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Die Bürgerkriege im Visier

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Bei der Neufassung der Genfer Konventionen 1949 war es nicht so sehr das Gespenst des Kalten Krieges als das der drohenden antikolonialen Kämpfe, das den Diskussionen seinen Stempel aufdrückte. Wie im Zweiten Weltkrieg hatte das Kriegsrecht wenig Einfluss auf diese Konflikte: Die Dekolonisationskriege begannen häufig als Bürgerkriege, die traditionell weniger reglementiert waren; dazu kommt, dass Gegenseitigkeit und Beschränkung für die Europäer*innen und Amerikaner*innen nie Thema war, wenn sie gegen nichtwestliche Gegner kämpften. Trotz der im Zweiten Weltkrieg erlebten Schrecken der Luftbombardements in Europa führte der noch grauenhaftere Horror, den der Abwurf der Brand- und Atombomben auf die japanischen Städte 1944 und 1945 verursachte, nicht zur Bestrafung dieser Praktiken als solcher. Die Nationale Befreiungsfront in Algerien prangerte vergeblich die Folter und andere Verstöße der französischen Armee an. Das ganze Ausmaß der Gewalt der Aufstandsbekämpfung, das das Ende des Kolonialreichs in Algerien wie in Malaysia, auf den Philippinen und in zahlreichen afrikanischen Ländern kennzeichnet, die Schauplätze wahrer Blutbäder wurden (wie der Massenmord an den Mau-Mau in Kenia oder in den portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik) ist erst in jüngerer Vergangenheit ans Licht gekommen.

Dennoch wurden die Regeln, die den direkten Angriff auf Zivilist*innen untersagten, gestärkt; kollaterale Verwundungen und Tötungen wurden einzig in dem Maße als zulässig erklärt, als sie nicht in einer »unverhältnismäßigen« Beziehung zu einem als notwendig beurteilten militärischen Ziel standen. Die Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen (1977) gaben diesen Regeln einen viel klareren Ausdruck, insbesondere aufgrund des Beitrags neuer postkolonialer Staaten, die die bis zu diesem Zeitpunkt auf den Nordatlantikbereich beschränkten Regeln des Krieges an die Situation der Länder des Südens anpassten. Der Sieg ehemals als »terroristisch« beschriebener aufständischer Kräfte erleichterte so die Ausweitung verpflichtender Regeln auf die asymmetrischen und irregulären Kriege.

Während das Ziel einer rechtlichen Reglementierung der Gewaltanwendung zum Ende des Zweiten Weltkrieges noch populär gewesen war, sank in der Folge die Zustimmung in der öffentlichen Meinung und unter den Juristen. Diese Entwicklung bestätigte sich während des »zweiten« Vietnamkrieges nach dem Rückzug der Franzosen aus Indochina (1954). Im Gegensatz zu den Aufstandsbekämpfungsoperationen der britischen, niederländischen, französischen oder portugiesischen Kolonialmacht lässt sich die amerikanische Gewalteskalation in Südostasien Mitte der 1960er Jahre genau als »Aggression« in dem juristischen Sinne beschreiben, wie ihn die Vereinigten Staaten zwanzig Jahre zuvor selbst definiert hatten. Dennoch wurde dieser Vorwurf schnell mit dem Linksaktivismus assoziiert, der sich während dieser Jahre offen gegen den Krieg stellte (während der Pazifismus zuvor ein breiter geteiltes Anliegen gewesen war). Nach den Enthüllungen zum Massaker von My Lai schien es eher opportun, sich an die Verurteilung der zahlreichen Kriegsverbrechen zu halten, die von den amerikanischen Streitkräften und ihren Alliierten in Südvietnam und anderen Ländern vor Ort begangen wurden. Allgemeiner betrachtet bewirkten die während des Kalten Krieges vorgebrachten Anschuldigungen, Angriffskriege zu führen, eine Schwächung der Idee, dass über den Rahmen der Charta der Vereinten Nationen (1945) hinaus das Recht eines Tages die zwischenstaatlichen Kriege regulieren könnte, indem es die Bedingungen für den Gewalteinsatz selbst kontrollierte.

Zum Ende der Dekolonisation und des Vietnamkrieges entwickelte sich eine Menschenrechtsbewegung neuen Typs, die die gegen Zivilist*innen verübten Gräuel anprangerte. In dem Maße, wie die Sorge um Gewährleistung individueller Menschenrechte von der Bewegung auf die professionelle Interessenvertretung überging, spielte das Kriegsrecht eine immer zentralere Rolle in ihrer Definition. Noch wichtiger war vielleicht, dass die Armeen, die nun keine schmutzigen Kriege mehr zu führen hatten, die nationalen und völkerrechtlichen Regeln zum Verhalten bei Kampfhandlungen in einer Weise ernst zu nehmen begannen, wie es bei der Aufstandsbekämpfung der jüngsten Vergangenheit noch unvorstellbar gewesen wäre. Mit Niedergang der zwischenstaatlichen Kriege richtete sich der Blick der Kriegsrechts- und Menschenrechtsverteidiger*innen hauptsächlich auf die Bürgerkriege, die nun, insbesondere auf der Südhalbkugel, Schauplatz der schlimmsten Verbrechen wurden. Das Genfer Abkommen von 1949 hatte im berühmten Artikel 3 den erforderlichen Minimalschutz »im Fall eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter aufweist«12, (auch Bürgerkrieg genannt) festgesetzt. Die Revision von 1977 fügte eine Reihe detaillierterer Regeln hinzu: einen Verweis auf die »Menschenrechte«, der im Abkommen von 1949 nicht enthalten war; und ein zweites zusätzliches Protokoll, das sich ausschließlich den nicht internationalen bewaffneten Konflikten widmete, auch wenn der Text im Weiteren Anlass für Kontroversen gab.

Während der Völkermord an den Jüdinnen und Juden in den Nürnberger Prozessen noch eine sekundäre Rolle gespielt hatte, änderten sich mit dem erneuten Aufkommen von Erlebnisberichten in den 1960er und 1970er Jahren, nun mit der Brille der postkolonialen Konflikte, die Prioritäten sehr grundlegend. Vor einem neuen zwischenstaatlichen Krieg geschützt, waren die Europäer*innen und Nordamerikaner*innen nun Beobachter*innen von Konflikten im Süden, in die ihre eigenen Armeen nicht notwendig involviert waren, die sie aber zu stoppen versuchen konnten. Diese neue Bewusstwerdung über den Völkermord an den Jüdinnen und Juden brachte einige dazu, eine neue Ära der humanitären Interventionen und der Einführung eines Interventionsrechts vorauszusehen, das Kriege, die andere als »Angriffskriege« abgelehnt hatten, als »gerechte Kriege« neu bestimmen würde.

Eine Geschichte des Krieges

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