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1.7 Barrieren im Gesundheitssystem

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Der Zugang zum Gesundheitssystem ist für geistig behinderte Menschen in unserer Gesellschaft in mehrfacher Weise erschwert. Es bestehen Barrieren auf der räumlichen, der kommunikativen und der Wissensebene. Der Zugang zur stationären oder ambulanten ärztlichen Versorgung ist für Menschen mit geistiger Behinderung häufig wegen räumlicher Barrieren schwierig. Da bisher geistig behinderte Menschen überwiegend in stationären Einrichtungen untergebracht waren, haben niedergelassene Ärzte in den meisten Fällen keine Erfahrung und kein Spezialwissen erwerben können mit Bezug auf (a) Erkrankungen, die in dieser Personengruppe häufiger anzutreffen sind, (b) eine häufig ungewöhnliche Präsentation von Symptomen, (c) Formen der Kommunikation bei verbalen Defiziten der Patienten, (d) den Umgang mit Ängsten vor der Untersuchung, vor diagnostischen Maßnahmen und Eingriffen bei dieser Personengruppe.

Einen Verbesserungsbedarf in der Gesundheitsversorgung von geistig behinderten Menschen beschreibt Seidel (2017) und führt folgende Problembereiche auf:

• Haltung und Einstellung zu Menschen mit Behinderung: Wertschätzung und Respekt

• Haltung zu »Behinderung«

• Fachwissen

• Handlungskompetenz

• Kommunikationskompetenz

• Interpretationskompetenz

• Zugänglichkeit

• Barrierefreie Räumlichkeiten und barrierefreie Raumgestaltung (Licht, Orientierung)

Menschen mit geistiger Behinderung leben zunehmend in offenen Wohnformen in der Gemeinde, dies führt dazu, dass ihre medizinische Versorgung vom niedergelassenen Hausarzt oder Facharzt übernommen wird. Ihre Behandlung ist mit einem deutlich erhöhten zeitlichen Aufwand verbunden, die Sprache sollte dem Menschen mit geistiger Behinderung entsprechen, ärztliche Handlungen sollten für den Patienten verstehbar sein, seine Unsicherheit und Ängste sind ernst zu nehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung (www.dgmgb.de) und die Deutsche Gesellschaft für Seelische Gesundheit bei geistiger Behinderung (www.dgsgb.de) bieten regelmäßig Fortbildungen an.

Seit 2016 hat sich die Situation wesentlich verbessert, es wurden Medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen gegründet (www.bagmzeb.de). Sie gewährleisten eine spezialisierte ambulante Versorgung, wenn aufgrund der Schwere der Erkrankung oder der Komplexität der Behinderung die hausärztliche Grundversorgung und die fachärztliche Versorgung eine angemessene Behandlung nicht gewährleisten können. Die Rahmenbedingungen sehen außerdem vor, dass nichtärztliche Leistungen, insbesondere psychologische, therapeutische und psychosoziale Leistungen bei Bedarf in den Behandlungsplan mit aufgenommen werden können.

Im ambulanten Pflegedienst und in der stationären Pflege treten entsprechende Probleme bei der Versorgung geistig behinderter Menschen auf. In der Ausbildung von Alten- oder Krankenpflegern wird die geistige Behinderung nicht thematisiert, sodass in der Pflege das Wissen um den Umgang mit diesen Menschen und die speziellen Anforderungen an ihre Pflege üblicherweise auch nicht vorhanden sind. Hinzu kommt, dass der Betreuungsaufwand für Menschen mit geistiger Behinderung deutlich höher ist als bei einem nicht geistig behinderten Patienten. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung des Pflegepersonals ist meist eine optimale pflegerische Betreuung und Begleitung nicht möglich, denn es kommt erschwerend hinzu, dass Pflegemaßnahmen oder Stationsabläufe für Menschen mit geistiger Behinderung oft intransparent und häufig nicht nachvollziehbar sind. Sie entwickeln Ängste und bieten Widerstand, eine Kommunikation ist häufig erschwert, und auf diese Weise entstehen kaum zu lösende Konflikte.

Seit dem 01.01.2020 tritt die dritte Reformstufe des Bundes-Teilhabegesetzes in Kraft. Das Gesetz ist nicht mehr wie die Eingliederungshilfeverordnungen in SGB XII § 60 zu finden, sondern in SGB IX Teil 2 § 90–150. Für eine Beurteilung der Praktikabilität der Umsetzung des Gesetzes ist es zum jetzigen Zeitpunkt zu früh, wenngleich der große Verwaltungsaufwand und die komplizierte Antragstellung Probleme aufwerfen werden. Der Grundgedanke, dass der Unterstützungsbedarf ganzheitlich und differenziert ermittelt und die Leistungen an die individuelle Situation der geistig behinderten Menschen angepasst werden sollen, um Teilhabe zu ermöglichen, stellt den Menschen in den Mittelpunkt, ganz im Sinn der UN-Behindertenrechtskonvention von 2008.

Betreuung und Pflege geistig behinderter und chronisch psychisch kranker Menschen im Alter

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