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Von der Theorie zur trialogischen Praxis

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Ich möchte einige meiner Eindrücke und Erfahrungen schildern, die ich beim Netzwerk Stimmenhören e. V. (NeSt) in den letzten 16 Jahren sammeln konnte und die mich in meiner Identität als klinische Psychologin sehr geprägt haben. Zum NeSt kam ich direkt nach meinem Psychologiestudium. Neben der naturwissenschaftlich geprägten Mainstream-Psychologie wurden auch zwei alternative Denkweisen gelehrt. Zum Einen die marxistisch geprägte Kritische Psychologie: sie kritisiert den Machtanspruch von Psycholog*innen und Psychiater*innen und die hierarchischen Strukturen psychosozialer und psychiatrischer Einrichtungen. Der Einfluss der kapitalistischen Logik unserer Gesellschaft auf individuelle Handlungsfähigkeit und damit verbundenem psychischem Wohlbefinden wird betont. Zum anderen wurde der sozialkonstruktivistische Ansatz vermittelt. Hier wird davon ausgegangen, dass es keine objektiven Wahrheiten gibt. Stattdessen erschaffen wir mithilfe unserer subjektiven Wahrnehmungen unsere eigenen Wirklichkeiten. Auf sozialer Ebene konstruieren Gesellschaften Werte und Normen, die dann zu ›objektiven Realitäten‹ erhoben werden. Diese ›Wahrheiten‹ befinden sich jedoch in stetigem Wandel und sind nicht ›naturgegeben‹. Ich war begeisterte Verfechterin dieser beiden Ansätze (und bin es bis heute) und freute mich darauf, sie nun endlich in die Praxis umsetzen zu können.

Meine Vorstellung war ganz einfach: Die armen Opfer der unterdrückerischen Psychiatrie müssen gerettet werden! Ich positionierte mich auf die Seite der Psychiatrieerfahrenen und wollte für ihre Rechte kämpfen. Ich wusste, man sagt nicht Krankheit sondern Phänomen zu psychotischem Erleben, und die Behandlung durch Psychopharmaka war ein gesellschaftlicher Unterdrückungsmechanismus, der abgeschafft werden musste. Außerdem faszinierten mich diese außergewöhnlichen Wahrnehmungen, wie zum Beispiel das Stimmenhören.

Das war also die Theorie.

Während des Studiums hatte ich kaum mit psychiatrieerfahrenen Menschen zu tun gehabt, konnte mir daher dieses Bild aufrechterhalten und selbstbewusst meine Positionen vertreten. Kaum war das Studium vorbei, sank jedoch mein Selbstbewusstsein. Ich war nun arbeitslos und kannte mich in der psychosozialen Szene in Berlin kaum aus. Ich hatte keine Ahnung, wie und wo ich denn nun gerne arbeiten würde, und welcher Arbeitsplatz meinen Ansprüchen genügen würde. Wie konnte ich denn nun praktisch umsetzen, was theoretisch so gut geklungen hatte? Wie sah denn nun korrektes Verhalten gegenüber psychiatrieerfahrenen Menschen konkret aus?

Gegendiagnose II

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