersteres in Asien, Letzteres in Afrika, zwangen die regionalen Konflikte den Staat dazu, größere Teile der Wirtschaft unter seine Kontrolle zu bringen, die Investitionen und den Handel zu steuern und Massenmobilisierungsprogramme zu starten, die die Bevölkerung in eine Gemeinschaft verwandelten, die sich der Kriegsunternehmung verschrieb. Nach Ausbruch des Japanisch-Chinesischen Krieges im Juli 1937 führte die japanische Regierung im März 1938 das nationale Mobilmachungsgesetz ein, womit sie anerkannte, dass der Staat in einem totalen Krieg die Organisierung der gesamten Ressourcen der Nation in die Hand nehmen können muss. In den darauffolgenden vier Jahren, bevor der Angriff auf Pearl Harbor den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten provozierte, verschärfte der japanische Staat zusehends die Kontrolle über die Arbeiter*innenbewegung, den Konsum, die Rationierung der Güter und Gerätschaften und den Schwarzmarkt, was auf nationaler wie lokaler Ebene einen immer weitergehenden Eingriff in das Alltagsleben der Bürger*innen bedeutete. Für Italien brachten der Krieg in Äthiopien 1935–1936, die Intervention in den Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939 und die Besetzung Albaniens 1939 eine immer erdrückendere finanzielle Last für eine ohnehin schon fragile Wirtschaft mit sich und machten starke Eingriffe seitens des Staates erforderlich. Zur selben Zeit überzog Mussolini die Öffentlichkeit mit einer erdrückenden Militärrhetorik, die die endgültige »Militarisierung« der Italiener bewirken sollte.
Den Inbegriff des »Kriegsstaates« bilden indessen Hitlers Deutschland und Stalins Sowjetunion. In beiden Fällen ruhte die Diktatur auf einer Konfliktkultur, in der der Krieg eine allgegenwärtige Realität darstellte – im sowjetischen Fall zur Verteidigung des ersten kommunistischen Regimes gegen den kapitalistischen Imperialismus (und die inneren Feinde); im deutschen Fall zur Berichtigung der vermeintlichen Ungerechtigkeit, die es durch den Friedensvertrag von 1919 erfahren hatte, und zur Sicherung von genügend »Lebensraum« für das deutsche Volk. Diese beiden Staaten definierten ihre Ziele in einer militarisierten Ausdrucksweise; Institutionen zur Förderung von Kriegsvorbereitungen wurden eingerichtet (die Zivilverteidigung beider Länder zusammengenommen umfasste 28 Millionen Mitglieder), während die Wirtschaften zunehmend auf Krieg ausgerichtet wurden.
In beiden Fällen erschien der Krieg als unvermeidlicher Kampf ums Überleben, in dem alle verfügbaren Ressourcen in Anspruch genommen werden mussten. Es »wird jeder Staat so lange wie möglich aushalten«, erklärte Hitler im Mai 1939 seinen Befehlshabern. Und: »Die Ansicht, sich billig loskaufen zu können, ist gefährlich; diese Möglichkeit gibt es nicht.«6 In der Sowjetunion wurden die militärischen Prioritäten ab dem zweiten Fünfjahresplan (1933–1938) durchgesetzt, sodass 1938–1939 ungefähr 13 Prozent des Nationalprodukts in die Kriegsvorbereitungen floss. Die beschleunigte Industrialisierung der 1930er Jahre schloss eine umfangreichere Planung durch den Staat ein, wobei man die Vorstellung hatte, dass die Kontrollinstrumente an den Kriegsstaat angepasst werden könnten. In Deutschland machte Hitler es zur Priorität, das Land wiederzubewaffnen und seine Wirtschaft so umzugestalten, dass eine drohende Wirtschaftsblockade unterlaufen werden könne. Der im Herbst 1936 beschlossene und von Hermann Göring umgesetzte zweite Vierjahresplan regulierte alle entscheidenden ökonomischen Variablen, von den Preisen und Devisen bis zu den Löhnen und Rationierungen. Die private Wirtschaftstätigkeit verschwand indes nicht gänzlich, sondern blieb in dem Maße bestehen, wie sie mit den staatlich definierten Zielen in Einklang stand. Es sei der Staat, der die Wirtschaft lenkt, wie ein nationalsozialistischer Ökonom erklärte. 1939 hatte sich Deutschland, obwohl der Krieg noch nicht begonnen hatte, eine Friedenswirtschaft zugelegt, die ganz einer Kriegswirtschaft glich: Fast ein Viertel des Nationalprodukts war Verteidigungsprojekten gewidmet, ein Drittel der industriellen Arbeitskräfte war zur Produktion von kriegsbezogenen Gütern herangezogen. Hitler wollte sichergehen, dass Deutschland seine Lehren aus der Niederlage von 1918 zog und als Staatsapparat hinreichend vorbereitet in Auseinandersetzungen ging, Konflikte größeren Ausmaßes mit eingeschlossen. Als Deutschland im September 1939 den Weltkrieg begann, hatte der deutsche Staat bereits eine Art Kriegsmobilmachung durchgesetzt. Der Kriegswirtschaftserlass vom 4. September erweiterte und verstärkte die staatliche Kontrolle über alle Aspekte des Wirtschaftslebens des Landes, worin sich die Situation fundamental vom deutschen Staat von 1914 unterschied.