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Runden drehen
ОглавлениеIch sitze vor meinen Erinnerungen, den verschiedenen zeitlichen und thematischen Ebenen, und stoße an ein altbekanntes Begehren: meinem Sein eine Begründung zu verleihen.
Die Art und Weise, wie ich bin, hinterfrage ich, spüre ein leise schwebendes Nichts, ein bodenloses Fallen hinein in das Wissen, ich werde die Frage nie abschließend beantworten können, ob es denn wirklich so schlimm war. Wirklich schlimm im Vergleich zu was? Schlimm genug, um darüber schreiben zu können? Schlimm genug, um Narben davon zu tragen? Es – was denn genau? Das Aufwachsen, der Leistungsdruck, die sozialen Zwänge, die Zurichtungen in eine Normalität, die mich von mir selbst entfremdet? Mit diesen Spalten sitze ich nun da und versuche alle Teile von mir selbst zu greifen, aber immer wieder entwischen sie mir, weil sich beschwichtigend Sätze in den Weg stellen. Andere hatten es schlimmer, andere sind tatsächlich eingewiesen worden, andere wurden geschlagen, vernachlässigt, hatten weniger Geld und keine Möglichkeit, ihren Interessen nachzugehen. Ich hatte das schon, und das ist Teil dieses Privilegs, dass ich heute darüber nachdenken und schreiben kann, wie mein Aufwachsen geprägt war von diesen Vorstellungen von Normalität, und welche Gewalt in Normalität steckt.
Das ist keine leichte Aufgabe und eine wichtige, um zu Visionen zu kommen, wie Kontakt zu mir selbst aussehen könnte, ein liebevoller Kontakt. Ich stelle mir die Frage, wie ich zu meiner Sozialisation genügend Distanz bekommen kann, um sowohl Kritik als auch Alternativen entwickeln zu können, und dabei tauchen in meiner Erinnerung die Schiebebilder auf, deren kleine Quadrate aus Plastik so lange hin- und hergeschoben werden mussten, bis das Bild zusammenpasste. Es gab nur ein leeres Feld, mithilfe dessen die Quadrate bewegt werden konnten, und manchmal wurde ich ungeduldig, habe mit der Nagelfeile ein oder zwei Teilchen herausgebrochen, und damit ein zweites und drittes leeres Feld geschaffen. Dann lies sich das Bild leichter zusammensetzen.
Ich finde es wichtig, genau zu sein und gleichzeitig sanft zu den Leerstellen, den herausgebrochenen, den bewusst erzeugten Erinnerungsteilen, die Schutzmechanismen langsam und vorsichtig einladen, zurückzutreten, damit sich neue Zusammenhänge ausprobieren lassen.
Ich möchte dich dazu einladen, darüber nachzudenken, was du als normal denkst, und wie du zu deinem Wissen über Normalität gekommen bist. Ich möchte dich einladen, sanft zu dir zu sein, und genau, und assoziativ. Dieser Text ist ein Angebot, und geht hier zurück an den Anfang: die Vision, die sich nach und nach zusammensetzt, in Veränderung begriffen ist, und bereits Atem schöpft.