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Rhetorik der Volksmobilisierung

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Diese Feststellung gilt jedoch nicht für die anderen Fronten. Und dies ist einer der besten Indikatoren für den fundamentalen Wandel, den das Konzept der Schlacht selbst mit dem Ersten Weltkrieg durchlief: Die drei heftigen Schlachten im Herbst 1918 an der italienischen, palästinischen und mesopotamischen Front – bei Vittorio Veneto, bei Megiddo und bei Mossul – wurden interessanterweise von der Geschichtsschreibung vernachlässigt, und werden es heute noch. Dabei waren alle drei nicht weniger entscheidend als Waterloo. Sie beendeten den Konflikt in ihrem jeweiligen Kriegstheater und werden doch als leichte Siege angesehen, errungen von Truppen, die – relativ zu den an der Westfront eingesetzten Armeen – zu den besten gehörten, gegen Armeen, die den Kampf bereits verloren gegeben hatten. Die Argumente über den »Abnutzungskrieg« entziehen den leichten Siegen implizit jeden moralischen Wert unter dem Vorwand, dass die Kämpfe sich nicht länger hinzogen und die Verluste nicht bedeutender waren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb Generalmajor John F. C. Fuller, ebenfalls ein Veteran des Ersten Weltkrieges, das dreibändige Werk The Decisive Battles of the Western World, in dem der Autor von Gallipoli 1915 direkt zu den Schlachten von 1918 übergeht und alles, was in der Zwischenzeit passierte, einschließlich Verdun und der Schlacht an der Somme, auslässt. Ein separates Kapitel ist dem italienischen Sieg bei Vittorio Veneto im Oktober 1918 gewidmet, den der Verfasser als »entscheidend« beurteilt, weil er einen Einfluss auf die Moral des italienischen Volks hatte und von Mussolini und den Faschisten dazu benutzt wurde, »allen jenen subversiven und korrupten Kräften, die den Nationalgeist in Italien zersetzten«14, entgegenzuwirken. Dazu muss man sagen, dass Fuller ein ehemaliger Faschist war, doch sein Argument gilt für die Dritte Republik wie für Italien. Verdun kann somit in Frankreich aus nationalen Gründen als eine große Schlacht angesehen werden. Dasselbe lässt sich für Großbritannien und die Schlacht an der Somme sagen. Die Helden dieser Schlachten waren nicht die Befehlshaber, sondern die einfachen Soldaten – die Nation verkörpernde Bürger. Trotzdem stellte Fuller nicht die Frage, ob in den ideologischen Kriegen – so beschrieb er die Kriege des 20. Jahrhunderts – und insbesondere im Verlauf des Zweiten Weltkrieges die Entscheidungsschlacht die zentrale Stellung wiedererlangte, die sie im 19. Jahrhundert innegehabt hatte, oder ob sie im modernen Krieg endgültig ihre Bedeutung eingebüßt hatte.

Mit einer unzweideutigen Antwort eröffnet Phillips Payson O’Brien sein Buch How the War Was Won: »Es gab keine Entscheidungsschlachten im Zweiten Weltkrieg.«15 Dieser Krieg, der in zahlreichen Ländern die Mobilisierung der ganzen Bevölkerung und aller ökonomischen Ressourcen verlangte, wurde in einer Weise geführt, dass es in den großen Schlachten – von Stalingrad bis Midway – weder gelang, die Ressourcen des Gegners noch seine Kampftauglichkeit zu zerstören. Es war vielmehr die unnachgiebige Fortführung der Kämpfe, durch die Deutschland und Japan im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wie die Mittelmächte im Ersten Weltkrieg ihre materiellen Mittel einbüßten. Der Unterschied zwischen den Schlachten in den beiden Weltkriegen und denen der vorindustriellen Ära ist, dass die Kämpfe Tag für Tag und selbst nachts und im tiefsten Winter fortgesetzt wurden. Dass die britische Armee am 1. Juli 1916 Verluste von 60 000 Mann erlitt, erweckt die falsche Vorstellung einer zeitlich begrenzten Schlacht. Wichtiger ist es aber, sich an den Verlust der 360 000 Mann zu erinnern, die in den darauffolgenden einhundertvierzig Tagen den Tod fanden. In den beiden Weltkriegen hatten die kriegführenden Staaten alle Hände voll zu tun, um ihre Verluste auszugleichen, während sie zugleich genügend Arbeitskräfte mobilisieren mussten, um die zur Fortführung der Kämpfe notwendige Produktion am Laufen zu halten.

Der Zweite Weltkrieg war, wie Fuller beobachtete, von tiefen ideologischen Gegensätzen gespeist und wurde von ganzen Nationen geführt statt nur von Armeen, die ihren Monarch*innen Rechenschaft schuldig waren. Es war diese Rhetorik der allgemeinen Mobilmachung, die die Vorstellung einer »Entscheidungsschlacht« am Leben erhielt. »Schlachten sind die entscheidenden Meilensteine der weltlichen Geschichte«16, erklärte Winston Churchill 1940 und machte damit deutlich, welches Gewicht er ihnen beimaß. Noch als junger Mann hatte er 1898 an einem Kavallerieangriff bei Omdurman teilgenommen, der Entscheidungsschlacht, mit der das britische Empire die Mahdistenherrschaft im Sudan beendete. In dem Moment, als sich Großbritannien dem nationalsozialistischen Deutschland »allein entgegenstellte«, nannte Churchill zwei entscheidende Schlachten, die zu schlagen seien: die Schlacht um England und die Atlantikschlacht, die eine in der Luft, die andere auf dem Meer. Beide waren existenziell, weil der Ausgang des Krieges von ihnen abhing. Aber handelte es sich wirklich um Schlachten? Ihre Benennung anhand geografischer Bestimmungen zeigt schon ihre vage räumliche Eingrenzung. Aber auch zeitlich waren sie nicht eng umschrieben. Die erste dauerte vier Monate, die zweite vier Jahre. Übrigens ist bemerkenswert, dass im Deutschen im Zusammenhang mit der Atlantik-»Schlacht« auch genauer von U-Boot-»Krieg« gesprochen wird.

Es steht außer Frage, dass bestimmte Tage außerordentliche Konsequenzen für den Fortgang des Zweiten Weltkrieges hatten. Die zweite Schlacht von El Alamein dauerte länger als einen Tag und war vielleicht kein Wendepunkt in dem Sinne, wie Churchill ihn verstand, aber sie entsprach doch mehr den traditionellen Definitionen der Schlacht. Doch damit bildet sie eher die Ausnahme: An der Ostfront lassen sich aufgrund ihrer Dauer weder Stalingrad noch Kursk richtig als »Schlachten« beschreiben. Wenn es ein schlagartig eingetretenes und entscheidendes Ereignis im Zweiten Weltkrieg gab, dann war das der Atombombenabwurf auf Hiroshima. Doch niemand behauptet, dabei habe es sich um eine Schlacht gehandelt, da dies irgendeine Form von Gegenseitigkeit voraussetzen würde.

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