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Ein Missverständnis?
ОглавлениеDas Neue Testament erzählt öfter von gelähmten Menschen – oftmals ja nicht nur ein körperlicher, sondern auch ein seelischer Zustand. Eine Geschichte spricht mich besonders an:
Da kamen vier Männer, die einen Gelähmten auf einer Matte trugen. Es gelang ihnen nicht, durch die Menge zu Jesus vorzudringen, deshalb deckten sie das Dach über ihm ab. Dann ließen sie durch die Öffnung den Kranken auf seiner Matte hinunter. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.«
Markus 2,3-5
Da liegt er nun, der Gelähmte, und es ist doch für alle Augen offensichtlich, was er braucht. Er braucht Heilung von seiner Krankheit! Deswegen haben ihn ja seine Freunde zu Jesus gebracht: weil sie gehört haben, dass Jesus hilft und heilt. Aus keinem anderen Grund sind sie gekommen und haben die Mühen auf sich genommen. Ist doch sonnenklar.
Aber was macht Jesus? Er spricht mit dem Gelähmten und sagt: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!« Das muss für die Betroffenen und Zuschauer wie ein Schock gewesen sein – ein großes Missverständnis! Wegen seiner Sünden war der Gelähmte doch nicht zu Jesus gebracht worden! Er wollte wieder laufen können, sich bewegen können, vielleicht erstmals einer Arbeit nachgehen können. Er wollte von den Fesseln seiner Krankheit befreit werden und ein normales Leben führen.
Ja, das wollte ich auch. Ein normales Leben führen. Bescheiden, aber mit ausreichendem Einkommen. Ohne die Demütigung des vermeintlichen Versagens. Ohne die kräftezehrenden Turbulenzen, die Traurigkeit, die Enttäuschung, die das Geschehen mit sich gebracht hatte. So ging es mir ja oft: Ein offensichtliches Problem beschäftigte mich und ich betete: »Jesus, hilf mir! Du kannst alles! Du kannst helfen, das Problem zu beseitigen!« Und ich wusste genau, was Jesus tun sollte, hatte genaue Vorstellungen davon, auf welche Weise Jesus helfen sollte.
Doch manchmal handelt Jesus anders, als wir es erwarten. Denn er sieht tiefer. Er sieht, was unsere wahren Bedürfnisse und Nöte sind, die manchmal so sehr in uns vergraben sind, dass wir sie selbst nicht erkennen. Er sieht, was im wahrsten Sinn des Wortes wirklich not-wendig ist.
So geschah es dem Gelähmten. Jesus sah in sein Herz. Was er zuallererst brauchte, war, frei von Sünde zu werden. Und dann erst frei von Krankheit. Jesus schaut tiefer. Er schaut nicht nur auf den Körper, er schaut nicht nur auf äußere Lebensumstände, sondern er blickt in unsere Seele. Er sieht, was wir wirklich brauchen, um heil zu werden, was unsere allertiefste Sehnsucht ist. Und auf dieser Ebene will er mit uns in Kontakt kommen.
So geschah es auch bei mir. Auch in mein Herz hat Jesus tief geschaut. Ein trauriger Höhepunkt in der damaligen notvollen Zeit war für mich eine schlaflose Nacht, als ich Gott anschrie: »Ich glaube dir gar nichts mehr! Du bist nicht vertrauenswürdig! Du bist nicht die Hilfe in der Not! Alles Lüge!« Das Paradoxe war: Ich kündigte Gott mein Vertrauen auf, klagte ihn an – aber gleichzeitig klammerte ich mich immer noch an ihn. Ich wandte mich in aller Ehrlichkeit und Schutzlosigkeit, mitten in all meinen Zweifeln und meiner fassungslosen Wut direkt an ihn. Wohin auch sollte ich sonst gehen? Er war die Adresse meines Zorns, meiner Verwirrung und Hilflosigkeit. Er blieb mein Bezugspunkt. Und darauf antwortete er mir endlich. Zuerst kam ein großer Friede über mich, wie ich ihn schon lange nicht erlebt hatte. Er blieb bei mir nicht nur in dieser Nacht, sondern auch am folgenden Tag und die kommende Woche über und immer weiter – obwohl sich an unserer Situation nichts geändert hatte. Ich konnte es mir selbst nicht erklären. Diese innere Ruhe war von da an meine Begleiterin.