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Schnellkochtopf und ein Sack Nägel
ОглавлениеIn den asymmetrischen Kriegen, in denen sich beide Lager auf sehr unterschiedliche militärische Organisationen stützen, hat Technologie gewöhnlich eine weniger entscheidende Rolle gespielt. Die Erfahrung des amerikanischen Militärs in Vietnam beweist dies hinlänglich. Die Vereinigten Staaten hatten alle nur erdenklichen technologischen Vorteile, und doch fand die vietnamesische Seite die Mittel, um fast alle davon auszugleichen. Sie verbarg sich im Dschungel, um ihre Bewegungen geheim zu halten (im Gegensatz zum ersten Golfkrieg 1991, in dem die irakischen Truppen in der Wüste exponiert waren), und ließ sich selten darauf ein, für Kämpfe größere Menschenmassen an einem Ort zu konzentrieren. Auf dem Schlachtfeld versuchte sie überall, wo dies möglich war, in den Nahkampf zu gelangen und so die amerikanische Seite dazu zu bewegen, ihre Luftangriffe einzustellen: Wie man sich denken kann, widerstrebte es den Pilot*innen, Bomben oder chemische Kampfstoffe wie Napalm in der Nähe ihrer eigenen Truppen einzusetzen.
Außerdem benötigte die vietnamesische Militärorganisation weder Schwerindustrie noch hochentwickelte Bewaffnung. Folglich fanden die amerikanischen Bomber, die ursprünglich für strategische Luftangriffe gegen die Sowjetunion entworfen worden waren, nur wenige industrielle Angriffsziele vor. Als sich der Krieg in die Länge zog, forschte die amerikanische Seite nach anderen technologischen Lösungen, darunter das als Agent Orange bezeichnete Herbizid, mit dem sie den Dschungel zu zerstören und die Aufgabe ihrer Piloten bei der Bombardierung vietnamesischer Truppen zu erleichtern hoffte. Das US-Militär steigerte auch die Zahl der Luftschläge in einem Maße, dass auf Vietnam zwischen 1965 und 1973 doppelt so viele Bomben abgeworfen wurden wie insgesamt im Zweiten Weltkrieg. Doch dies führte nur zu größerer Frustration bei den Strateg*innen, die dazu tendierten, die dem Gegner zugefügten Schäden mit wirklichen Fortschritten hin zum Endsieg zu verwechseln.
In diesem Ungleichgewicht der Kräfte kann die schwächere Seite auch auf die sogenannten Waffen der Armen zurückgreifen, sprich auf Waffensysteme, die aus kostengünstiger Ziviltechnologie gefertigt sind. Den Guerillas gelang es so, Minen, Bomben und – mit tragbaren Telefonen oder Funksprechgeräten improvisierend – ziemlich ausgefeilte Sprengkörper herzustellen. Das Attentat auf den Boston-Marathon vom 15. April 2013 wurde mit einfachen Schnellkochtöpfen und Nägeln durchgeführt. Um Technologien zum Aufspüren solcher Waffen zu entwickeln, müssen beträchtliche Summe aufgewendet werden. Das haben die Vereinigten Staaten 2003 im Irak getan, um gegen solche Sprengsätze anzukämpfen.
Der israelische Fall illustriert gut die Grenzen der Technologie im asymmetrischen Krieg. In den symmetrischen Kriegen von 1967 und 1973 konnte Israel zu seinem großen Vorteil auf ausgefeilte westliche Technologie zurückgreifen. Die französischen und amerikanischen Waffensysteme, die das israelische Militär einsetzte, waren den sowjetischen Waffensystemen, die das ägyptische und das syrische Militär einsetzten, hoch überlegen. Israel gelang es also, seine technologischen Vorteile in militärische Vorteile zu verwandeln, wie dies Preußen in den 1860er Jahren gelungen war. Insbesondere 1967 gelang es den israelischen Luftstreitkräften und Panzerdivisionen leicht, das gegnerische Lager zu überwältigen.
Doch gegen die Intifada, den 1987 begonnenen palästinensischen Aufstand, erwiesen sich diese technologischen Vorteile als deutlich weniger wirkungsvoll. Panzer, Flugzeuge und Kriegsschiffe richteten wenig aus, wenn es darum ging, junge Palästinenser*innen am Demonstrieren oder an Terroranschlägen zu hindern. Die Bilder israelischer Panzer, die durch Dörfer rollten und junge Steinewerfer*innen ins Visier nahmen, gaben dem technologischen Vorteil Israels einen Anstrich des Grausamen und Sinnlosen.
Wenn außerdem Israel wirksamen Gebrauch von seiner Technologie machte wie 2008–2009 bei den Luftschlägen gegen Aktivist*innen im Gazastreifen, die des Terrorismus verdächtigt wurden, verursachte dies unvermeidlich zivile Verluste, da diese militärischen Mittel ja dafür konstruiert waren, Kampfformationen zu eliminieren. Die technologische Suprematie machte aus Israel einen mächtigen und gut gerüsteten Goliath, der sich gegen den palästinensischen David aufstellte. Dieses Ungleichgewicht der Mittel hat einen Teil der internationalen Öffentlichkeit dazu gebracht, Sympathien für eine als unterdrückt angesehene palästinensische Jugend zu hegen.
Die Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien sind bei Militäreinsätzen gegen al-Qaida und den Islamischen Staat ebenfalls auf Schwierigkeiten beim Einsatz ihrer technologischen Mittel gestoßen. Die westlichen Luftstreitkräfte und Marschflugkörper können einen Gegner angreifen und zerstören, der mit Truppenkonzentrationen kämpft. Nun mischen sich militante Aktivisten*innen in der Regel unter die Zivilbevölkerung, was es den westlichen Ländern erschwert, ihre Bewaffnung einzusetzen. Trotzdem glaubt der Westen weiterhin daran, dass ihm seine Technologie den Sieg in asymmetrischen Auseinandersetzungen bringt. In der Krise rufen amerikanische Präsidenten regelmäßig nach Luftschlägen und Marschflugkörpern, die sich im Allgemeinen durch große Präzision und eine verheerende Wirkung auszeichnen; außerdem, und das ist vielleicht das Wichtigste, entbinden diese Schläge die Politiker*innen davon, Landstreitkräfte zu entsenden. Nichtsdestoweniger kann die Gegenseite die Wirkung dieser Waffen begrenzen, indem sie ihre Kräfte über ein großes Territorium verteilt oder sich, oft in großen Städten, unter die lokale Bevölkerung mischt.
Die Terrororganisationen ziehen einen Vorteil aus ihrer Fähigkeit, die westlichen Lufteinsätze auch zivile Opfer fordern zu lassen, woraufhin erregte Reaktionen in der Öffentlichkeit nicht ausbleiben, oder sie dazu zu bringen, dass sie Millionen von Dollar für die Zerstörung weniger wertvoller Ziele aufwenden. Da sie über keine klassische Militärinfrastruktur verfügen, haben der Islamische Staat und al-Qaida wenige feste Stützpunkte, die sie vor der westlichen Technologie schützen müssen. Umgekehrt sind die westlichen Armeen gezwungen, nennenswerte Mittel zum Schutz ihrer zahlreichen Einrichtungen und ihrer zivilen Infrastruktur aufzuwenden. Außerdem müssen sie beträchtliche Geldsummen in die Verhinderung nicht nur wirklicher, sondern auch potenzieller Angriffe auf ihre teuren technologischen Systeme stecken. Al-Qaida und der Islamische Staat behelfen sich mit preiswerten Technologien, manchmal mit so bescheidenen wie einem Messer oder einem Cutter. So haben sie bei den Attentaten vom 11. September 2001 die Mittel gefunden, die westliche Technologie in den Dienst ihrer eigenen Zwecke zu stellen.
In dem Maße, wie der Westen immer ausgefeiltere Technologien entwickelte, wurde er auch angreifbarer. Praktisch alle westlichen Militäreinsätze sind heute auf die Sicherung ihrer Computernetze angewiesen, was ihre Armeen zu massiven Investitionen in IT-Sicherheit zwingt. Dieselbe Technologie, die einem Kriegsherrn ermöglicht, in Echtzeit über Satellit eine Operation in Hunderten Kilometern Entfernung zu lenken, kann zu einem Schwachpunkt werden, sobald der Gegner einen Weg gefunden hat, das von ihm verwendete Informationsnetzwerk zu zerstören oder Kontrolle über es zu gewinnen. Während solche Netze heute Operationen auf globaler Ebene ermöglichen, bedeuten sie zugleich und im selben Umfang eine Verwundbarkeit, aus der staatliche wie nichtstaatliche Akteure ihren Nutzen schlagen können. Die Informatik stellt somit eine Achillesverse dar, die alle westlichen Armeen mit einberechnen müssen.
Hochentwickelte Technologie ist keine Garantie für den Fortschritt der Gesellschaft und auch nicht, soweit es unser Forschungsfeld betrifft, für Erfolg auf dem Schlachtfeld. Neue Technologien sind nicht immer revolutionär; weder ersetzen sie schnell alte Technologien noch lassen sie alte Formen der Kriegführung obsolet werden. Um die Technologie zu verstehen, müssen wir auch das System verstehen, innerhalb dessen sie aufkommt, und die Entscheidungen, die die Einzelnen und die Gesellschaften treffen. Trotz des Aufkommens moderner Technologien, wie dem Panzer und dem Flugzeug waren die Armeen, wie David Edgerton gezeigt hat, noch lange stark von der Muskelkraft von Tieren abhängig. So setzte beispielsweise die britische Armee noch im Zweiten Weltkrieg 500 000 Pferde und 47 000 Kamele ein. Das Neue ersetzt nicht zwangsläufig das Alte.
Insbesondere die westlichen Gesellschaften scheinen manchmal von der Technologie wie betört und sehen in ihr eine Art Wundermittel. Bestimmte technologische Fortschritte werden uns helfen, länger zu leben, den Zustand der Umwelt zu verbessern oder im Fall der Militärtechnologie Siege auf dem Schlachtfeld zu erringen. Doch die technologischen Systeme sind per Definition dynamisch und führen oft zu Resultaten, die den Vorstellungen ihrer Erfinder*innen entgegengesetzt sind.
Außerdem ist der Krieg, Clausewitz hat daran erinnert, ein Duell, in dem jedes Lager die Art der entsprechenden Interaktion mitbestimmt. Die vietnamesischen Guerillas, die sich im Dschungel verbargen, die Kombattanten des Islamischen Staates, die in den Großstädten des Nahen Ostens verschwinden, sind moderne Pendants zu den indianischen Kriegern, die im Angesicht der Artillerie der amerikanischen Armee nicht bewegungslos auf ihren Reittieren verharren wollten. Sie erinnern uns daran, wie die militärischen Planer gerne sagen, dass der Feind im Bereich der Technologie nicht weniger ein Wörtchen mitzureden hat als in allen anderen Aspekten des Krieges. Der Besitz einer fortschrittlichen Technologie allein kann einen Vorteil auf dem Schlachtfeld bringen, aber er hat auch seinen Preis. Und er garantiert auch nicht den Sieg.
Michael Neiberg ist Inhaber des Lehrstuhls für War Studies am US War College. Er ist Autor zahlreicher Arbeiten zur Militärgeschichte, insbesondere über den Ersten Weltkrieg u. a. The Path to War. How the First World War Created Modern America (Oxford 2016).