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Ich wollte dazugehören

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Ich bin heute der Meinung, dass Integrationsprobleme erstrangig dann entstehen, wenn man als Kind seinen Platz in der Gesellschaft nicht findet. Wenn die ethnische, konfessionelle oder wirtschaftliche Andersartigkeit in den Vordergrund tritt und diese zusammen den Bildungsweg sowie den Bildungserfolg bestimmen. Erfolgreiche Integration beginnt im frühen Kindesalter und ist ein komplexer Prozess, zu dem verschiedene Menschen jenseits des Elternhauses tagtäglich beitragen können. In meinem Fall war dies zum Beispiel dringend notwendig, da meine Eltern selbst kaum Deutsch sprachen und deswegen öffentlichen Institutionen diese Aufgabe zukam. Meine Eltern hingegen konnten nicht von solch einem Bildungsangebot profitieren, da es in dem Ort, in dem wir wohnten, keine Angebote gab und sie ohnehin Vollzeit arbeiteten. Und selbst wenn sie die deutsche Sprache gelernt hätten, hätten sie noch lange kein Muttersprachenniveau erreicht, wovon ich als Kind profitiert hätte.

Dass ich bereits in der Grundschule Türkischunterricht hatte, half mir sehr, da sich so mein Türkisch ständig erweiterte. Sicherlich sprach ich mit meinen Eltern Türkisch, doch da ging es nicht um Grammatik oder um Bücher, die ein ganz anderes Sprachniveau haben als die Alltagssprache. Und da meine ganze Familie bis heute in der Türkei wohnt, ist Türkisch für mich sehr wichtig.

Bildungseinrichtungen müssen vorhandene Differenzen zwischen deutschen Schülern und jenen mit Migrationshintergrund wirksam ausgleichen, aber vor allem auch individuelle Begabungen identifizieren und aktiv fördern. Beispielsweise ist es wahrscheinlicher, dass bei einem Kind, das aus einem deutschen bürgerlichen Elternhaus kommt, beim Abendessen über Literatur, klassische Musik oder Politik gesprochen wird. In meinem Elternhaus war das nicht der Fall. Keinesfalls bedeutet dies aber, dass man als Kind aus einem anderen Elternhaus wie dem meinigen dafür nicht empfänglich wäre. Ich meinerseits interessiere mich seit der Mittelstufe sehr stark für Fremdsprachen, für die Literatur und die Kunst, klassische Musik, und entschied mich Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen zu studieren. Es waren meine Lehrer, die meine Interessen für diese Bereiche erkannten und die sie seit der Oberstufe förderten. Meine persönliche Motivation, Politikwissenschaft zu studieren, lag am evangelischen Religionsunterricht, in den ich ab der 11. Klasse aus freiem Willen aus dem Türkischunterricht wechselte. Der ortsansässige Pfarrer vermittelte auf undogmatische Art und Weise Themen, die jeden Menschen – insofern er ein philosophierendes Wesen ist – jenseits seiner Herkunft oder Art betrafen. In einer Klausur über den Arbeitsbegriff im Anschluss an Karl Marx behandelten wir einen Textauszug aus Hannah Arendts Die Vita activa oder Vom tätigen Leben. Dieser Text politisierte mich. Nach der Klausur fragte ich meinen Lehrer, wer die Schriftstellerin sei. Bereits im nächsten Religionsunterricht lieh er mir das Werk Arendts und die dazugehörige Sekundärliteratur aus. Er verschaffte mir Zugang in einen Bereich, auf den ich alleine vielleicht nicht gestoßen wäre.

Was bildet ihr uns ein?

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