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Lehrer können Potenziale entdecken

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Vor dem Hintergrund meines eigenen Werdegangs bin ich der festen Überzeugung, dass es vor allem gut ausgebildeter Lehrer bedarf, die das Potenzial ihrer Schüler erkennen und aktiv fördern, so dass diese die Möglichkeiten in sich entdecken und ihre Lebensziele verwirklichen können. Insbesondere Schüler mit Migrationshintergrund, deren Familien als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen, haben einen besonderen Aufholbedarf. Ich persönlich kann zwar nicht behaupten, dass mich eindeutig erkennbare Hürden im Schulsystem aufgehalten hätten. Aber dies lag vermutlich daran, dass ich auf eine integrierte Gesamtschule ging und dass meine Stärken im sprachlich-literarischkünstlerischen Aufgabenfeld meine Schwächen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich ausgleichen konnten. Aus eigener Erfahrung kann ich auch sagen, dass ich an der Gesamtschule von leistungsstärkeren Mitschülern lernen konnte. Dies war zum Beispiel im Fach Mathematik der Fall. Diese Schulform ermöglichte es mir, ohne Schulwechsel eine Zugangsberechtigung zur gymnasialen Oberstufe zu erlangen. Wie eingangs geschildert, habe ich die „Hürden“ viel mehr in Form von Diskriminierung durch weniger wohlwollende Lehrer wahrgenommen. Natürlich ist der Einsatz von qualifizierten Lehrkräften keine universelle Schablonenlösung! Der Bildungserfolg hängt auch grundsätzlich von der jeweiligen Motivation und vom Interesse des Kindes ab. Doch erfolgreiche Integration beginnt im frühen Kindesalter und ist ein anhaltender Prozess, auf den viele Menschen aus dem privaten – und vor allem aus dem öffentlichen Bereich – wirkungsvoll Einfluss nehmen können. Denn tatsächlich verbringt ein junger Mensch ja mehr Zeit im öffentlichen als im privaten Raum. Ich selbst bezeichne mich rückblickend oft als ein „Kind deutscher Institutionen“. Ich besitze viele deutsche Eigenschaften, die vor allem dann zum Vorschein kommen, wenn ich meine Familie in der Türkei besuche. Dort bin ich kein wirklicher Türke. Auch wenn ich gut Türkisch spreche, habe ich einen deutschen Akzent. Meine Art zu denken ist deutsch. So sagt mir meine Familie in der Türkei, dass ich strukturiert und logisch an Probleme herangehe. Ich habe deutsche Angewohnheiten, die sich durch meine Bildung in der deutschen Schule gefestigt haben. Aber ebenso bin ich kulturell türkisch geprägt, was auf meine elterliche Erziehung zu Hause zurückgeht. Diese Eigenschaften unterscheiden mich manchmal von meinen deutschen Freunden. Als Kind war diese Erfahrung immer von dem Gefühl geprägt, zwischen den Stühlen zu sitzen. Aber in jungen Jahren möchte man einfach dazugehören! Das heißt auf dem einen oder anderen Stuhl sitzen, und sich angekommen fühlen und auch wissen. Heute bewege ich mich bewusst zwischen diesen beiden Stühlen. Einmal sitze ich auf dem deutschen Stuhl und das andere Mal wieder auf dem türkischen. Jedoch nie ständig auf einem der beiden. Dies hat aus meiner heutigen Sicht viele Vorteile: Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Jugendliche, deren Eltern aus zwei verschiedenen Nationen kommen, sind viel eher in der Globalisierung angekommen als ihre deutschen Altersgenossen. In der globalisierten Welt, die im Begriff ist, das bisherige gesellschaftliche Leben stark zu verändern, ist der Multikulturalismus des einzelnen Menschen zu einer wichtigen Charaktereigenschaft erstarkt. – Für gewöhnlich bringt der „Migrationshintergrund“ einen Reichtum für das gesellschaftliche Leben mit sich. – Sei es jede weitere Sprache, die man zu sprechen in der Lage ist, oder aber eine andere Sicht der Dinge, um nur zwei Vorteile für die Welt von heute und morgen zu nennen. Es ist die Hauptaufgabe der Bildungsinstitutionen, diese Diversität konstruktiv zu managen. Dem Zusammenwirken zwischen privat und öffentlich, zwischen elterlicher und schulischer Erziehung, messe ich deshalb große Bedeutung für die erfolgreiche Integration von Schülern mit Migrationshintergrund in das deutsche Leben bei.

Sie können jetzt denken: „Das Bildungssystem kann doch nicht so schlecht sein! Der hat es doch geschafft!“ Doch nicht ohne Grund trifft man Arbeiterkinder mit Migrationshintergrund statistisch gesehen seltener an deutschen Universitäten. Meistens sind sie strukturell benachteiligt, also werden aufgrund von Kategorien wie ihrer ethnischen Herkunft abgewertet. Außerdem werden sie oftmals viel zu früh aufgegeben oder aber gar nicht erst gefördert.

Man sollte nicht das unglaubliche Durchhaltevermögen verkennen, das man für die Überwindung der genannten Hürden benötigt. Dass es vielen nicht nur um den Unterrichtsstoff, sondern zusätzlich noch um das korrekte Erlernen der Sprache geht, ist offensichtlich. Deshalb liegt eine doppelte Last auf Arbeiterkindern mit Migrationshintergrund. Ein ausgeglichenes Schulsystem, wie es in einigen Aspekten die Gesamtschule darstellt, kann diesen Schülern helfen, persönlich und gesellschaftlich voranzukommen.


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