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5. Fazit: Kritische Fremdsprachendidaktik oder -pädagogik?
ОглавлениеKritische Theorien und Kritische Pädagogik beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Welt, Weltverstehen und Sprache. Dabei ist dies alles andere als vermeintliche Kuschelpädagogik, es geht um „the messy, unpleasant aspects of social life and the people for whom such aspects are part of their day-to-day reality“ (Akbari 2008: 282). Eine Kritische Fremdsprachendidaktik vergegenständlicht die Kommunikation und Interaktion im fremdsprachlichen Klassenzimmer zur Förderung sozialer und demokratischer Verantwortung, zur Reflexion sozialer Ungleichheit, zum respektvollen Miteinander und zum pflichtbewussten Handeln. Kritische Pädagogik ist auch immer die „Pädagogik der Hoffnung“ (Freire 2014), sie kritisiert nicht zum Selbstzweck, sondern möchte Zustände verändern und das Bewusstsein erweitern. Das mag stellenweise unbequem sein, gleichwohl nötig für ein (möglicherweise letztlich utopisches) Bildungsziel, das nichtsdestotrotz verfolgt und verteidigt werden sollte.
Auch eine kritische Haltung gegenüber (vermeintlichen) Innovationen, neuen methodischen Ansätzen oder standardorientierten Testungen gehört in diese Konzeptualisierung einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung (vgl. Gerlach/Fasching-Varner in diesem Band) dazu mit der Grundidee, „help a person develop a philosophy of teaching“ (Crookes 2009: 21). Aber noch einmal, um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Ein solcher reflexiv-kritischer Habitus einer Lehrperson, ebenso ein kritischer Fremdsprachenunterricht an sich, haben nicht zum Ziel, eine Subversion gegenüber Autoritäten zu erzeugen oder politische Überzeugungen an Lernende weiterzugeben. Auf Grundlage des Beutelsbacher Konsens (vgl. Wehling 1977) gilt das Überwältigungsverbot genauso wie eine gleichberechtigte Darstellung unterschiedlicher Sichtweisen (Kontroversitätsgebot). Häufig vernachlässigt wird in Darstellungen und Diskussionen um den Beutelsbacher Konsens allerdings die gleichzeitige Notwendigkeit, als Lehrkraft eine entsprechende Analyse- und Handlungsfähigkeit seitens der Lernenden zu fördern. Es geht also im kritisch-pädagogischen Sinne darum, zum einen aufzudecken, wenn vorgegebene Skripte und Handlungsanweisungen einem ideologischen Zweck dienen, zum anderen, Schülerinnen und Schüler zu kritischen, mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, die ihre gemeinsame Zukunft für ein soziales und respektvolles Miteinander aktiv gestalten. Ein transmissionsorientiert ausgerichteter Fremdsprachenunterricht vermag dies in meinen Augen nicht zu leisten. Vielmehr muss dieser konstruktiv und partizipativ durch die Lehrkraft und mit den Lernenden gemeinsam strukturiert werden, Demokratiebildung berücksichtigen und auf die unmittelbare Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler eingehen.
Die nachfolgende Abbildung deutet lediglich an, inwiefern theoretische Bezugsquellen in Zusammenhang stehen mit potenziellen fremdsprachendidaktisch-methodischen Ansätzen. Sie ist keineswegs als normative Folie zu sehen und würde damit auch jedes kritischen Anspruchs entbehren. Vielmehr diskutieren die folgenden Beiträge im Sammelband ebenfalls weitergehende oder unter Zuhilfenahme anderer theoretischer Konstrukte anders gelagerte Unterrichtsgegenstände und Fragestellungen.
Abb. 1:
Bezugstheorien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik.
Eine noch zu diskutierende Frage wäre abschließend, ob die Konzeptualisierung als „Kritische Fremdsprachendidaktik“ oder „Kritische Fremdsprachenpädagogik“ (vgl. Crookes 2013) nötig und nicht möglicherweise selbst „kritisch“ sein könnte in ihrer Vermittlung gegenüber Lehrerinnen und Lehrern, Lernenden, Lehrplanentwickler*innen und denjenigen, die ihre Prämissen in der Praxis zu implementieren versuchen. Es besteht die Gefahr – wie es die Kritische Pädagogik auch immer wieder wahrnimmt – als „zu politisch“ (vgl. Sowden 2008), „zu radikal“ oder gar „revolutionär“ zu wirken, obgleich die Mehrzahl der oben genannten Prinzipien mit demokratisch-emanzipierenden Bildungsprozessen und Theoriekonstrukten vollkommen in Einklang zu bringen sind, ja, sie sogar im Besonderen unterstützen und fördern könn(t)en. Dennoch ist das „Kritische“ auch immer „anders“, auch immer „neu“ und mit einem gewissen Umdenken verbunden, was wiederum Gefahr läuft, Praktikerinnen und Praktiker unnötigerweise abzuschrecken. Möglicherweise müssen die Gegenstände einer Kritischen Fremdsprachendidaktik als Demokratiebildung und Reflexivität konzeptualisiert werden. Gleichzeitig gehen sie über die Ansprüche von interkultureller kommunikativer Kompetenz im Sinne Byrams, seinem „intercultural being“ (Byram 2008), deutlich hinaus. Sie sind vielmehr zu sehen als die Förderung von „intercultural responsibility“ (Guilherme et al. 2010) und einer im Fremdsprachenunterricht ernstgenommenen Wertevermittlung. Insofern ist ein „Werterelativismus, wie ihn zum Beispiel der Gemeinsame europäische Referenzrahmen nahelegt, […] dabei weder ethisch noch pädagogisch angemessen und in keiner Weise mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule vereinbar“ (Fäcke et al. 2017: 8).