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Gegenstände im kritischen Fremdsprachenunterricht

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Die Anwendung einer Kritischen Pädagogik im Fremdsprachenunterricht geht über das häufige Beispiel für Critical Language Awareness (vgl. Fairclough 2015), das Multiliteracies-Konstrukt der New London Group (2000) bzw. Critical Literacy (s.o.) hinaus. Im Zusammenhang mit der Förderung von (kritischer) Sprachbewusstheit im Unterricht wird als Beispiel nicht selten die Analyse der Wirkung von Werbung hergenommen (vgl. z.B. Fehling 2010). Hier wird die Sprache von Werbung zum Unterrichtsgegenstand gemacht, ihre manipulative Wirkung analysiert, ggf. sogar von Schülerinnen und Schüler produktorientiert eigenständig entwickelt. Im Sinne einer kritischen Didaktik ist diese Vergegenständlichung von Sprache und ihrer Funktion notwendig, allerdings geht sie nicht weit genug, da hier nicht notwendigerweise kritische Haltungen und Überzeugungen der Lernenden ernst genommen oder gar gefördert werden. Auch führt die Analyse von Werbung häufig nicht dazu, dass Ungerechtigkeiten, Machtgefüge oder Ungleichheiten aufgedeckt bzw. transformiert werden. Es geht hier eher um die Förderung einer Analysekompetenz, die sicherlich eine Voraussetzung für ein kritisches Bewusstsein bzw. das oben vorgestellte kritische Denken sein kann, aber noch nicht hinreichend an den Grundfesten der lerner*innenseitigen Überzeugungen auch im Sinne einer sozial-ideologischen Kritik anzusetzen vermag. Janks (2010/2014) beispielsweise zeigt vor dem Hintergrund von Critical Literacy in südafrikanischen Schulen diesen entscheidenden weiteren Schritt, denn ihr Ziel ist: „to increase students’ awareness of the way language was used to oppress the black majority, to win elections, to deny education, to construct others, to position readers, to hide the truth, and to legitimate oppression” (2010: 12).

Es mag hier der Verdacht aufkommen, dass eine Kritische Fremdsprachendidaktik mit ihren oben vorgestellten Bezugstheorien eher Gegenstände aufgreifen kann, die tatsächlich in Systemen und Ländern mit sozialer (aktiver oder passiver) Repression bzw. in sozial ungerechten Kontexten vorkommen. Allerdings: „Unterricht ist [immer, D.G.] in gesellschaftliche Kontexte eingebunden, das heißt: auch in politische, historische, soziale, ökonomische etc. Daher ist eine Auseinandersetzung mit bestimmten Werten und Normen unumgänglich.“ (Fäcke et al. 2017: 6) Man muss sich nur die latente und reale Ungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem vor Augen führen, in dem in Zeiten gestiegener Heterogenität genau diejenigen Schülerinnen und Schüler abgehängt werden, denen durch ihr sozioökonomisch schwächer gestelltes Elternhaus oder ihre Nachbarschaft kaum ein anderer Zugang zu Bildung ermöglicht wird als derjenige, den die Schule bereitstellt (vgl. z.B. OECD 2016). Die Abhängigkeit von sozialen Systemen und Institutionen, das genaue Gegenteil verpflichtenden Fremdsprachenunterrichts mit „reflexiv-emanzipatorische[n] Ziele[n]“ (Bonnet/Hericks 2014: 90; Hervorh. im Orig.), scheint für diese Lernenden vorprogrammiert. Und genauso sind wachsende Reflexion und Emanzipation der sozial besser gestellten Kinder und Jugendlichen ebenso wertvolle Ziele im Fremdsprachenunterricht wie auch in institutionellen Bildungskontexten insgesamt, indem Lernende dazu ermutigt werden, Verantwortung für sich und ihre Mitlernenden zu übernehmen, denn „what happens in the classroom should end up making a difference outside the classroom“ (Baynham 2006: 28). Und: „If students are going to transform the lives of themselves and those of others, they cannot do so unless due attention is paid to their own culture in the curriculum and opportunities are provided for critical reflection on its features.“ (Akbari 2008: 279)

Die De- und Rekontextualisierung z.B. der englischen Sprache als internationale lingua franca, die mehr und mehr Personen interagieren lassen, die nicht ursprünglich aus einer englischsprachigen Kultur stammen, lässt den weiterhin gültigen Fokus auf die englischsprachigen Kulturen zunehmend fraglich erscheinen (vgl. ebd.). Mit der Brille der Kritischen Pädagogik gerät die Kultur der Fremdsprachenlernenden zunehmend ins Licht – und ihr inter-/transkultureller Vergleich der Lebenswelten z.B. mit Gleichaltrigen auf der ganzen Welt. Die Kritische Pädagogik betont daher ständig die Bedeutung lokaler Kontexte und ermutigt, die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler in den Unterricht einzubeziehen, Alltags- und Jugendthemen zu berücksichtigen und zwar nicht ausschließlich vor dem Hintergrund eines zielsprachlichen Textes oder einer Lektüre, die gelesen wird, sondern ganz ursprünglich generiert auf Basis der Sorgen und Bedürfnisse der Lernenden. Zunächst abstrakt wirkende Themen wie soziale Benachteiligung und Brennpunkte, Migration, Rassismus oder sexuelle Orientierung können allgemein eingeführt, müssen dann aber anhand lokaler oder regionaler Besonderheiten sowie besonderer Lerngruppen problemorientiert durchdrungen werden, um Betroffenheit und transformatorisch-reflexives Denken befördern zu können.

Volkmann (2010) warnt:

Das Kernlernziel des Englischunterrichts, die interkulturelle kommunikative Kompetenz, darf keineswegs durch eine ideologische oder kulturkritische ‚Überfrachtung‘ an den Rand gedrückt werden. […] Es stellt sich überhaupt die Frage, inwieweit altersadäquat kritisches Bewusstsein vermittelt werden kann bzw. im Anfangsunterricht werden soll. (ebd.: 16)

Dies ist sicherlich eine Herausforderung. Gleichzeitig verweisen Janks (1991) und Akbari (2008) auf die Bedeutung der L1 im Fremdsprachenunterricht zwecks der Erhaltung von Flüssigkeit im Unterrichtsgeschehen und des barrierefreien Klärens sprachlicher Phänomene. Das Einbringen und die Diskussion muttersprachlicher Konzepte, d.h. insbesondere potenziell relevanter Themen, kann folglich in der L1 (auf einer alltags- und/oder bildungssprachlichen Ebene) geschehen, schließlich ist die Muttersprache sehr stark identitär wirksam für jeden einzelnen Lernenden und jede einzelne Lernende: „If people are supposed to become empowered and their voices recognized and respected, then the first step needs to be a respect for who they are and the values they represent.“ (ebd.: 280) Dennoch muss im kritischen Sinne auch in der Fremdsprache die Problemstellung oder der zu diskutierende Konflikt thematisiert werden, um kritisches Denken (in der Fremdsprache) und ein kritisches Bewusstsein fremdsprachlich zu fördern. Die Werte und Überzeugungen, die die Lernenden mit in den Unterricht bringen, können über ihre L1 im Sinne von translanguaging (z.B. transferiert von einer L1 zu Deutsch und dann in die Fremdsprache Englisch) zum Gegenstand gemacht und reflektiert werden mit dem Ziel, emanzipatorisches Denken und Handeln zu fördern.

Mit dem Wissen darum, dass jedwede Vorgabe von möglichen Themen die Idee eines kritischen Fremdsprachenunterrichts fast untergräbt, sollen in Tabelle 1 dennoch zumindest thematische Felder aufgeführt werden, wie sie in der Literatur diskutiert und (grob) für verschiedene Altersgruppen vorgeschlagen werden. Crookes (2013), Janks (1991) sowie Leland/Harste (2002) liefern einige Beispiele für besonders auf kritischen Fremdsprachenunterricht zugeschnittene Themen, obwohl berücksichtigt werden muss, dass in den letzten 20 Jahren verstärkt auch im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur zahlreiche kritisch orientierte Werke erschienen sind, die als Reflexionsfolien im Fremdsprachenunterricht produktiv genutzt werden können.

Altersstufe Potenzielle Themen
Primarstufe Bilderbücher oder kurze Geschichten mit sozialen Themen wie Bullying, Umgang mit Trauer, Umgang mit Veränderung, Ability und Disability, (Kinder-)Armut …
Sekundarstufe wie oben, allerdings stärker von den Lernenden aus generierte Themen, aktuelle (lokale) Nachrichten, politische Instanzen in der Schule, Gewalt, Rassismus, Vorurteile, Macht und Machtausübung in Schule und außerhalb, soziale Klassen, Umwelt, Globalisierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Friedenserziehung, Aktivismus, Identität, Herkunft, Gender, sexuelle Orientierung, soziale Identität, Privilegiertheit, andere Muttersprachen …

Tab. 1:

Mögliche Themenfelder einer kritisch orientierten Fremdsprachendidaktik.

Der Fremdsprachenunterricht ist und war lange Zeit sehr bis fast ausschließlich mit der Methodenfrage beschäftigt, worum es auch im Folgenden vor dem Hintergrund Kritischer Pädagogik und Critical Literacy gehen soll. Aktuell ist die Disziplin glücklicherweise durch inter-/transkulturelle sowie bildungstheoretische sowie literarisch-ästhetische Fragestellungen wieder stärker didaktisch geprägt (vgl. z.B. auch Beiträge in Grünewald et al. 2013, Küster et al. 2015). Auch Kritische Theorie, Kritische Pädagogik und Critical Literacy könnten hier, stärker an transformatorischer Bildung orientiert, entsprechende Schwerpunkte setzen.

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