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Demokratisierung des Einverständnisses
ОглавлениеNoch war es notwendig, dass Milizionär und eingezogener Soldat, sobald sie in die nationale Armee eingegliedert waren, weiterhin die Interessen und Motivationen derer teilten, die sie zurückließen. Wie bestimmte Autoren der Aufklärung wie der Comte de Guibert in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erklärten, mussten die Soldaten tugendhafte Bürger sein, die sich bereithielten, zur Verteidigung ihrer Gemeinschaft zu den Waffen zu greifen. Das Opfer für das Gemeinwohl liegt dem Begriff der Bürgertugend zugrunde. Mit Auftauchen demokratischerer politischer Systeme und stärker inkludierender repräsentativer Institutionen im 19. Jahrhundert sah man zunehmend alle Bürger als in Kriegszeiten dem Staat verpflichtet an. Diese Idee, die kraft einer Art von »Demokratisierung des Einverständnisses« von den Einberufenen selbst unterstützt wurde, hatte weitreichende soziale Konsequenzen: Indem die Wehrpflicht den Militärdienst eng an die Zugehörigkeit zur nationalen Bürgerschaft knüpfte, erlaubte sie in Zivilgesellschaft wie Militär die Einebnung sozialer Unterschiede, denn sie zwang die politische Bürgergemeinschaft dazu, sich als eine Nation zu definieren, wodurch sie auch zum Prozess der Staatsbildung beitrug.
Doch dachte der Soldat überhaupt weiterhin als Zivilist, sobald er einmal in ein Regiment eingegliedert war? Denn die Pflicht, seinem Land zu dienen, und die Realität der Wehrpflicht sind zweierlei. Wenn Erstere als Ausübung einer der Grundpflichten des Bürgerseins angesehen werden konnte, bedeutete die Zweite unweigerlich die Aufgabe bestimmter Bürgerrechte. Während seines Militärdienstes konnte sich der Soldat nicht frei äußern, geschweige denn die Befehle seiner Vorgesetzten infrage stellen; es war ihm untersagt, sich in politische Debatten einzumischen, und auferlegt, sich einer institutionalisierten Disziplin zu unterwerfen. Seine Schriften wurden zensiert, sein Zugang zu Informationen streng kontrolliert. Ohne Zweifel mochten die Jahre im Militärdienst tiefgreifende Auswirkungen auf seine Loyalität, seine Werte und seine Identität haben. Die französische Revolutionsarmee der 1790er Jahre unterschied sich ideologisch sehr bald nicht mehr von den anderen Armeen dieser Epoche: Ihre Soldaten durchliefen dasselbe Training, das denselben militärischen Ausbildungsbüchern entstammte, und standen im Allgemeinen unter dem Befehl von Offizieren, die bereits unter Ludwig XVI. gedient hatten. Ihre Ideale wurden in den Notwendigkeiten des Alltags ertränkt: Nahrung für sich und Futter für die Pferde finden, sich vor der Kälte schützen, überleben. Oder auch kameradschaftliche Beziehungen zu ihren Waffenbrüdern bei sich entdecken. Mit den Monaten wurden diese Wehrpflichtigen immer professioneller. Sie eigneten sich Kompetenzen an, vollbrachten mitunter wahrhafte militärische Heldentaten, die dann gefeiert wurden; sie fingen an, von Ehre und Beförderung zu träumen, lebten in Furcht vor Verstümmelung und Kampfunfähigkeit durch Verwundung, beweinten ihre toten Freunde; schließlich fühlten sie sich immer mehr vom Rest der Gesellschaft isoliert, da sie eine Kameradschaft teilten, die die Zivilist*innen nicht kannten, eine aus gegenseitiger Abhängigkeit geborene Empathie, eine festere und unumwundenere Art von Freundschaft, als sie in der Zivilgesellschaft existieren kann. Viele begannen, eine militärische Karriere ins Auge zu fassen. Kurz gesagt, inmitten eines endlosen Krieges hatten sie aufgehört, einfache Bürger zu sein, und waren Soldaten geworden.
Selbst Großbritannien, das so gar keinen Gefallen an der Wehrpflicht hatte und sie als eine ausländische – schlimmer noch: »kontinentale« – Praxis ansah, die seinen parlamentarischen Traditionen völlig fremd war, sah sich gezwungen, den Umfang seiner Streitkräfte deutlich anzuheben, um der französischen Bedrohung die Stirn bieten zu können. 1813 waren seine Truppen auf der Iberischen Halbinsel und in den Vereinigten Staaten aktiv, und seine Flotte erhob den Anspruch, auf allen Weltmeeren für Ordnung zu sorgen, sodass der Bedarf der britischen Armee an Arbeitskräften ungekannte Ausmaße annahm. Doch Großbritannien widerstand der Versuchung, die Wehrpflicht einzuführen – bis 1916, als seine Armee nach zwei Jahren Krieg einen solchen Aderlass erlitten hatte, dass keine andere Wahl blieb, als doch darauf zurückzugreifen –, und machte stattdessen einen beispiellosen Gebrauch an Hilfstruppen, das heißt an »Bürgersoldaten«, die in den Milizen und Kavallerieregimentern eingesetzt wurden, um seine Küsten gegen eine mögliche französische Invasion zu verteidigen. Dem ist hinzuzufügen, dass Männer, die in den Milizen aktiv waren, weil sie dies als ruhige Pöstchen ansahen, sofern sie nie in Kämpfe nach Übersee entsandt wurden, sich zunehmend – meist vom Grundeigentümer, der sie beschäftigte – dazu bewegt, bezahlt oder in der einen oder anderen Form gedrängt fanden, ihr von einigen Paraden und zeitweisem Training durchbrochenes Zivilleben für das Leben eines Soldaten einzutauschen. Der Ruf des Patriotismus, die Rede vom nationalen Notfall, die Suche nach Abenteuer, die Appelle an ihre Männlichkeit und ihr Pflichtbewusstsein brachten immer mehr Männer dazu, alles hinter sich zu lassen und der Armee beizutreten. Es fehlte einzig ein Wehrpflichtgesetz, das sie dazu gezwungen hätte, sich die Uniform überzustreifen.
Hat seine Einführung also wirklich einen Unterschied gemacht? Für die Franzosen, ja: Die Wehrpflicht schuf einen anderen Typus von Soldat, der andere Motivationen hatte und sich mehr der Sache, für die er kämpfte, verpflichtet fühlte. Andere hingegen hatten so ihre Zweifel an dieser Sache. Die Briten, die auf der Iberischen Halbinsel oder bei Waterloo kämpften, waren keine »Bürgersoldaten«: Viele von ihnen trugen die Uniform, weil sie zwangsrekrutiert waren oder durch das Versprechen auf eine Prämie dazu verlockt worden waren, sich zu verpflichten. Sie genossen nicht dieselben Bürgerrechte wie die französischen Soldaten. Dennoch kämpften sie mit demselben Eifer und ebenso viel Patriotismus im Dienste ihres Königs und ihrer Nation. Nach Ende des Krieges wurden sie ebenso wie die Franzosen demobilisiert und kehrten auf ihr Gehöft oder in ihre Werkstatt zurück.
Wenngleich Großbritannien seine Bürger vor dem 20. Jahrhundert nicht in die reguläre Armee einzog, so blieb es doch immer der Idee einer militärischen Reserve verbunden und bediente sich dabei der vertrauten Rhetorik von Pflicht und Schuldigkeit. Im Krieg wie im Frieden hatte diese Reserve – ob es sich um Bürgermilizen, Kavallerieregimenter oder in jüngerer Zeit um die Freiwilligen-Landwehr handelte – wirkliches Gewicht in der militärischen Planung Großbritanniens. Die Frage der wirtschaftlichen Kosten spielte selbstverständlich auch eine Rolle für die Bedeutung, die der Reserve zugeschrieben wurde, doch wie in Frankreich auch lag der Akzent in der politischen Debatte immer auf der Wichtigkeit der staatsbürgerlichen Erziehung und dem Interesse der Gesellschaft daran, die Verantwortung für ihre Verteidigung wenigstens einem Teil ihrer Bürger zu überantworten. Diese Art von Reservearmee beschränkte sich nicht auf Großbritannien; sie hat eine lange Tradition in den angelsächsischen Ländern und fand im 19. Jahrhundert in allen Siedlerkolonien des britischen Weltreichs Anklang. Laut Ian Beckett beruhigte in viktorianischer Zeit der Anblick von Bürger-Regimentern die durch das Empire Reisenden und brachte ihnen eine vertraute Institution in Erinnerung. Die Namen dieser Regimenter mochten exotischer klingen als die in London oder Manchester, doch ihre Bedeutung ließ keine Zweifel aufkommen. Neben den anglikanischen Kirchen und den städtischen Parks gehörte die starke Präsenz dieser Truppen von Bürgersoldaten, ob es sich um die Pinjarrah Mounted Volunteers in Australien, die Mitglieder der Coromandel Rifle Brigade in Neuseeland oder die Lang Kloof Cavalry in Südafrika handelte, zum Alltag aller Untertanen des Reiches. Diese Freiwilligen-Regimenter waren auch den anderen Europäern nicht fremd, denn das Prinzip, nach dem ein freier Mann die Pflicht hatte, seinem Monarchen zu Hilfe zu kommen, reichte weit in die Vergangenheit zurück; und tatsächlich existierten bestimmte Formen von Bürgermilizen in den meisten europäischen Staaten schon lange vor 1789. Sie standen selten in vorderster Front, und die verschiedenen Freiwilligen-Regimenter und anderen Bürgermilizen, die heute noch übrig gebliebenen sind, beteiligen sich an der Landesverteidigung vor allem in Form einer operativen Reserve für eine Berufsarmee.