Читать книгу Gegendiagnose II - Группа авторов - Страница 22
Fallen lassen
ОглавлениеKüche
-If there’s nothing missing in my life, then why do these tears come at night?
-Ich weiß auch nicht. Ich mache ja alles auch mit, weißt du? Ich gehe auf Parties und ich mache mir die Haare und studiere tagsüber. Ich gehe einkaufen und koche. Wenn es nur jemanden gäbe, der alles von mir sehen könnte. Diesen Teil von mir, der nach Hause kommt, die Einkaufstaschen abstellt und weint. Zwei Stunden. Immer wieder, einen ganzen Tag lang. Und dann wieder aufsteht und Essen macht. Wenn es jemanden gäbe, um das zu sehen. Dann würde es vielleicht realer werden, diese Teile.
-Warst du schon beim Arzt?
-Nein, aber ich überlege jetzt schon öfters, hinzugehen. Vielleicht kann der mir was verschreiben. Vielleicht erklärt der mir, was los ist.
Arztpraxis
-Sie können also nicht schlafen?
-Manchmal nicht. Mein Kopf dreht einfach immer weiter.
-Brodelt es in Ihnen? Würden Sie sagen, Sie sind unruhig? Wühlt da etwas?
-Ja, da wühlt was. Ich kann Ihnen nur leider nicht genau sagen, was. Wissen Sie, manchmal fällt mir die Gabel aus der Hand, und ich hasse mich so sehr dafür, dass ich es nicht mehr aushalte, ich selbst zu sein. Manchmal gehe ich ganz geschäftig durch den Tag und nichts passiert, alles läuft so, wie ich mir das vorgestellt habe, und dann wieder bricht es herein, dieses Unvorhergesehene, die Gedanken, die ich nicht stoppen kann, das Gefühl, dass ich mich auflöse. Letztens hatte ich einen Weinkrampf, ich saß auf dem Bett, habe zum Fenster geschaut und konnte nicht mehr feststellen, ob ich hier aufhöre, wo ich sitze und mich festhalte, oder ob ich vielleicht bis zum Fenster reiche. Ob das Fenster ein Teil von mir ist. Wie kann ich das feststellen? Vor zwei Monaten, da hat mir jemand auf der Straße an den Hintern gefasst. Ich habe mich umgedreht und habe gesagt: ich möchte das nicht. Der ist mir gefolgt, an der Ampel musste ich stehenbleiben, und wieder war da die Hand an meinem Po. Ich habe mich umgedreht und ihm eine Ohrfeige gegeben. Er hat zurückgeschlagen. Mit voller Wucht. Ich habe zu schreien begonnen, ich war so fassungslos. Ich konnte kaum stehen, weil ich gezittert habe. Vor Wut und Schmerz. Er hat auch geschrieen. Er hat geschrieen, dass ich verrückt bin. Dass ich schreie wie verrückt. Er hat sich umgedreht und ist gegangen.
Wie soll ich denn feststellen, wo ich aufhöre und wo ich beginne? Wie soll ich denn herausfinden, wie sich mein Körper anfühlt? Es ist so viel leichter auszuchecken. Es ist so viel leichter, auf die Schmerzen nicht mehr zu reagieren. Schicht um Schicht haben sie sie aufgestapelt, ich will ja auch nicht mehr fühlen. Ich stelle mir das schön vor, nichts mehr zu fühlen.
-Ich verschreibe Ihnen was. Und ich gebe Ihnen eine Liste mit Therapeuten. Sie suchen sich einen aus. Medikamente alleine helfen nicht.
Küche
-Und dann hat er mir den Befund in die Hand gedrückt und da stand »mittelschwere Depression«. Ich frage mich, wie er das festgestellt hat. Ich bin froh, dass ich keine »leichte Depression« habe. »Mittelschwer« klingt schon ernster. »Schwer« wäre noch besser. Dann könnte ich.. dann hätte ich kein schlechtes Gewissen mehr, mich ins Bett zu legen und nichts mehr zu tun.
-We never thought that we get caught up, stuck in the teenage waste.
-Aber echt. Weißt du, meine Wohnung sieht jetzt mehr nach Jugendzimmer aus als damals. Ich wusste, ich durfte nicht auseinanderfallen. Ich hätte auch nicht gewusst, wie. Alles war so eng. Auch das Ritzen, darüber haben wir Scherze gemacht, als wir in der Pause Cola kaufen waren. Es gab keinen Ort, an den wir hätten gehen können.
-Dann hast du die Zeit vielleicht verpasst, um es dir mal richtig schlecht gehen zu lassen. Jetzt bist du erwachsen. Ich dachte, Erwachsene kommen klar. Meinst du, Erwachsene kommen gar nicht klar?
-Wenn alle Leute das so machen, dass sie erst zu weinen beginnen, wenn die Wohnungstür hinter ihnen zugefallen ist, dann kann man das ja nicht sagen.
-Hast du mit deiner Mutter gesprochen?
-Ja, sie hat mich gefragt, ob ich mein Medikament regelmäßig nehme. Als ich das letzte Mal zu Besuch war, hat sie mir Geld gegeben, damit ich mir neue Sachen zum Anziehen kaufe. Ich habe ganz schön viel eingekauft. Ich dachte, ich kann ja wenigstens gut aussehen, wenn ich schon depressiv bin. Danach war ich irgendwie leer. Ich habe geweint, als ich im Zug zurück saß.
Schlafzimmer
-Hallo?
-Hey. Sorry dass ich anrufe. Ich kann nicht schlafen. Du hast bestimmt geschlafen.
-Ja. Was ist denn los bei dir?
-Ich weiß nicht. Ich kann nicht schlafen. Ich gehe in der Nacht verloren. Ich habe Angst, dass ich nicht wieder ich bin, wenn ich einschlafe. Dass ich aufwache und ein wichtiger Teil von mir verloren gegangen ist. Ich spüre mich nicht mehr. Ich würde dir auch noch gerne erzählen, dass mein Schlafzimmer alles ist, was es noch gibt, und dass ich mich in dem Zimmer verirrt habe, auch wenn es nur eines ist, mit 15 Quadratmetern. Ich würde dir sagen, dass ich nicht mehr weiß, was hier drin zu mir gehört. Ich würde dir erzählen, dass ich darauf warte, dass die Antidepressiva zu wirken beginnen, denn der Arzt hat gesagt, dann kann ich schlafen. Ich versuche an Fight Club zu denken, denn die Hauptfigur da kann ja auch nicht schlafen. Daraus entsteht Tyler Durden und daraus entsteht diese revolutionäre Truppe, das ist doch was Gutes. Den Film haben wir zusammen geschaut, und du hast meine Haare mit einer Häkelnadel gehäkelt, weißt du noch? Wir waren 15. Ich war so verliebt in dich und ich glaube, du wusstest es und hast darum getrauert, dass du nicht in mich verliebt warst, nie.
-Das klingt, als wärst du traurig. Ich bin ganz müde, ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Vielleicht kannst du versuchen zu schlafen. Wir sehen uns bald, okay?
-Ja. Sicher.
Straße
-Klopf klopf. Die Welt ist zurück!
-Und was soll ich jetzt machen?
-Setz einen Fuß vor den anderen. Der Gehweg ist stabil, da schwankt nichts.
-Das bedeutet, ich schwanke. Bist du dir sicher mit ›einen Fuß vor den anderen‹? Schau mal, der Baum schwankt ja auch.
-Komm, du hast gerade zehn Stunden geschlafen. Vielleicht ist das einfach so, wenn die Antidepressiva wirken.
-Ich habe gestern… ich habe gestern… ich habe mit meiner Mutter telefoniert und sie sagte, eine Bekannte hat ihr erzählt, dass ist wie in Watte gepackt sein. Ganz weich eingepackt. Nichts dringt so richtig durch. Ich frage mich, ob das bei mir auch so… und jetzt? Ich stehe unter dem schwankenden Baum. Ich weiß nicht mehr, was ich hier wollte.
-Du wolltest zu Penny. Du hast gesagt, einkaufen wäre gut und essen wäre dann auch gut. Irgendwas schnelles, was fertiges, dann legst du dich wieder hin. Du hast dein Handy auch gar nicht eingeschalten. Die Rollos aber hast du zumindest hochgezogen und mal gelüftet. Das Wäsche waschen hast du übrigens auf morgen verschoben. Ich erinnere dich dann daran.
-Ich weiß nicht, ich glaube, die Straße schlägt Wellen. Nicht so große, nur ganz leicht. Warum soll ich das Handy auch einschalten? Niemand ruft an.
-Komm, erst mal einkaufen. Dann hast du den Tag auch schon fast geschafft.
-Ich schmecke nichts, es ist egal, was ich kaufe.
-Einen Fuß vor den anderen. Erstmal schwankt da nichts.
Beratungszimmer
-Ihre Kindheit kommt nie wieder. Sie werden das nicht nachholen können. Diese Liebe, die Sie als Kind nicht bekommen haben, können Sie nicht nachholen. Aber Sie können Ihr Leben so einrichten, dass Sie jetzt Liebe erfahren.
Straßenbahn
-Und das hat er wirklich so gesagt?
-Ja, ich glaube schon. Oder ich sage es mir selbst. Das ist doch ein Werkzeug, um es auszuhalten, oder? Er hat auch noch gesagt, als ich von D. erzählt habe, und dass er Drogen nimmt, da hat er gesagt: »Das machen Sie doch jetzt auch.« Er meinte die Antidepressiva. Er findet das nicht gut. Er sagt, die machen mich unempfindlich und ich bin dann zu betäubt, um meine Muster zu verändern. Ich kann mich einfach nicht erinnern, ob er das gesagt hat, dass ich mein Leben jetzt so gestalten kann, dass es liebevoller wird. Ich meine, ich wüsste nicht, woher ich den Gedanken sonst hätte. Ich dachte immer, das ist mein Schicksal, ein liebloses Leben. Aber erzähl es niemandem, dass ich das denke. Das ist undankbar, das zu denken.
Ich sitze auf der Couch und er in diesem dunkelblauen Stuhl und zwischen uns steht die Uhr mit dem Zifferblatt in seine Richtung, so dass ich nicht sehen kann, wie viel Zeit wir schon verbraucht haben. Er schreibt nicht mehr so viel mit wie am Anfang, aber manchmal sieht er mich so an, als hätte er Mitleid. Ich möchte ihm gern sagen, dass ich es versuche. Ich versuche es wirklich. Ich weiß nicht, wo ich hin soll. Ich schäme mich für jeden Versuch, der schief geht. Für jede Begegnung, nach der ich mich schlecht fühle. Ich weiß wirklich nicht, wo meine Grenzen liegen. Ich weiß nicht, ob er mich wirklich verstehen kann. Ich kam mir sehr stark vor, als ich die erste Stunde bei ihm hatte und erzählt habe, was gerade bei mir los ist. Ich höre mir selbst beim Reden zu und denke irgendwann, ich habe es immerhin bis hierher geschafft. Ich fand mich mutig. Es tat gut. Aber jetzt geht es mir zu schnell, Muster ändern, Motivationen herausfinden, Strategien finden, Verantwortung übernehmen. Ich bin immer noch müde. Ich bin doch schon froh, dass ich wieder schlafen kann. Wohin soll ich denn die Wut packen, und das Weinen, und die Schreie? Am Ende geht es doch wieder ums Verstecken und Funktionieren.
-Such a funny thing for me to try to explain how I’m feeling and my pride is the one to blame. Du musst dich einlassen, vielleicht kann er dir doch was sagen, was geben, was dir helfen kann. Vielleicht weiß er besser, was du brauchst. Willst du wirklich an dir festhalten?
Stadtstrand
-Ich habe mich dafür entschieden, die Antidepressiva abzusetzen. Im Internet steht, man soll sich beraten lassen, aber ich habe meinen Arzt nie wieder gesehen, nach der Diagnose-Stellung. Ich dachte, ich mache das jetzt einfach, es ist ja Sommer, es ist warm und hell, ich habe den Schlaf nachgeholt, ich will nicht mehr. Ich will wieder.
-Und, wie ist es bis jetzt?
-Mein Herz rast.
Küche
-Zwei, drei, vier. Vier Teller in zwei Jahren, das ist in Ordnung, findest du nicht? Eins, zwei, dort drüben noch zwei. Die großen Scherben sind leicht zu finden. Mit den Gläsern habe ich aufgehört, die zerbersten richtig, da ist es so schwer, alle Scherben einzusammeln.
-Es sollte einfach niemand mitkriegen.
-Niemand kriegt etwas mit. Ich bin richtig gut darin geworden, dass niemand etwas mitkriegt. Auch hier, in den hellen Nächten, bleibe ich für mich. Wenn ich nachts rausgehe und mir das vorkommt wie unter Wasser, dann schreibe ich es auf, speichere das Dokument und klappe meinen Laptop zu. Niemand liest das. Ich räume auf, ich wasche Wäsche, ich koche, ich schneide mich nicht mehr. Ich warte, bis ich alleine bin, um zu weinen. Ich bin viel alleine. Ich schlafe und ich gehe und die ganze Zeit ist es laut in meinem Kopf, aber das hört niemand sonst. Ich mache keine Umstände. Ich habe mich im Griff.
-Kein Wunder, dass M. schon eine neue Beziehung hat. Dass D. sich nie richtig für dich interessiert hat. Du spielst fünfhundert Mal am Tag durch, wie du überraschend zurück kommst und M. erkennt, dass er eigentlich dich liebt, und das erschöpft dich so sehr, dass du keine Energie mehr für die Party hast oder die Ausstellungseröffnung oder das Pizzaessengehen.
-Ich fühle mich ganz schön falsch. Weißt du, seit ich denken kann, schaue ich mir die Pärchen um mich herum an und frage mich, was falsch an mir ist, warum ich nicht Pärchen bin.
-Ich glaube, das wirst du nie herausfinden.
-In einem Tagebucheintrag steht, auch xy ist in einer Beziehung, ich habe es gesehen, sie haben während des Studi-Stammtisches Händchen gehalten, irgendwann werde ich so kalt wie Stein. Hier sind die Steine kalt, der Boden, die Wände, die Hände, die Decken, die Nächte, die Scherben, die Worte. Ich unterscheide mich gar nicht mehr von meiner Umgebung. Ich bin kurz davor, zu verschwinden. Verschwinde ich?
-Du bist noch hier.
Sofa
-Die Socken habe ich lange nicht getragen. Die können auch weg.
-Und die Unterhose?
-Kann auch weg, die hat ein Loch.
- Und die hier?
- Die hier. Ja. Die habe ich zusammen mit meiner Mutter gekauft. Sie ist in die Umkleidekabine gekommen, hat meine Wunden gesehen und ist weinend wieder raus. Nein, ich glaube, so war es gar nicht. Vielleicht ist sie mit mir in der Kabine stehen geblieben. Ich glaube, sie hat mich auch berührt. Prüfend, um sich einen Überblick zu verschaffen. Aber an den Blick kann ich mich nicht erinnern. Auch an die Berührung nicht. Vielleicht hat sie mich gar nicht berührt. Aber ich bin mir sicher, irgendwann zwischen der Umkleidekabine und heute, da hat sie gesagt: wenn du das weiter machst, müssen wir dich einweisen lassen. Wenn du das weiter machst, dann müssen wir dich einweisen lassen. In die Psychiatrie.
- Vielleicht ist sie Stein und du bist Stein, weil ihr ja verwandt seid.
- Manchmal kann ich mich nicht so richtig an Sachen erinnern. Sie hat sich sicher Sorgen gemacht. Kontrolle ist so wichtig. Sich im Griff haben.
- Und was ist mit den Socken?
- Die will ich aufheben.