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Der traurige Alltag an deutschen Schulen

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Das Unterrichtskonzept, das in Deutschland am häufigsten für Mehrsprachigkeit angewendet wird, verdient es jedoch nicht einmal, überhaupt als Konzept bezeichnet zu werden. Kinder mit Migrationshintergrund werden einfach in die regulären Klassen gesetzt, ohne dass ihnen geholfen wird, die neue Sprache zu lernen.66 Dies geschieht in der naiven Hoffnung, dass Kinder von ganz allein Deutsch lernen, nur durch den täglichen Kontakt mit der Sprache. Submersion nennt die Erziehungswissenschaft dieses Prinzip. Es heißt so viel wie das „Untertauchen in eine Fremdsprache“.

Dieses vermeintliche Konzept wurde schon 1971 im Einwanderungsland USA als unrechtmäßig erklärt, weil es das Recht auf Chancengleichheit im Bildungssystem gefährde.67 Obwohl es dort als illegal gilt, wird es in Deutschland einfach verteidigt.

So findet Submersion in Klassen statt, in denen Schüler mit Migrationshintergrund sitzen, die mit ganz verschiedenen Muttersprachen aufgewachsen sind.68 Im Unterricht wird aber auf diese Vielfältigkeit nicht eingegangen. Es wird ausschließlich Deutsch gesprochen. Für die meisten Schüler ist das aber eine Fremdsprache, auch wenn sie in Deutschland geboren sind. Fremdsprache heißt nicht, dass sie diese überhaupt nicht sprechen. Die Kompetenzen der Kinder im Deutschen sind ganz unterschiedlich, je nachdem, in welchem Umfeld sie aufgewachsen sind bzw. wie lange sie hier schon leben. Es ist aber eben nicht ihre Muttersprache. Natürlich gibt es auch Kinder mit Migrationshintergrund, die sich im Alltag ohne Probleme verständigen können. Schwierigkeiten bereiten häufig die komplexe Grammatik des Deutschen sowie bildungssprachliches Vokabular wie ‚multiplizieren‘ oder ‚Substantiv‘. Das heißt, sie müssen sowohl eine neue Sprache als auch fachliche Inhalte verarbeiten. Trotzdem werden die Leistungen der Kinder mit Migrationshintergrund häufig an denen der deutschsprachigen gemessen. Doch wie kann man beides miteinander vergleichen? Nehmen wir an, die Schüler sollen ein Gedicht von zehn Strophen auswendig lernen. Eine große Herausforderung für die deutschen Schüler, eine dreifache für Kinder mit Migrationshintergrund. Diese müssen meist erst einmal üben, die Wörter zu lesen und richtig auszusprechen. Die nächste Hürde ist dann, deren Bedeutung zu verstehen, bevor sie sie schließlich auswendig lernen können. Wenn sie also in der gleichen Zeit nur drei Strophen können, ihre deutschen Mitschüler hingegen bereits fünf, bedeutet das keinesfalls, dass sie eine schlechtere Leistung erbracht haben. Fälschlicherweise wird diese Art von Bewertung jedoch häufig verwendet. So haben Schüler mit Migrationshintergrund kaum Erfolgserlebnisse, sondern werden vorwiegend auf Defizite und Schwächen hingewiesen. Hinzu kommt, dass einige Lehrer nicht die fehlende Unterstützung, sondern die Muttersprache als Hindernis für eine gute Bildung und Grund für die schlechten schulischen Leistungen darstellen.69

Das Ziel der Submersion, die Schüler mit Migrationshintergrund in die sprachlich dominante Mehrheit ohne großen Aufwand zu assimilieren,70 schlägt aber nicht nur dahingehend fehl. Es führt bei Schülern aus Sprachminderheiten gar zu einer gestörten Sprachentwicklung. So erreichen sie sowohl in ihrer Erstsprache als auch in der Zweitsprache nur ein geringes Niveau.71

Die Schwierigkeiten in beiden Sprachen haben zudem Misserfolg in der Schule zur Folge. Und so erbringen viele Kinder mit Migrationshintergrund schlechtere Leistungen als ihre deutschen Mitschüler, wodurch sich ein Rückstand aufbaut, der nur schwer wieder aufgeholt werden kann. Denn auch die kognitiven Fähigkeiten der Kinder können sich nicht vollständig entfalten, da fehlende Kenntnisse in der Zweitsprache keine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit den Gegenständen des Unterrichts zulassen.72

All diese Faktoren sind mit für das Selbstbild der Jugendlichen verantwortlich. Sie bekommen das Gefühl vermittelt, ein Problemkind oder gar minderwertig zu sein. Oft haben sie sogar den Eindruck, dass sie in dieser Gesellschaft nicht willkommen sind. Denn wie oft hören sie den Satz: Wenn du hier keine Ausbildung findest, kannst du ja zurückgehen. Doch zurück heißt Deutschland, denn sie sind hier geboren. Und so verwundert es nicht, dass sich einige Jugendliche bewusst abkapseln – zum Selbstschutz und aus Trotz. Nach dem Motto: Ihr wollt mich nicht, dann will ich euch auch nicht. Und mit dem Scheinkonzept Submersion wird man ihnen da kein anderes Gefühl vermitteln können.

Die einzige Alternative zur Submersion in Deutschland ist derzeit allerdings nur der Unterricht in Deutsch als Zweitsprache. Wobei man kaum von einer wirklichen Alternative sprechen kann, da der Unterricht viel zu selten, meist einmal pro Woche, durchgeführt wird und deshalb nicht den gewünschten Lerneffekt erzielt. Da die Schüler mit Migrationshintergrund außerhalb des normalen Unterrichts gefördert werden, kann die Lehrkraft zwar speziell auf das Niveau der Lernenden eingehen. Indirekt wird ihnen aber auch hier bewusst gemacht, dass sie nicht zu den anderen gehören. So wird ihnen klar: Sie sprechen eine Sprache, die den anderen fremd ist und es wird Distanz aufgebaut.73 Denn Kindern bleibt nicht unbemerkt, wer vor oder nach dem regulären Unterricht an einer – oftmals als „Förderunterricht“ benannten – Stunde teilzunehmen hat. Allein der Name macht deutlich: Diese Kinder müssen gefördert werden, sind anders als die anderen aus der Klasse, weichen von der „Norm“ ab.

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