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Zuallererst als Caro
ОглавлениеIn dieser Phase meiner beruflichen Identitätsfindung kam ich zum Netzwerk Stimmenhören e.V.. Ich erinnere mich an meine ersten Besuche der Trialoggruppe. Relativ verschüchtert saß ich in der Runde und stellte fest, wie wenig Ahnung ich eigentlich hatte.
Was mich aber vor allem wunderte, war, wie unterschiedlich die Leute in der Gruppe waren. Ich war bis dahin nur relativ homogene politische Gruppen gewöhnt gewesen. Hier kamen die Leute aus unterschiedlichsten Berufsgruppen und verschiedensten sozialen Schichten. Sie waren allen möglichen Alters und vertraten unterschiedlichste Meinungen. Was mich dabei sehr beeindruckte, war der respektvolle Umgang miteinander. Die oberste Regel, dass alle als Expert*innen ihrer eigenen Lebenserfahrungen respektiert werden sollen, und dass die jeweiligen Meinungen und Erfahrungsberichte möglichst ohne Bewertung angenommen werden sollen, fand ich gleichzeitig inspirierend und verunsichernd.
Einige meiner so politisch korrekten Ansichten fingen an zu bröckeln: da gab es stimmenhörende Menschen, die positiv von ihren Medikamenten erzählten, und welche, die die Psychiatrie gerne als Schutzraum aufsuchten. Wie konnte das denn sein? Es gab auch diejenigen, die darauf beharrten, krank zu sein und die damit, dass ihre Stimmen eine Bereicherung für ihr Leben sein könnten, gar nicht einverstanden waren.
Dieser respektvolle Umgang miteinander und das Achten der jeweiligen Grenzen der einzelnen Personen war für mich innerhalb eines Gruppenzusammenhangs keine Selbstverständlichkeit. Auf niemanden wurde Druck ausgeübt, es wurden keine Positionierungen verlangt und vor allem ging es nicht um das Aufstellen von Theorien, sondern um ganz persönliche Erfahrungen. Es ging darum, sich gegenseitig kennen und die verschiedenen Sichtweisen besser verstehen zu lernen.
Was mich berührte, war, dass mit mir als relativ ahnungsloser Psychologin genauso umgegangen wurde. Als ich einmal eine Meinung kundtat, ermahnte mich Hannelore Klafki (psychiatrieerfahrene Stimmenhörerin und Gründerin des NeSt), ich solle doch bitte deutlich machen, dass das meine persönliche Sichtweise sei und keine allgemeingültige Aussage. Das war mir peinlich… Hannelore hatte hier die Funktion einer Professionellen und sicher nicht ich! Ich wurde wohlwollend und akzeptierend aufgenommen. Ich hatte das Gefühl, in erster Linie als Mensch gesehen zu werden, als Caro, und unter anderem auch als Psychologin. Ich hatte auch das Gefühl, genau so viel Platz und Raum zu bekommen, wie ich es brauchte, um im NeSt anzukommen und meinen Platz zu finden. Diese Art des Umgangs miteinander habe ich als sehr heilsam erlebt.