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Kritische Pädagogik

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Gängiger als der Begriff der Kritischen Erziehungswissenschaft, wie er in Deutschland ab und an zu lesen ist und wie ihn auch Klafki wiederholt genutzt hat, ist in internationalen Kontexten jener der Kritischen Pädagogik (Critical Pedagogy). Im Wesentlichen werden auch hier die Grundüberlegungen der Kritischen Theorie auf Bildung und Erziehung übertragen. Grundsätzlich gehen Vertreter und Vertreterinnen dieser Richtung davon aus, dass Bildung immer politisch und sozial-emanzipierend sein muss und dass es kein neutrales Wissen gibt (vgl. Aliakbari/Allahmoradi 2012, Crookes 2013). Die Diskriminierungen, die innerhalb einer Gesellschaft stattfinden z.B. in Bezug auf Klassenunterschiede, Rasse oder Geschlecht, werden wiederum innerhalb der Bildungssysteme reproduziert (vgl. Giroux 1983). Die kritische Reflexion dessen, was Bildungseinrichtungen, Schule und der Unterricht selbst anbieten, muss demnach der Kritischen Pädagogik folgend ein unabdingbarer Bestandteil des Unterrichts werden (vgl. Kincheloe 2008, Akbari 2008):

Critical pedagogy is teaching for social justice, in ways that support the development of active, engaged citizens who will, as circumstances permit, critically inquire into why the lives of so many human beings, including their own, are so materially (and spiritually) inadequate, be prepared to seek out solutions to the problems they define and encounter, and take action accordingly. (Crookes 2013: 77)

Als einer der Begründer Kritischer Pädagogik gilt Paulo Freire, der aus seinen Erfahrungen mit brasilianischen Arbeiter*innen, denen er Lesen und Schreiben beibrachte, eine Analyse kolonialistischer Bildungsideologie entwickelte, welche in seiner Pedagogy of the Oppressed (zuerst veröffentlicht 1970; Freire 2006) mündete. Er identifiziert ein – im Allgemeinen sicherlich auch außerhalb von Südamerika nicht unbekanntes – transmissionsorientiertes Modell von „Bildung“ („banking model of education“), das dem Primat der Vermittlung von vorgegebenen Inhalten folgt, ohne die sozialen, kontextbedingten Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen. Dabei kommt es nach Freires Analyse zu einer Dehumanisierung nicht nur der Schülerinnen und Schüler, sondern auch der Lehrkräfte, da sie in Abhängigkeit gebracht werden von curricularen und administrativen Vorgaben sowie Lehrwerken und Materialien. Freire prägt in seinem Werk den Begriff des „kritischen Bewusstseins“ (conscientization als englischer Begriff war die direkte Übersetzung des portugiesischen conscientização), welches in einem post-marxistischen Sinne eine wachsende Kritikfähigkeit sozialer Beziehungen, Interaktionen und Machtgefüge fördern soll. Kritische Pädagogik, auch wenn Freire diesen Namen zunächst selbst nicht nutzte (dies war später Giroux), war für ihn nie eine methodologische Rezeptologie, sondern politische Erziehung zum sozial verantwortlichen Handeln. In Education: The Practice of Freedom (Freire 1976) beschreibt er ein dreistufiges, kritisch-theoretisches Konzept, das er allerdings, wie sich bei genauerer Betrachtung im Nachhinein herausstellte, von einer kirchlichen Organisation grundlegend übernommen hatte (vgl. Crookes 2009: 183), unterteilt in Naming, Reflection und Action. In der Naming-Phase geht es um die Beschreibung und Identifizierung eines (sozialen, machttheoretischen) Problems oder einer Fragestellung, während der Reflection-Phase werden mögliche Ursachen hierfür ergründet, um in der letzten Phase (Action) Lösungen und Optionen zu erarbeiten.

Wichtig für Freire war, dass die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler unmittelbar aufgegriffen wird, wie es heute in der Fremdsprachendidaktik als „Lerner*innenorientierung mittels authentischer Aufgaben“ bezeichnet werden würde. In didaktischer Hinsicht benutzte er dabei im beginnenden Anfangslese- und -schreibunterricht primär Wortschatz, den die Lernenden tatsächlich in ihren Alltagskonversationen benutzten. Crawford (1978) war die erste, die die Freire’schen Prinzipien auf das Fremdsprachenlernen übertrug und mehrere Prinzipien herausarbeitete, welche wiederum Crookes (2009: 184) wie folgt zusammenfasst:

 a) The purpose of education is to develop critical thinking by presenting [students’] situation to them as a problem so that they perceive, reflect and act on it;

 b) The content of the curriculum derives from the life situation of the learners as expressed in the themes of their reality;

 c) The learners produce their own learning materials;

 d) The task of planning is first to organize generative themes and second to organize subject matter as it relates to those themes;

 e) The teacher participates … as a learner among learners;

 f) The teacher … contributes his/her ideas, experiences, opinions, and perceptions to the dialogical process;

 g) The teacher’s function is one of posing problems;

 h) The students possess the right to and power of decision making.

Henry Giroux (1983) hat Freires Grundkonzept aufgegriffen und in einer westlichen Orientierung gewissermaßen als „Kritische Pädagogik“ massentauglich gemacht. Die Grundannahme der Kritischen Theorie, dass Bildung auch immer ein politisches Moment hat, wurde dabei übernommen. Im Gegensatz zu Vertretern der Frankfurter Schule rufen diejenigen der Kritischen Pädagogik jedoch zum kollektiven Handeln auf und setzen sich für einen transformatorischen Prozess ein. Bildung und Erziehung sind damit ein Werkzeug, soziale Gerechtigkeit aktiv herzustellen.

Die Grundüberlegungen der Kritischen Pädagogik sind selbst nicht ohne Kritik geblieben. Diese neigt im einen Extrem dazu zu beanstanden, dass das Ziel sei, eine Radikalisierung junger Menschen bzw. Bürgerinnen und Bürger in sozial-gesellschaftlicher Hinsicht vorzunehmen, auf der anderen Seite wird die fundamental kritische Haltung am Status Quo häufig als institutionelle Gefahr für Bildungssystem und Curriculum angesehen. Je nach Auslegung und Radikalität der Umsetzung haben die Bedenken möglicherweise ihre Berechtigung. Allerdings soll es in dieser Argumentationslinie nicht darum gehen, einen Radikalismus zu befürworten oder gar in Schule zu implementieren. Vielmehr sind mit dem Begriff der Kritik im Freire’schen Sinne gleichzeitig Hoffnung, Respekt sowie Humanität verbunden (vgl. Akbari 2008; vgl. auch die Kritik an Akbaris Beitrag von Sowden 2008 mit dem provokanten Titel „There’s more to life than politics“). Die hinter dem Ansatz der Kritischen Pädagogik stehenden Prinzipien vermögen einen emanzipierenden und bildenden Fremdsprachenunterricht zu informieren, in dem eine allgemein-kritische Haltung angelegt und befördert wird, die aus Lernenden das hehre Ziel des mündigen Bürgers und der mündigen Bürgerin zu formen vermag. Wie Crookes (2009) allerdings betont, hat sich die Fremdsprachendidaktik, und er spricht speziell von Kontexten mit English as a Foreign oder Second Language (EFL/ESL), wenn überhaupt nur vereinzelt einer curricularen Verankerung einer gewissen Kritischen Pädagogik verschrieben.

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