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Alan Forrest Die Zeit der Bürgersoldat*innen
ОглавлениеMit den Revolutionskriegen war Frankreich die erste Nation in Europa, die eine Armee von Bürgersoldaten aufstellte. Zahlreiche Staaten sollten dieser Entscheidung für die Wehrpflicht folgen. Nicht immer gestanden sie ihren Soldaten auch die Rechte zu, die mit der Zugehörigkeit zur Bürgerschaft verbunden sind.
Als Frankreich 1792 Österreich und Preußen den Krieg erklärte, sahen die Zeitgenossen darin eine neue Art von Krieg, der von Ideen geleitet war und das gesamte Volk einbezog. Es handele sich um einen revolutionären Krieg, behaupteten sie, der sich seiner Natur nach von den Kriegen der Könige und Fürsten unterschied. Allerdings waren es die Politiker, die diese Sichtweise vertraten, nicht die Militärs. Die militärischen Taktiken hatten sich seit dem Ancien Régime in Wahrheit kaum verändert, und dasselbe gilt für die Bewaffnung der Soldaten. Und auch wenn die französische Staatsführung die Feindseligkeiten mit einer Sprache rechtfertigte, die man bis dahin noch nicht gehört hatte, müssen die Revolutionskriege, die das Land führte, als letzte Etappe einer langen Reihe von Kämpfen angesehen werden, die Europa im 18. Jahrhundert seine Form gab und die sich vom Spanischen Erbfolgekrieg bis zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg erstreckte. Diese Kriege waren gewiss nicht revolutionär. Aber sie waren es doch in einem anderen Sinne: Zum ersten Mal in der modernen Geschichte verbanden sie den Militärdienst mit der Zugehörigkeit zur Bürgerschaft, indem sie die Wehrpflicht zur Aushebung ihrer Heere einsetzten. Die Ära des Bürgersoldaten hatte begonnen.
1789 zeigte die Nationalversammlung herzlich wenig Enthusiasmus für die Einführung der Wehrpflicht. Statt ihre jungen Männer zur Ableistung ihres Militärdienstes zu zwingen, war sie mehr darauf bedacht, dort mit Reformen anzusetzen, wo sie Missbrauch der königlichen Armee am Werk sah. Den Abgeordneten war es um die Fragen individueller Freiheit zu tun, jeder Rückgriff auf eine Form von Nötigung erschien ihnen als Negierung dieser Freiheit, die die Revolution versprochen hatte. Als schließlich 1798 ein System mit einjähriger Wehrpflicht in Kraft trat, waren bereits neun Jahre vergangen, und mit ihnen ein großer Teil des egalitären Idealismus, der die ganz junge Republik noch befeuert hatte. Wie alle früheren Maßnahmen – zum Beispiel der Appell an Freiwillige nach der ersten Kriegsbedrohung 1791; die Aushebung von 300 000 Mann, als im Frühling 1793 England und Spanien der Krieg erklärt wurde; oder auch die Levée en masse (Massenaushebung) wenig später im selben Jahr – war auch die Wehrpflicht nichts anderes als eine Maßnahme, die durch die Notwendigkeiten des Krieges diktiert wurde. Die Levée en masse kam dem revolutionären Ideal der »Nation unter Waffen« insofern näher, als (im Gegensatz zur späteren Praxis des napoleonischen Wehrdienstes) jeder Ersatz und jede Vertretung dabei untersagt waren und von jedem Mitglied der Gesellschaft verlangt wurde, einzig mit der Unterscheidung nach Alter und Geschlecht einen persönlichen Militärdienst für die Nation zu leisten.
Das Dekret erklärte ausdrücklich den Umfang der Pflichten jedes Einzelnen: »Die Jungen werden in den Kampf ziehen; die verheirateten Männer werden Waffen schmieden und den Proviant transportieren; die Frauen werden Zelte und Kleidung herstellen und in den Lazaretten dienen; die Kinder zerreißen das alte Leinen«; sogar für die Betagten war eine Aufgabe vorgesehen: »Die Alten werden sich auf die öffentlichen Plätze bringen lassen, um dort den Mut der Krieger, den Hass auf die Könige und die Einheit der Republik zu beschwören.«1 Der Rückgriff auf die Sprache der Revolution hatte zweifellos seine Wirkung, zumindest auf bestimmte junge Soldaten, die für Frankreich kämpften. Pierre Cohin zum Beispiel war bereits ein glühender Revolutionär, als er sich 1792 freiwillig für den aktiven Dienst in der Nordarmee meldete. Dieser Krieg, erklärte er seinem Vater, »ist nicht ein Krieg zwischen einem König und einem König, und ebenso wenig zwischen Nationen. Es ist ein Krieg der Freiheit gegen den Despotismus. Es gibt keinen Zweifel, dass wir triumphieren werden. Eine gerechte und freie Nation ist unbesiegbar.«2
Durch das Ausmaß der Revolutionskriege und der Napoleonischen Kriege erwiesen sich die traditionellen Methoden der Rekrutierung als unzureichend, sodass die Regierungen zunehmend versuchten, ihren eigenen Bürgern die eine oder andere Form von Militärdienst aufzuerlegen. Die Kosten für Söldner waren exorbitant gestiegen. Somit sahen sich die anderen europäischen Nationen bald unter Zugzwang, dem von Frankreich eingeschlagenen Weg zu folgen. Überall auf dem Kontinent wurden Armeen zwangsrekrutiert, indem man die größtmögliche Zahl an Männern einer bestimmten Altersklasse, insbesondere zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren, einzog. Der Soldatenberuf war nicht mehr die nur den Armen und Landlosen aufgezwungene Bürde. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man das Wehrpflichtsystem in der einen oder anderen Form überall in Europa zumindest für Kriegszeiten übernommen, doch im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts wurde die neue Zwangsrekrutierung insbesondere von den urbanen Mittelklassen noch schlecht aufgenommen und stieß in den Ländern, in denen sie durchgesetzt wurde, auf großen Widerstand. In bestimmten Regionen Frankreichs tauchte mehr als ein Drittel der Einberufenen unter, um sich dem Wehrdienst zu entziehen; im ganzen Reich, insbesondere in den Tälern Norditaliens, führte der Hass auf die Wehrpflicht zu Angriffen auf Gendarmen und zu bewaffneten Revolten gegen die Staatsgewalt.
Preußen ist vielleicht das beste Beispiel eines Staates, der die Wehrpflicht als Reaktion auf eine Niederlage einführte, in diesem Fall auf die Flucht der eigenen Armee von der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806, in deren Anschluss Napoleon drakonische Friedensbedingungen diktiert hatte. Preußens Niederlage war so niederschmetternd, dass es die Öffentlichkeit erschüttert zurückließ; die verlorenen Gebiete wurden zu einer Quelle nationaler Erniedrigung, und die preußischen Militärstrategen zogen eine bittere Lehre daraus: Wenn sie den Franzosen erneut entgegentreten sollten, mussten sie deren Methoden kopieren und ein Wehrdienstsystem einführen. Für Generalleutnant Gerhard von Scharnhorst, der die Heeresreform durchführte, brachte die Wehrpflicht militärische wie zivile Vorzüge. Die Armee werde zur »Schule der Nation« und könne die Rekruten finden, die zum Kampf gegen Napoleon notwendig waren. Bald imitierten auch andere Scharnhorsts Beispiel. Schweden führte 1812 die Wehrpflicht ein, Norwegen 1814. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die meisten europäischen Großmächte – Osterreich-Ungarn 1867, Russland 1874 – die Notwendigkeit anerkannt.
Allerdings lehnte Preußen es ab, bei seiner großen Militärreform seine Untertanen automatisch auch mit den Bürgerrechten auszustatten. Diese Rechte mussten verdient werden: Sie wurden als Belohnung für abgeleistete Dienste und erfüllte Pflichten verliehen. Sie waren kein Status, den man von vornherein genoss, wie es in Frankreich der Fall war. Die Idee, nach der die Menschen Bürger ihres Landes mit allen Rechten und Pflichten waren, blieb weitgehend an die revolutionären Regime und an die Gleichheitsvorstellungen, aus denen sie sich speisten, gebunden.