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Ius ad bellum versus ius in bello

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Zwischen der Französischen Revolution und der Mitte des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Kriegspraktiken erheblich. Die Erfindung des »totalen Krieges«, die allgemeine Wehrpflicht, die Nationalisierung der Konflikte, die unter dem Ancien Régime noch unter Dynastien ausgetragen worden waren, sowie die technologische Entwicklung legten die Mängel der juristischen Beschränkungen, die den Gewalteinsatz regulierten, oder sogar ihr völliges Fehlen offen. Gewiss, die militärischen Gepflogenheiten hatten weiterhin ihre Geltung, selbst wenn kein anderes Völkerrecht als die alten Schriften der »Spezialisten des Internationalen Öffentlichen Rechts« der Kriegführung Beschränkungen auferlegte. Doch eine neue, insbesondere vom Denken Carl von Clausewitz’ inspirierte Auffassung des Gefechts betonte die Gewaltsamkeit der formell erklärten Militäreinsätze. Zur selben Zeit verliehen die Ausweitung der Öffentlichkeit und die Berichterstattung über teils weit entfernte Konflikte dem Krieg eine neue Sichtbarkeit, die die kriegführenden Parteien nötigte, öffentlich Rechenschaft abzulegen.

Was das ius ad bellum betraf, glaubte man vor dem 19. Jahrhundert, dass es für den Krieg genauso wenig wie für Armut und Sklaverei eine Perspektive gab, einmal verschwinden zu können – außer zur Stunde der Erlösung, wenn die Schwerter zu Pflugscharen würden2. Dennoch entstand in Reaktion auf die Napoleonischen Kriege und im Gefolge einer ersten »Globalisierung« eine pazifistische Bewegung. Ihr Ziel bestand nicht nur darin, den Krieg durch das internationale Recht humaner zu gestalten, sondern dieses auch zur Vorbeugung gegen den Krieg selbst einzusetzen. Als die lange Vorherrschaft von Ciceros und Tacitus’ Denken an ihr Ende gelangt schien, wurde ein ius ad bellum vorstellbar. Für die größten Optimisten ging es nicht mehr allein darum, unlautere Auseinandersetzungen anzuprangern, sondern endgültig aus den Angelegenheiten der Menschen zu tilgen.

Dieses Programm fand im 19. Jahrhundert ein schnelles Ende. Der Arbeit am ius in bello hingegen gelang ein Durchbruch. Nach einer Ära des Friedens flammte um die Jahrhundertmitte die Gewalt zu beiden Seiten des Atlantiks auf. Der Krimkrieg (1853–1856), der Sardinische Krieg (1859) und der Amerikanische Bürgerkrieg (1861–1865) machten den Anschein eines allgemeinen Friedens zwischen »zivilisierten« Völkern zunichte, umso mehr als diese Konflikte von einem Aufblühen der Kriegsfotografie und -berichterstattung begleitet waren. In Reaktion darauf wurde das Kriegsrecht neu kodifiziert. Manche europäische Beobachter*innen, insbesondere eine neue Generation von Reformer*innen, begannen, ein humanitäres Ansinnen in ihre Reflexionen über die Anwendung des Rechts einfließen zu lassen. Letztlich wurde die Frage nach der Reglementierung der Armeen zu einem internationalen Thema, das die nationale Politik transzendierte.

Die bis dahin geltenden Gepflogenheiten hatten die Beschränkungen, die sie der Kriegführung auferlegten, prinzipiell vom eigenen Ermessen abhängig gemacht. Die Revolution des humanitären Empfindens bewirkte eine Veränderung dieser Normen zumindest in einer gebildeten Bevölkerungsschicht, die bereit war, sich mit dem körperlichen Leid anderer zu identifizieren. Dieses Identifizieren blieb nichtsdestotrotz in engen Grenzen verhaftet. So machte sich der humanitäre Elan zunächst in den nationalen Armeen bemerkbar. Davon zeugt in Großbritannien die ungeheure Popularität von Florence Nightingale, die während des Krimkrieges mit ihren »Damen mit der Lampe« britischen Soldaten Hilfe leistete, die bei Skutari an den Ufern des Bosporus verwundet worden waren. Der Schweizer Henry Dunant trug seinen Teil zur Genese des modernen Kriegsrechts bei. Er hatte im Rahmen einer Geschäftsreise dem Blutbad der Schlacht von Solferino im Sardinischen Krieg beigewohnt und war zutiefst empört, in welcher Weise sich die europäischen Nationen um ihre Verwundeten kümmerten. Der spätere Friedensnobelpreisträger machte ein Buch daraus (Eine Erinnerung an Solferino), das sich zu einem Bestseller entwickelte, gründete dann das Rote Kreuz und war Initiator der Genfer Konvention (1864), die die Ausarbeitung eines internationalen Abkommens zum Schutz verwundeter Soldaten zum Ziel hatte.

Das moderne Kriegsrecht nimmt von diesem ersten internationalen Abkommen seinen Ausgang. Es existierte schon auf nationaler Ebene seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg und den Bemühungen eines Professors für amerikanisches Recht, dem aus Deutschland stammenden Francis Lieber, den, wie er sagte, »der Brauch, die Geschichte, die Vernunft, ein waches Bewusstsein und eine aufrichtige Liebe für Wahrheit, Gerechtigkeit und die Zivilisation«3 inspirierten. Diese erste Kodifizierung bestand, wie es Usus unter Juristen war, vor allem aus einer Zusammenfassung aller bestehenden Gesetze. Diese erste Kodifikation bestand in erster Linie aus einer Zusammenfassung aller existierenden Gesetze zum Gebrauch durch Juristen. Der Lieber Code unterstrich besonders die Tatsache, dass »Männer, die in Kriegen zwischen Staaten zu den Waffen greifen, darum nicht aufhören, moralische Wesen zu sein, die einander und Gott verantwortlich sind«.4 Doch dieser Code war nicht im Besonderen humanitär im Geiste, vor allem was die irregulären Kriege anbelangt. Tatsächlich war Lieber der Auffassung, dass der Krieg zur Manneskraft gehöre, ohne die die Zivilisation dem Untergang geweiht sei. Sein militärischer Ansatz befürwortete eher eine Verschärfung als eine Zivilisierung der Kämpfe, weil auf diese Weise spektakuläre Auseinandersetzungen mit einer schnellen Lösung begünstigt und in der Summe Leben geschont würden.

Auf beiden Seiten des Atlantiks nahm die Entwicklung des Vertragsrechts schnell eine stärker humanistische Wendung, ob es sich um die Ausweitung des Schutzes von Kriegsgefangenen, auch der Verwundeten (sowie nach dem Zweiten Weltkrieg der Zivilist*innen), handelte oder darum, bestimmte Kampfmethoden zu verbieten. (Diese Verträge erhielten den Namen der Städte, wo sie ausgehandelt worden waren, wurden somit zum Genfer Abkommen und Haager Abkommen, auch wenn im letzteren Fall die Petersburger Erklärung von 1868 bereits die Verwendung bestimmter Sprenggeschosse verbot.) Durch Beschränkung der Kampfmethoden hoffte man, unnötiges Leid zu vermeiden. So heißt es in der Haager Landkriegsordnung: »Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.«5 Die Juristen, die die Staaten (in deren Diensten sie im Allgemeinen tätig waren) dazu bewegten, sich diesen rechtlichen Beschränkungen zu unterwerfen, waren sich des Ausmaßes an Gewalt, das weiterhin erlaubt blieb, durchaus bewusst. Doch ihr Ausblick war optimistisch, wie sich in der berühmten Martens’schen Klausel der Haager Friedenskonferenz von 1899 ausdrückt (so benannt zur Würdigung Friedrich Martens’, eines russischen Völkerrechtsspezialisten), die im Blick auf die Zukunft daran erinnert, dass bis auf Weiteres die »Kriegführenden unter dem Schutze und den herrschenden Grundsätzen des Völkerrechts bleiben, wie sie sich aus den unter gesitteten Staaten geltenden Gebräuchen aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens herausgebildet haben«.6

Dennoch hatte der humanitäre Ansatz nicht die Oberhand über die militaristische Perspektive gewonnen. Die Regeln, die die Konfrontationen ziviler gestalten sollten, waren tatsächlich auf die klassischen Konfrontationen zwischen »zivilisierten« Armeen beschränkt, während sie die Praktiken des irregulären Krieges unangetastet ließen, was bedeutende Konsequenzen für die Kolonien hatte, wo sie vor allem zur Anwendung kamen. Diese Epoche einer zaghaften Zivilisierung des Krieges war zugleich weltweit eine Zeit der brutalen Aufstandsbekämpfung vonseiten der europäischen Armeen und Kolonisatoren. Außerdem hatte die Zivilisierung des Krieges häufig pazifistische Absichten. Fern der Öffentlichkeit gestand man zu, dass dieser Prozess nur durch Verschwinden des Krieges zu einem Ende geführt werden könne. Gustave Moynier, Schweizer Landsmann von Dunant und Langzeit-Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, stellte fest, dass »die [Genfer] Konvention ein Argument für die These von der Brüderlichkeit der Völker geliefert hat. Durch diese Übereinkunft haben sich die verschiedenen Fraktionen der zivilisierten Menschheit – zum ersten Mal und mit solcher Einheit – unter eine gemeinsame Regel gestellt, die allein aus Erwägungen, welche sich aus der sittlichen Ordnung ergeben, diktiert wird. […] Angesichts dieser ursprünglichen Anverwandtschaft anerkennend, dass sie derselben Familie angehören, sind die Menschen zu dem Schluss gelangt, dass sie anfangen müssen, sich bis zu einem gewissen Punkt gegenseitiges Erbarmen zu zeigen – das ist schon etwas –, in Erwartung, dass eine stärkere Überzeugung sie begreifen lässt, dass das gegenseitige Töten eine Abscheulichkeit ist.«7

Gewiss gab es Skeptiker. Unter ihnen Leo Tolstoi, der zum Ende seines Lebens über die Landesgrenzen hinaus zu einem der Gesichter des Pazifismus wurde. Für den großen russischen Romancier trugen die Anstrengungen, den Krieg zu zivilisieren, statt ihn abzuschaffen, zu seinem Fortbestehen bei. In Krieg und Frieden ließ er Prinz Andrej sagen: »Keine Gefangenen machen, sondern totschlagen und selber in den Tod gehen! […] Wenn es dieses großmütige Getue im Krieg nicht gäbe, zögen wir nur in eine Schlacht, wenn es der Mühe wert wäre, in den sicheren Tod zu gehen, wie eben jetzt.«8 Tolstois Ansichten haben sich nie durchgesetzt. Doch seine Befürchtung, dass »zivilisiertere« Konflikte eher dem Krieg als dem allgemeinen Frieden zugutekommen, bleibt aktuell.

Im Allgemeinen befanden sich die beiden Bestrebungen allerdings nicht in Konkurrenz zueinander. Beide richteten sich gegen den Militarismus, nur mit unterschiedlichen Ansätzen. Als Zar Nikolaus II. die erste internationale Friedenskonferenz in Den Haag einberief, lag die Priorität darauf, sich auf Abrüstung zu einigen; die Reglementierung der militärischen Auseinandersetzungen erschien sekundär. Die in dieser Epoche generell »isolationistisch« eingestellten Amerikaner*innen, unter denen sich paradoxerweise aber auch zahlreiche Anhänger*innen der neuen, durch das Völkerrecht entstandenen professionalisierten zwischenstaatlichen Aktivitäten fanden, setzten ihre größte Hoffnung auf eine Reform der globalen Beziehungen. Damit sollten Klagen zwischen Staaten einer Schiedsgerichtsbarkeit mit neutralen Richtern unterworfen werden. Auf diese Weise würde Europa letztendlich seine lange Vergangenheit innerer Kriege von sich abschütteln können. Doch die Staaten waren nicht bereit, sich diese Perspektive zu eigen zu machen. Daher beschränkte sich die Konferenz auf die Reglementierung des Krieges, nachdem er einmal erklärt war: Das Ziel, ihn nur zu zivilisieren, schien schon ehrgeizig genug.

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