Читать книгу Wach! - Группа авторов - Страница 11
Gott begegnet mir … am Rand des Abgrunds
ОглавлениеMeine Welt geriet ins Wanken, als ich mit Anfang 30 lebensbedrohlich erkrankte und buchstäblich alles, für das ich mich bisher eingesetzt hatte, auf der Kippe stand. Sieben Jahre lang war ich zu dieser Zeit mit Anja verheiratet. In der Familie hatten wir gerade Zuwachs bekommen, unsere beiden Töchter waren vier und zwei.
Zum ersten Mal in meinem Leben war ich so etwas wie sesshaft geworden. Wir hatten uns gerade ein kleines Reihenhaus gekauft. Waren engagiert in unserer Gemeinde und in vielen anderen Bezügen. Wir empfanden uns auf einem guten und gesegneten Weg – und dann die Komplettbremsung von einer Stunde auf die andere. Alles geriet plötzlich ins Wanken, alle Aufbruchseuphorie war von einer Minute auf die andere verdunstet.
Wie begegnet Gott jemandem in einer so krassen Situation? Aus heutiger Sicht würde ich es anders formulieren. Erst mal mutete er mir und uns als Familie und meinen Freunden und Kollegen einiges zu. Er legte mich auf die Matte, mich, den Macher und Verantwortungsträger. Ich war nun nicht mehr der Träger, sondern der Getragene. Nicht mehr der Hauptdarsteller, sondern höchstens noch der Zaungast. Und mitten in dieser Zumutung (»Warum gerade wir?«) begleitete er uns – von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde und – das vor allem – von Nacht zu Nacht. Und ließ mir und uns seine Nähe immer wieder spürbar werden, oft auch durch andere Menschen.
Gott begegnen hieß damals (und heißt für mich bis heute), seine Gegenwart geschehen zu lassen und wahrzunehmen. Ich kann und muss ihn nicht herbeiholen oder herbeibeten, er ist ohnehin da. Aber ich kann mich an ihn erinnern, an seinem Da-Sein festhalten, unabhängig vom Verzweiflungsgrad meiner realen Situation.
»Seine liebsten Kinder führt er in die tiefsten Tiefen!« Das war ein Satz, den ich in dieser Zeit hörte. Andere Christen wollten meinem und unserem Erleiden einen Sinn geben. Mich machte und macht dieses Statement aggressiv – bis heute. Denn wenn das stimmen würde, wollte ich kein Lieblingskind eines solchen Gottes sein. Ein Gott, der mich ganz tief fallen lässt, um mich mal so richtig zu erschrecken – und knapp über dem Boden lächelnd aufzufangen … Nein, das kann und will ich nicht glauben!
Stattdessen machte ich die Erfahrung: Im Fallen habe ich Gott in einer nicht gekannten Weise erfahren. Das war eine der kraftvollsten Gottesbegegnungen in meinem Leben. Schwer beschreibbar, unspektakulär. In einem unauflöslichen Mix aus ärztlicher Begleitung, menschlicher Zuwendung und seinem herzensverändernden Wirken. Auf wundersame Weise hat mich dieser Mix wieder auf die Füße gestellt (und ja, auch dank Reha und Bestrahlung). Diese Gotteserfahrung hat mir die Arroganz geraubt, dass »Dinge schon klappen, wenn man sich nur genug anstrengt«. Und mich demütiger gemacht für Menschen mit Defiziten, weil ich selbst nun ein solcher war.
»Wer solch eine Gottesbegegnung einmal erlebt hat, der hat bestimmt einen festen Glauben!« Diesen Satz höre ich manchmal, wenn ich meine Geschichte erzähle. Er stimmt und er stimmt nicht. Natürlich wird niemand die tiefgreifendsten Gottesbegegnungen seines Lebens je vergessen. Das Aufwachen nach der Narkose: »Du hast es geschafft!« »Ich habe dich gerettet!« Spricht Gott zu mir? Sind das meine Gedanken? Egal.
Auf der anderen Seite gilt für mich genauso: Eine solche Gottesbegegnung ist keine Garantie für ewiges Gottvertrauen. Ich brauche diese Vergewisserung seiner Gegenwart in meinem Leben immer und immer wieder. Seine Zuwendung, seinen Trost, seine Freude. Ich halte ihm meine Seele hin. Ich schaue dankbar auf das, was in meinem Leben geworden ist. Ich entdecke seine Spuren in meiner Biografie. Das hat immer weniger Event-Charakter, sondern ist eher ein dauerhafter, meist unspektakulärer Lebensstil.
Manchmal aber spricht Gott selbst offensiv in mein Leben hinein. An Orten, an denen ich nicht mit ihm rechne. Als ich im letzten Sommer zu meiner jährlichen Nachuntersuchung im MRT lag und es um mich herum ratterte und dröhnte, da war mir, als sagte Gott: »In der Unruhe deines Lebens bin ich deine Ruhe. Für die Unruhe in deiner Seele bin ich deine Ruhe.«
Ich war schon 30 oder 40 Mal in diesen MRT-Geräten, aber bei dieser Untersuchung war es das erste Mal, dass ich vorsichtig sagen würde: »Gott ist mir in der Röhre in besonderer Weise begegnet!« Ein Teil von mir bleibt immer skeptisch, ob das nicht doch nur meine eigenen Gedanken waren. Aber in diesem Fall glaube ich das, was mir passiert ist: das Reden Gottes.