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Katharine Hall

Das Drohnen-Zeitalter

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hoben die ersten als Bomben eingesetzten unbemannten Flugzeuge ab. Diese Automatisierung des Krieges wirft zahlreiche ethische Fragen auf.

2002 führten die Vereinigten Staaten im Jemen ihren ersten gezielten Luftschlag mit Drohnen durch. Laut des Bureau of Investigative Journalism autorisierte die Bush-Regierung mindestens 57 Drohnenangriffe im weiteren Rahmen des Krieges gegen den Terrorismus und des Irak- und Afghanistankrieges. Doch erst mit dem Einzug Obamas ins Weiße Haus nahm die Zahl der US-Drohnenangriffe merklich zu: Im Verlauf seiner zwei Amtszeiten kam es zu 563 Drohnenangriffen allein in Pakistan, Somalia und im Jemen (nicht zu reden von den Schlachtfeldern im Irak und in Afghanistan). Die Obama-Regierung stützte sich nicht nur vermehrt auf Drohnen, sondern veränderte auch die Art und Weise, wie die Angriffe durchgeführt wurden. Wenig überraschend wurden zahlreiche Einzelpersonen ins Visier genommen, weil sie in den Ziellisten aufgeführt waren. Andere hingegen fielen den Drohnenangriffen zum Opfer, ohne dass ihre Identität von den zuständigen Diensten im Vorhinein geklärt worden war – man spricht von einer Zielauswahl auf Grundlage einer »Analyse der Lebensgewohnheiten«, das heißt einer kombinierten Analyse der Kommunikation, der Reisen, der sozialen Netze und anderer Daten, die die Expert*innen für Korrelate terroristischer Aktivität halten. Die Identität der ins Visier genommenen Person ist unbekannt und kann meist auch nach dem Angriff nicht in Erfahrung gebracht werden. Die Verwendung von Metadaten zur Identifizierung von Zielen ist ein wichtiges Element der heutigen Drohnenangriffe, bei denen Algorithmen und Telefondaten zu einem integralen Bestandteil der kill chain, das heißt der vordefinierten Handlungskette bei Tötungsaktionen, geworden sind.

Diese Entwicklungen werfen eine Reihe wichtiger Fragen bezüglich des gegenwärtigen Stands des amerikanischen Militärengagements und der Zukunft des Krieges auf. Wieso sind Drohnen zu einem zentralen Element der amerikanischen Militäreinsätze seit dem 11. September 2001 und insbesondere nach dem Ende der Bush-Regierung geworden? Zeigt die zunehmende Verwendung von Drohnen eine Verschiebung des ethischen und rechtlichen Rahmens an, der die Kriegführung bis dahin bedingt hat, insbesondere da die Drohnenangriffe aus der Distanz gesteuert werden, oft von einem Ort völlig abseits vom Kriegsschauplatz, und sich zunehmend auf Algorithmen und Metadaten stützen? Und was bedeuten letzten Endes diese Entwicklungen und die Tatsache, dass die Soldaten in der Zukunft potenziell durch Drohnen und Roboter ersetzt werden, für den Krieg und die Sicherheit?

Wenn uns diese Fragen vor einige Herausforderungen stellen, kann uns die Geschichte der Drohnentechnologie viel über das Thema lehren. Großbritannien versuchte sich als Erstes an der Entwicklung von Drohnen als Offensivwaffen. Eines der ersten britischen Programme zum Bau von Drohnen Anfang des 20. Jahrhunderts hatte zum Ziel, unbemannte Flugzeuge zu entwickeln, die Bomben abwerfen oder sich auf Ziele stürzen und sich somit selbst in Bomben verwandeln konnten. Diese Drohne, genannt Larynx, wurde zunächst in beschränkter Stückzahl gebaut und war so konzipiert, dass sie auf einer vorherbestimmten Flugbahn (mit etwas Glück) das Ziel erreichte. In den 1930er Jahren wurden verschiedene Ansätze zur Fernsteuerung des Larynx erprobt und neue Mechanismen zur Erkennung und Eliminierung der Ziele entworfen. Eine dieser Ideen bestand darin, den Larynx mit einem »elektronischen Auge« zu versehen, ein von dem Erfinder S. G. Brown entwickeltes Gerät, das fotoelektrische Zellen so einsetzte, dass sie das Flugzeug auf alles, was es »sah«, hinsteuern konnten. Das elektronische Auge, das als Mittel zur Überwindung der menschlichen Kontrolle erachtet wurde, sollte dem Larynx ermöglichen, seine »Beute« so lange zu verfolgen, bis es zur Kollision kam. So sollte er die Fähigkeit erlangen, seine eigene Position zu verorten und selbstständig auf Ziele wie Scheinwerfer oder andere Infrastrukturen hinzusteuern.

Auch wenn die Version des Larynx mit elektronischem Auge nie erfolgreich gebaut wurde, kann sie doch in gewisser Hinsicht als Vorläufer der Präzisionslenkraketen oder Raketen mit Wärmesensoren gelten, die die heutigen Anstrengungen zur Entwicklung autonomer Drohnen ankündigten. Tatsächlich zeigt die fortlaufende Entwicklung der Drohnen im 20. Jahrhundert, dass die automatisierte und rechnergestützte Zielidentifikation immer eines der Hauptziele dieser Forschungsprogramme geblieben ist. In den 1960er Jahren entwickelte das amerikanische Unternehmen Ryan Aeronautical eine Aufklärungsdrohne, die Tausende Einsätze während des Vietnamkrieges und in Südostasien flog. Diese gemeinhin als Lightning Bug (Glühwürmchen) bezeichnete Drohne reiht sich in die Handvoll unbemannter Überwachungsflugzeuge ein, die die Vereinigten Staaten während des Kalten Krieges entwickelt haben.

Das Lighning Bug-Programm wurde letztlich gestoppt, doch diejenigen, die daran beteiligt gewesen waren, hatten keinen Zweifel am enormen Potenzial dieser Fluggeräte, die aus ihrer Sicht Teil neuer nachrichtendienstlicher Aufklärungstechniken auf elektrischer und elektromagnetischer Basis bildeten. Zum Beispiel war eine Version des Lighting Bug mit Sensoren ausgestattet, die Stützpunkte mit Luftabwehrgeschützen erkennen können sollten. Fast zur selben Zeit entwickelte Lockheed die Tagboard, die eine unbemannte Alternative zum Spionageflugzeug U-2 bot und somit die der bemannten Steuerung inhärenten Grenzen überwand. Drohnen wie die Tagboard konnten länger in der Luft bleiben und eine kontinuierliche und langfristige Überwachung liefern. Diese Überwachungsfähigkeit war einer der Gründe, aus denen im Rahmen der US- und NATO-Luftschläge im Kosovo Ende der 1990er Jahre die Drohnen – nach dem Vorbild einer ersten unbewaffneten Version der Predator – in die Missionen mit dynamischer Zielfestlegung integriert wurden. Vor dem 11. September 2001 war dies der intensivste Drohneneinsatz in der Geschichte amerikanischer Militäreinsätze.

»Der Blick, der tötet«

Die Drohnenangriffe unserer Gegenwart sind also nicht aus dem Nichts entstanden. Will man die heutigen Drohnen verstehen, muss man bedenken, dass durch Bestückung der Predator mit Hellfire-Raketen zum ersten Mal zwei zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte der Drohnen entwickelte Aspekte der Drohnentechnologie miteinander kombiniert wurden: die Fähigkeiten zur Überwachung und zum Zielbeschuss. Der Prozess der Aufklärung und Identifizierung der Ziele einerseits und die Mechanismen zu ihrer Eliminierung andererseits, die normalerweise räumlich und zeitlich getrennt waren, unterscheiden sich immer weniger. Grégoire Chamyou hat dies als den »Blick, der tötet«, beschrieben. Je mehr sich diese Prozesse beschleunigen, desto mehr verschwindet das menschliche Bedienpersonal aus der Entscheidung zum Angriff und desto weniger Zeit und Spielraum bleiben uns zur kritischen Prüfung und Reflexion.

Während sich der Zielapparat der Drohnen zunehmend auf Metadaten, Algorithmen und Automatisierung stützt, ist es außerdem notwendig, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie Individuen allmählich in Abstraktionen verwandelt werden, und zwar in dem Maße, wie die »Analyse der Lebensgewohnheiten« immer öfter als Grundlage der Drohnenangriffe dient. Die militärischen und akademischen Argumente für die Entwicklung automatisierter Drohnen betonen deren Fähigkeit zur Berechnung und Bewältigung gigantischer Datenmengen, die ihnen erlauben, besser und schneller zu entscheiden und zu töten, als Menschen dies können. Manche Kritiker*innen erwidern, dass die Entscheidung über das Töten aus grundsätzlichen ethischen Erwägungen das Vorrecht der Menschen bleiben muss. Allerdings trägt diese Debatte nicht recht der Tatsache Rechnung, dass die Verschiebung hin zur Automatisierung nur das Ergebnis einer viel älteren Geschichte von Versuchen ist, unbemannte Flugzeuge in Militäroperationen zu integrieren. Die Berücksichtigung dieser Geschichte zeigt, dass die Frage nicht so sehr als diejenige nach dem Roboter- oder nichtmenschlichen Krieg gestellt werden darf: Die heutigen Drohnenangriffe stellen nur neue Formen dar, in denen die Menschen – wie sie es immer versucht haben – die geografischen und technologischen Grenzen des Krieges verschieben.

Katharine Hall ist Postdoctoral Fellow am Institut für Geografie in Dartmouth. Sie arbeitet über westliche Gewalt und die gegenwärtigen Konfigurationen der Staatsmacht.

Literaturhinweise

Zu Daten über die Drohnenangriffe siehe Jessica Purkiss und Jack Serle, »Obama’s Covert Drone War in Numbers: Ten Times more Strikes than Bush«, The Bureau of Investigative Journalism, 17. Januar 2017, https://www.thebureauinvestigates.com/stories/2017-01-17/obamas-covert-drone-war-in-numbers-ten-times-more-strikes-than-bush [10. 6. 2019].

Zu Quellen über die Geschichte der Drohnentechnologie siehe Katharine Kindervater, »The Emergence of Lethal Surveillance. Watching and Killing in the History of Drone Technology«, Security Dialogue 47, Nr. 3 / 2016, S. 223–238.

Zu spezifischen Informationen über den Vietnamkrieg siehe Ian Shaw, Predator Empire. Drone Warfare and Full Spectrum Dominance (Minneapolis 2016).

Für Beispiele der Debatte über automatisierte Drohnen siehe Ronald Arkin, »The Case for Ethical Autonomy in Unmanned Systems« (Journal of Military Ethics 9, Nr. 4 / 2010), sowie Peter Asaro, »On Banning Autonomous Weapon Systems. Human Rights, Automation, and the Dehumanization of Lethal Decision-Making« (International Review of the Red Cross 94, Nr. 886 / 2012, S. 687–709). Siehe auch Grégoire Chamayou, Ferngesteuerte Gewalt (Wien 2014).

Querverweise

Technologie ist nichts ohne Strategie132

Der Bombenkrieg, vom Boden aus betrachtet568

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