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Bestrafung von Angriffen zwischen Staaten

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Die Konflikte von beispielloser Gewalt, die sich über einen Zeitraum von dreißig Jahren, von 1914 bis 1945, erstreckten, hätten selbst das bescheidene Ziel der Zivilisierung des Krieges zwecklos erscheinen lassen können. Kein Staat, welche Verpflichtung er auch unterschrieben hatte, war bereit, auf seine militärischen Vorrechte zu verzichten, und angesichts der nur schwach ausgeprägten nationalen Systeme zur Verhinderung von Kriegsverbrechen warf die Fackel der Humanität in dieser Kriegsapokalypse nur ein jämmerliches Licht. Wie gezeigt werden konnte, respektierte die britische Regierung mehr als andere die von ihr offiziell ratifizierten Abkommen. Liegt der Grund darin, dass Großbritannien ein moralisch überlegener Staat war? Oder geht seine Achtung der Verträge nicht eher darauf zurück, dass es eine globale Hegemonie in der Epoche ausübte, als sich die Etablierung des Kriegsrechts abzeichnete? Manche Deutsche – deren Regierung sich über diese Verträge ganz ungeniert hinwegsetzte – merkten skeptisch an, dass die mächtigen Staaten nur Gesetze schufen, denen sie auch nachkommen konnten. So war es während der Blockade der Alliierten möglich, dass 600 000 deutsche Zivilist*innen verhungerten, ohne dass damit eine Verletzung des geltenden Völkerrechts vorlag, während die deutschen Operationen, die deutlich weniger Menschenleben kosteten, Vertragsverletzungen waren.

Am Ende des Ersten Weltkrieges wünschte sich die Öffentlichkeit juristische Mittel zur Beendigung statt zur Zivilisierung des Krieges. Aufseiten der Alliierten verurteilte der britische Premierminister David Lloyd George die von Kaiser Wilhelm II. begangenen »Verbrechen gegen die Menschheit«, nicht unter Verweis auf die Gräueltaten gegen Zivilist*innen (wie es spätere Generationen taten), sondern unter Verweis darauf, dass er aus Leichtsinn den fürchterlichen Konflikt ausgelöst habe. Es wurden Pläne entworfen, ihn dafür sowie für die Verletzung anderer Verträge zu verurteilen, beispielsweise die Neutralitätsgarantie Belgiens (die von seinen Generälen ignoriert worden war, als sie die Feindseligkeiten eröffneten). Doch die Pläne wurden nicht zu Ende geführt; stattdessen fand der frühere Souverän Zuflucht in den Niederlanden.

Da eine rückwirkende Bestrafung nicht erreicht wurde, forderte die Öffentlichkeit für die Zukunft eine Reglementierung des Einsatzes von Gewalt. Der pazifistische Geist, von dem die Völkerrechtsarbeit bis dahin kaum inspiriert gewesen war, lebte neu auf und fand Eingang in den Mitte der 1920er Jahre etablierten Rechtsrahmen. Eine Zeitlang glich die Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks einem »Teufel ganz krank von Sünde«9 (um die Worte des englischen Dichters Wilfred Owen aufzugreifen). Die Staatsmänner sahen sich gezwungen, darauf mit einer großen Gesetzesinitiative zu reagieren.

Die Jahre 1924–1928 waren in dieser Hinsicht entscheidend. Völkerrechtsexperten versuchten, zwischenstaatliche »Aggression« zu definieren, die als schlimmste Geißel der Menschheit wahrgenommen wurde, während sich die Staaten gleichzeitig selbstverständlich das Recht vorbehielten, Verteidigungskriege zu führen, und sich bei der Definition derselben reichlich Spielraum gönnten. Zunächst ging es darum, Bedeutung und Umfang des Begriffs der Aggression zu bestimmen. Ein Protokoll zur friedlichen Beilegung internationaler Differenzen (1924) schlug vor, zwischenstaatliche Aggression unter Strafe zu stellen und die Entscheidungsbefugnis einem internationalen Tribunal zu übertragen. Dieses Protokoll war Bestandteil einer französisch-britischen Initiative, um das Verbot von Kriegen in den Völkerbundvertrag aufzunehmen. Doch trotz beispielloser Anstrengungen von Diplomaten und Juristen scheiterten beide Projekte. Der Zwist entzündete sich an der Frage einer allgemeinen Definition der Aggression, auch wenn die verschiedenen Vorschläge anerkannten, dass alles von der Glaubwürdigkeit der je spezifisch anwendbaren Prozeduren abhing. Diese Diskussionen fanden am Rande jener Verhandlungen um ein dauerhaftes multilaterales, sich über den Völkerbund hinaus erstreckendes Friedensabkommen statt, die schließlich in den Vertrag von Locarno (1925) und den allgemeinen Pakt zur Ächtung des Krieges mündeten, welcher besser als Briand-Kellogg-Pakt (1928) bekannt ist.

Die Jahre der Zwischenkriegszeit erwiesen sich letztlich nicht als günstig für die Institutionalisierung eines Verbots – und weniger noch eines strafrechtlichen Verbots – der zwischenstaatlichen Aggression. Die Bewegung wurde durch den Börsenkrach von 1929 und die folgenden Ereignisse ausgebremst. Die Völkerrechtsspezialisten setzten dennoch ihre Bemühungen um eine juristische Kodifizierung fort. So enttäuschend die Ergebnisse auch waren, darf man die Arbeit der Juristen, das Engagement der Staaten und ihre Resonanz nicht unterschätzen. Nachdem das ius ad bellum im Fokus gestanden hatte, rückte das Interesse für das ius in bello in den Vordergrund. Die Genfer Konventionen wurden 1929 erneut revidiert, um den Schutz der Soldat*innen weiter auszubauen; die Vorschläge zu einem offiziellen Schutz von Zivilist*innen wurden hingegen abgelehnt. Hinsichtlich der Reglementierung des Kampfes selbst waren sich die Großmächte im Allgemeinen darüber einig, nur diejenigen Waffen zu verbieten, für die sie keinen Nutzen mehr zu haben meinten, sodass sich das Projekt der Zivilisierung des Krieges schnell dem Vorwurf ausgesetzt sah, dass es immer nur um die Reglementierung des jeweils letzten Konflikts ginge. Dumdumgeschosse waren im Rahmen der ersten Haager Friedenskonferenz verboten worden, trotz ihres verbreiteten Einsatzes bei den kolonialen Eroberungs- und Befriedungskriegen; lediglich sehr lockere Normen wurden zur Einschränkung der Städte- und Luftbombardements vorgeschlagen, die nach dem italienischen Giftgasbombardement Libyens 1911 einen Boom erlebten. Die Brutalität der Kolonialkonflikte nahm in der Zwischenkriegszeit nur noch zu. Das schließt die offiziell unter dem Protektorat des Völkerbundes befindlichen Territorien ein, so etwa Syrien, wo die Revolten 1925–1927 von Frankreich brutal niedergeschlagen wurden.

Das Kriegsrecht versagte gänzlich dabei, die Grausamkeit des Zweiten Weltkrieges einzuhegen (ob diese Gewalt nun von den kolonialistischen Vergehen herrührte oder von einer innereuropäischen Dynamik). Wie schon im Ersten Weltkrieg wurde das Recht mehr an der Westfront geachtet, wo die Kriegsgefangenen von einem Schutz profitierten, der der Idee der Verträge nahekam. Außerdem stand das Rote Kreuz weiterhin in hohem Ansehen (es erhielt 1917 und 1944 den Friedensnobelpreis), insbesondere wegen seiner Anstrengungen, den Kontakt zwischen den Kriegsgefangenen und ihren Familien aufrechtzuerhalten. Die Realität hinter den Kulissen sah weniger glorreich aus: Jacob Burckhardt, der Schweizer Leiter der Organisation, fürchtete die kommunistische Bedrohung so sehr, dass er Sympathien für die Achsenmächte hegte. Seiner offiziellen Neutralität zum Trotz und ungeachtet der ihm vorliegenden Informationen überging das Rote Kreuz stillschweigend den Völkermord an den europäischen Juden.

Der Nürnberger Prozess von 1945–1946 vor dem Internationalen Militärgerichtshof wird häufig als ein Völkermordprozess betrachtet. In Wahrheit stand er in Kontinuität mit den Debatten der Zwischenkriegszeit, da er die Fragen zwischenstaatlicher »Aggression« und unerlaubter Gewaltanwendung in den Vordergrund stellte. Dasselbe war ein Jahr später in Tokio der Fall, wo der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten Japan in erster Linie für Verstöße gegen das Kriegsrecht verurteilte. Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher führte Neuerungen im Bereich individueller Verantwortung ein, indem er die Bereitschaft zeigte, mehr als die Kriegsverbrechen den Krieg selbst zu verurteilen. In dieser Frage bestand Konsens zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, was starken Einfluss auf den Prozessverlauf hatte. In seiner einleitenden Erklärung gab der amerikanische Hauptanklagevertreter und Richter des Obersten Gerichtshofs Robert Jackson klar den Ton vor: »Mit dieser gerichtlichen Untersuchung wollen […] vier der mächtigen Nationen, unterstützt von weiteren siebzehn Nationen, praktisch das Völkerrecht nutzbar machen, der größten Drohung unserer Zeit entgegenzutreten: dem Angriffskrieg.«10

Der Prozess stellte auch einen Ort für Kriegsverbrechen – Verletzungen der Regeln des ius in bello – und für einen jüngeren Hauptanklagepunkt dar: die »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«11. Die Seerechtsabkommen der Zwischenkriegszeit hatten versucht, Angriffe von U-Booten auf neutrale Schiffe, wie es sie im Ersten Weltkrieg vielfach von deutscher Seite gegeben hatte, zu verbieten. Alle Großmächte gaben sich im Zweiten Weltkrieg dieser Praxis hin, aber nur der deutsche Großadmiral Karl Dönitz (kurzzeitiger Nachfolger Adolf Hitlers vor der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands) wurde in Nürnberg schuldig gesprochen, sie in Verletzung des Völkerrechts angewandt zu haben. Er wurde damit auch der erste Staatschef, der für einen internationalen Verstoß gegen das Kriegsrecht verurteilt wurde.

Da die Nürnberger Prozesse und die Prozesse in den alliierten Besatzungszonen dem Kriegsrecht eine große Öffentlichkeit verschafft hatten, erreichte das Rote Kreuz eine Revision der Genfer Konventionen. Dadurch erhielten Zivilist*innen endlich einen klar definierten Schutz in Form einer einheitlichen internationalen Instanz. Doch es war der Kalte Krieg, der mehr als jeder andere Konflikt zuvor das Kriegsrecht sowohl aus militärischer Sicht als auch in den Augen der Öffentlichkeit transformierte. Und das in einer Zeit, in der sich bereits der Niedergang der europäischen Reiche mit ihrem Anteil entsetzlicher Gewalt abzeichnete.

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